25.06.2023

Wohnen

Möbius-Haus, UNStudios mathematisches Modell

Beton Einfamilienhaus
Das Möbius-Haus glänzt nicht nur mit dem durchdachten Zusammenspiel von Glas und Beton, sondern auch der besonderen Raumaufteilung. Foto: © Eva Bloem
Das Möbius-Haus glänzt nicht nur mit dem durchdachten Zusammenspiel von Glas und Beton, sondern auch der besonderen Raumaufteilung. Foto: © Eva Bloem

Von 1993 bis 1998 schufen die Architekten von UNStudio ein 520 Quadratmeter großes Wohnhaus in der Nähe von Amsterdam, das den Alltag des Familienlebens in ein mathematisches Modell übersetzt: Die Möbiusschleife.


Kollektive und eigene Lebensbereiche

Der Bauherr, eine Familie, wünschte sich, dass sich ihr Haus um ihren Alltag herum gestaltet und sich Aspekte des Familienlebens wie Schlafen, Arbeiten, Spielen und Essen um ihre täglichen Routinen herum strukturieren. UNStudio entwickelte daraufhin ein Konzept, das Möbius-Haus mit der ineinander verschlungenen Trajektorie der Möbiusschleife zu gestalten. Diese sorgt für die Ausrichtung der Arbeitsräume und Schlafzimmer, wobei kollektive Bereiche an den Kreuzungen positioniert sind.

Foto: © Eva Bloem
Fotos: © Eva Bloem
Die kollektiven Knotenpunkte im Möbius-Haus bieten besonders viel Freiraum und liegen an räumlichen Kreuzungen.
Foto: © Eva Bloem
Neben dem dominierenden Beton lassen weitreichende Verglasungen die Räume hell und einladend erscheinen.

Die Möbiusschleife

Geometrisch gesehen ist die Möbiusschleife eine Fläche, die nur eine Kante und eine Seite hat und nicht orientierbar ist; für die nicht oben und unten oder innen und außen definiert werden kann. Dieses mathematische Modell übertragen die Architekten von UNStudio nicht wörtlich auf das Gebäude, sondern konzeptualisieren es, übersetzen es in architektonische Zutaten wie Licht, Treppen und die Art und Weise, wie sich Menschen durch das Wohnhaus bewegen. Das Kurvenbild des doppelt verschlossen Torus zeigt die Organisation zweiter ineinander verschlungener Pfade. Die Architekten von UNStudio verstehen diese als Bewegung der Hausbewohner im Alltag: Die Pfade des Torus zeigen, wie zwei Menschen zusammen und doch getrennt leben können und sich an bestimmten Punkten treffen, die zu gemeinsamen Räumen werden.

Foto: © Eva Bloem
Foto: © Eva Bloem
Das Esszimmer ist durch Glas ersichtlich und ermöglicht ein transparentes Austauschen der Bewohner im Möbius-Haus.

Beton und Glas im ständigen Wechselspiel

Diese Idee zweier Menschen, die ihre eigenen Bewegungspfade durchlaufen und dennoch bestimmte Momente teilen, weiten die Architekten auf die Materialisierung des Möbius-Hauses und auf seine Konstruktion aus. Das Kurvenbild für das Wohnhaus besteht aus zwei ineinandergreifenden Linien. Der doppelt verriegelte Torus integriert Raumprogramm, Bewegung und Struktur nahtlos. Außerdem stehen die ineinandergreifenden Linien für die beiden Hauptmaterialien des Hauses: Beton und Glas. Diese bewegen mit dem Verlauf des Kurvenbildes voreinander und tauschen an bestimmten Punkten die Plätze.

Foto: © Eva Bloem
Fotos: © Eva Bloem
Auf den wichtigen Bewegungspfaden sorgt Glas in dem 520 Quadratmeter großen Haus trotzdem für Übersichtlichkeit.
Foto: © Eva Bloem
Foto: © Christian Richters
Foto: © Christian Richters
Beton und Glas tauschen auch ihre Rollen: Während die Fassade auf einer Seite verglast ist, dominiert dort der Beton den Innenraum.

Der 24-Stunden-Kreislauf im Möbius-Haus

Die Abstraktion des Möbius-Haus als Kurvenbild ermöglicht eine weitere Interpretation, durch die die Verwendung von nur zwei Materialien erläutert wird: Der Faktor Zeit in Bezug auf die Verteilung der Räume. Die Möbiusschleife, die aufgrund ihrer räumlichen Qualität sowohl im Grundriss als auch im Schnitt präsent ist, wird im Inneren in den 24-Stunden-Kreislauf der Familie übersetzt. Dieser besteht im Wesentlichen aus Schlafen, Arbeiten und Wohnen. An den Punkten, an denen sich die Schleife umstülpt, wechselt die Materialisierung des Wohnhauses: Verglaste Details und Betonbauteile tauschen die Rollen, indem verglaste Fassaden der Betonkonstruktion vorgesetzt, Trennwände aus Glas eingebaut und Möbel wie Tische und Treppen aus Beton gefertigt werden. Kurzum: Wenn sich die Schleife umkehrt, verwandelt sich die äußere Betonhülle in Innenmöbel und die Glasfassaden werden zu inneren Trennwänden.

Abbildungen: © UNStudio
Die Möbiusschleife besteht aus zwei Strängen, die Flächen auftun. Dadurch taucht ich an den äußeren Punkten Innen- und Außenseite.
Dieses mathematische Prinzip überragt UNStudio auch auf die Raumaufteilung.

Möbius-Schleife im Dialog mit der Natur

Ebenso wichtig für die Gestaltung sind der Ort und seine Beziehung zum Gebäude. Das Möbius-Haus befindet sich auf einem rund 20 000 Quadratmeter großen Grundstück in Het Gooi, einer grünen Wohngegend etwa 45 Kilometer südöstlich von Amsterdam. Das Wohnhaus ist umgeben von Wiesen und hohen Buchen und wirkt durch seine geschwungenen Linien und den mit der Natur interagierenden verglasten Flächen als Bindeglied zwischen Architektur und Landschaft. Das Aufnehmen dieser Aspekte der Landschaft wird durch die räumliche Schleife ermöglicht und der Effekt wird durch die maximale Streckung des Gebäudes verstärkt.

Foto: © Christian Richters
Foto: © Christian Richters
Die Möbiusschleife lässt sich auch an der Fassade erkennen: Hier die Seite, auf der Beton als Baumaterial dominiert.

Verschmelzung von Landschaft und Gebäude

Gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten von West 8 aus Rotterdam wurden die zwei Hektar Grundstück in vier charakterlich unterschiedliche Bereiche aufgeteilt. Diese bilden eine zusätzliche Verknüpfung mit der Innenorganisation des Möbius-Hauses und machen das Wohnen im Haus zum Spaziergang in der Natur.

Foto: © Eva Bloem
Foto: © Eva Bloem
Auf der anderen Seite können sich die Bewohner auf die Natur dank des weitreichenden Glases einlassen.

Der Mensch im Mittelpunkt der Architektur

Das Möbius-Haus ist zweifelsohne eine Architektur für den Menschen. Schon der Konzeptgedanke richtet sich daran aus, was die Familie, die in das Haus einzieht, braucht. Doch nicht nur das „Was?“ wird berücksichtigt, sondern auf gleicher Stufe das „Wie?“. UNStudio treibt die Antwort auf diese Frage auf die Spitze, indem sie den Alltag in seiner Gesamtheit von 24 Stunden betrachten und jeder Tätigkeit die gleiche Bedeutung zuweisen. Für den Entwurf eines Gebäudes mathematische Modelle zu nutzen ist eine Methode, die in den letzten Jahren stetig wächst und immer mehr durch CAD-Programme erleichtert wird.

Übrigens: UNStudio hat unsere diesjährige B6 kuratiert! Deswegen gibt’s auch ein umfassendes Online-Spezial zu UNStudio. Hier stellen wir Projekte vor wie das Alessi-Weinregal Ribbon, welches ebenso das Möbiusband aufgreift. Außerdem haben wir Ben van Berkel, UNStudio-Gründer, und Dana Behrman in ihrem Amsterdamer Büro getroffen und darüber gesprochen, wie Architektur zur Gesundheit des Menschen beitragen kann.

U
Büros
UNStudio
Scroll to Top