06.04.2016

Gewerbe

Mode und Mussolini – passt das zusammen?

Foto: Hans-Christian Schink

Es ist ein historisch belasteter Ort. Das ehemalige Expo-Areal EUR in Rom war Mussolinis Vision zum Jubiläum der Machtergreifung der Faschisten. Es blieb unvollendet und wurde später mit einfacher Moderne ergänzt. Jetzt wird eines seiner wichtigsten Bauwerke an eine Modemarke vermietet und löst damit eine Debatte aus: Wie wollen die Italiener mit ihrem historischen Erbe umgehen? Unser italienischer Autor begibt sich auf Spurensuche.

Stolz und einsam steht der Bau auf seinem Hügel. Mit seiner imposanten Masse fällt er vielen Touristen auf, die vom Flughafen durch das Autofenster plötzlich dieses monumentale Stadttor vor sich haben. Fragen sie den Taxifahrer, was das denn sei, kommt meist nur eine kurze Antwort: EUR. Den meisten reicht das. Nur sehr wenige werden das EUR-Gelände während ihres Urlaubs besuchen. Es sei denn, sie sind ausgewiesene Architekten und Architekturkenner.

Der „Palazzo della Civiltà Italiana“ – der Palast der italienischen Zivilisation – ist zunächst einmal ein faschistischer Prachtbau. Er steht allerdings für sehr viel mehr als nur den Größenwahn Benito Mussolinis. Mit seiner bewegten Geschichte ist er ein Fanal im Umgang Italiens mit dem Erbe seiner zwanzigjährigen Diktatur. Die Auseinandersetzung mit ihren Spuren war in der Nachkriegszeit probmelatisch – und ist es, nach all den Jahrzehnten, auch noch heute.

 

Zwei Kulturen, zwei Haltungen

Vor zwei Jahren hat der italienische Regisseur Giulio Ricciarelli dem Umgang mit dem Faschismus-Erbe seinen letzten Film gewidmet – allerdings mit Fokus Deutschland. „Im Labyrinth des Schweigens“ erzählt von einem jungen deutschen Staatsanwalt, der zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders gegen das Vergessen und Verschweigen in seinem Land kämpft. Mithilfe glänzender Glasfassaden, 50-Jahre-Autos und hochtoupierter Frisuren zeichnet Ricciarelli ein Land, das sich nur eines wünscht: vergessen, nicht wissen. Da die meisten architektonischen Spuren der brutalen Diktatur verschwunden waren, konnten oder wollten die Menschen im Land Adenauers – der den Wunsch seines Volkes nur zu gut kannte – die Augen verschließen und ehemalige Amtsträger im Nationalsozialismus bedenkenlos eingliedern. Als ob nichts geschehen wäre. Das ging in Italien so nicht. In einem Land, das das Bewahren der historischen Schichten zu einem seiner Grundprinzipien erhoben hat, hätte das systematische Tilgen der eigenen Vergangenheit auf keinen Fall stattfinden können. So schwach die Begeisterung bei den Italienern war, sich im Krieg zu engagieren, so gering war dort die Wut auf die vergangene Diktatur: Man riss zwar die auffälligeren Symbole des Faschismus ab und schloss Protagonisten des abgeschafften Regimes aus der Politik aus, entwickelte aber neben den räumlichen Spuren und Zeugen der Vergangenheit ein neues demokratisches Leben. Die faschistischen Gebäude wurden bald nicht mehr als belastet wahrgenommen und bedenkenlos weitergenutzt. So ist es etwa noch möglich, im „Foro Italico“, den monumentalen, von 1928 bis 1938 errichteten Sportstätten im Norden Roms, den Mussolini gewidmeten Obelisk zu sehen – was viele deutsche Touristen schockiert.

Um die italienische Haltung zur faschistischen Vergangenheit zu verstehen, muss man in die örtliche Mentalität eintauchen: Einerseits wollten die Italiener nach dem Ende der Diktatur das unbequeme Kapitel ihrer Geschichte weder manipulieren noch verbergen. Man wollte anders handeln als die Faschisten. Die hatten ihrerseits in ihrer Verherrlichung des römischen Kaiserreichs nicht davor zurückgeschreckt, Zeugnisse des Mittelalters oder Barocks zu zerstören. Auf der anderen Seite begriffen die Italiener, dass es um die Bildung eines kritischen Bewusstseins angesichts ihrer Vergangenheit geht, das in den neuen demokratischen Institutionen gefördert werden sollte. Ein bloßes Gebäude konnte also keine alten Idole wieder aufleben lassen. Schließlich hätte der Abriss auch viel gekostet in einem Land, das eben durch den Krieg verwüstet worden war. Ganz pragmatisch, ganz unproblematisch, sehr italienisch.

Mehr dazu finden Sie im Baumeister 4/2016

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