Baumeister
  • Menu
  • Architektur
  • Porträt
  • Diskurs
  • Produkte
  • Jobs
  • Curated
  • Shop
  • e-Paper

Baumeister

Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los

von Eike Becker
25.10.201928.10.2019
< zur Blog-übersicht
  • Kolumnen

Die Diskussion geht hoch her. In Berlin hat sie angefangen, mittlerweile ist sie auf ganz Deutschland übergeschwappt. Und jetzt hat ihn Berlin eingeführt: den berüchtigten Mietendeckel. Warum der nicht die Lösung sein kann und was das alles mit Goethe zu tun hat, erklärt Ihnen unser Kolumnist Eike Becker.

Während einer Radtour stand ich vor dem Goethe Gartenhaus im idyllischen Ilm Park in Weimar. Mir fiel eine Schulstunde ein, an der ich als Vater meines Sohnes teilnehmen durfte, bevor er aufs Gymnasium wechselte. Im Unterricht wurde die Ballade “Der Zauberlehrling” von J. W. von Goethe besprochen. Alleingelassen probiert der Zauberlehrling seine Künste an einem Besen aus, den er in einen wasserschleppenden Knecht verwandelt. Ein lustiges Spielchen. Nach anfänglichem Stolz auf seine Kräfte merkt der Lehrling aber, wie er der Situation nicht mehr gewachsen ist.

Ein gutes Bild für den Zustand derjenigen, die gerade mit der Produktion von Stadt beschäftigt sind. Aus der Perspektive der vorrangig privaten Immobilienwirtschaft ist viel zu tun und ganz viel zu verdienen. Die Wassereimer fliegen nur so heran und könnten immer noch mehr in die eigenen Kassen spülen. Riesige Geldmengen drängen wie von Zauberhand in den Immobilien-Bereich, die Preise und Kosten folgen blind den Marktgesetzen und steigen, Mieterhöhung folgt auf Mieterhöhung, ein grandioses Fest für die besitzenden Akteure. Probleme sind in der Regel die Probleme der anderen.

„Seht, er läuft zum Ufer nieder,
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
und mit Blitzesschnelle wieder
ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
voll mit Wasser füllt!“

Zauberwort Mietendeckel

Aber die Dynamik der wundersamen Geldvermehrung für wenige gerät für viele andere außer Rand und Band. Fast alle Städte stehen unter Druck. Besonders in der Mieterstadt Berlin steigen die Mieten rasant. Die Gesellschaft scheint es fast auseinander zu reißen. Nun hat der Berliner Senat ein Eckpunktepapier beschlossen, das schon im Oktober, als Gesetz verabschiedet, die Wohnungsmieten für die nächsten fünf Jahre einfrieren soll.

Der Satz „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“ beschreibt sehr anschaulich auch das Dilemma einer Politik, die den Zuzug herbeigesehnt hat – und als er dann kam, kaum mehr getan hat, als verwundert zu staunen. Jetzt weiß sich der Senat nicht anders zu helfen, als auf die dramatischen Veränderungen mit Zaubersprüchen zu reagieren. Das Zauberwort heißt Mietendeckel.

Und hier endet die Parallele zur Ballade auch schon. Städtebau ist beharrliche, langfristige, vorrausschauende Planung. Und harte, verständige, zumeist langweilige Arbeit. Mit Stadtplanung kann man im politischen Kontext selten punkten. Beschlüsse für neue Verkehrstrassen oder Neubauviertel führen selten zu Applaus, eher zu Protesten aufgebrachter Anwohner. Zu spät sind die Früchte der eigenen Anstrengungen sichtbar. Selbst wenn nach Jahren die neuen Quartiere fertig gebaut sind, sehen die mit den kleinen Bäumchen und leeren Erdgeschossen mickriger und kahler aus, als die schönen alten. Dann gibts viel Kritik und wenig Lob. So oder so sind die Politiker, die sie beschlossen haben, in der Mehrheit bereits wieder abgewählt.

Zu Zeiten von Ofenheizung und Außenklo

Und jetzt sollen die Mieten in Berlin politisch festgesetzt werden, soll die marktwirtschaftliche Preisbildung nicht nur runtergekühlt, sondern gefrostet werden. Im Wesentlichen zur Beruhigung der Mieter. Denn die sind Wähler. Und 85 Prozent der Wohnungen in Berlin sind Mietwohnungen. Es geht um den medial vervielfältigten Eindruck: Die da oben tun was für uns da unten. Die greifen durch. Setzen sich für uns ein. Einige Wohnungsbaugesellschaften reagieren sogleich und kündigen an, ihre Mieten nicht zu erhöhen. Da jubelt der Zauberlehrling und wähnt sich gleich am Ziel.

Aber der Trick funktioniert nicht. Das erkennt auch der Wähler, der in einer Schlange von 100 Bewerbern für eine Wohnungsbesichtigung steht. Auch wenn die Miete feststeht, wird sich der eine bestqualifizierte, sprich bonitätsstärkste über die Wohnung freuen, die anderen 99 gehen leer aus. Vielleicht lassen sich einige auch eine hohe Abstandszahlung einfallen, oder den Vermietungsaufwand bezahlen oder die Möbel abkaufen. So oder so nutzt die Mietpreisbremse nur kurzfristig denen, die eine Wohnung haben. Aber auch die werden schnell erkennen, dass die erforderlichen Instandsetzungen nicht erfolgen. Denn die eingefrorenen Mieten werden mit den gestiegenen Handwerker-, Gartenpflege-, Hausmeister- oder Baurechnungen nicht mithalten und Vermieter werden sich mit Investitionen zurückhalten.

Westberlin hat sogar schon mal bis in die späten 80er Jahre einen Mietendeckel gehabt. Zahlreiche Wohnungen hatten deshalb noch Ofenheizungen und Außenklo. Dann hob der damalige Berliner Senat den Mietendeckel auf, um für den heruntergekommenen Wohnungsbestand Modernisierungen zu ermöglichen.

Lösung: Stadtverdichtung

Vermieter verhalten sich vorrangig profitorientiert. Wer kann, erhöht sobald als möglich die Miete. Deshalb ist das Verhältnis von Mieter und Vermieter in Deutschland stark reguliert. Mieter werden in wesentlichen Teilbereichen geschützt. Aber auch das hat bisher nicht die radikalen, für die Stadtgesellschaft katastrophalen Entwicklungen verhindern können.

Geeignete Werkzeuge für eine Anpassung des Mietrechts wären etwa das Erschweren der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, ein Kündigungsschutz für Senioren, mehr Schutz vor Luxusmodernisierungen (z.B. Balkone, Aufzüge für die alternde Gesellschaft oder Klimaschutz durch eine energetische Sanierung) und höhere Hürden für Eigenbedarfskündigungen. Aber auch da ist schon viel zu Gunsten der Mieter geregelt.

Eurostat rechnet damit, dass 2030 in Deutschland 3 Millionen Menschen mehr leben als heute. Die allermeisten davon in den Städten. Die Lösungen liegen also im Baurecht und in der Mobilität. Die einzige nachhaltige Lösung für die Schaffung von bezahlbaren Wohnungen ist der Neubau von gut erschlossenen, bezahlbaren Wohnungen. Deshalb müssen die Städte unbedingt dichter werden. Weil dichte Städte leistungsfähiger sind. Dichte Städte sind Städte mit kurzen Wegen. Sie sind ökologischer, ökonomischer, sozialer und kreativer. Hier kommen Menschen zusammen, hier ist das quirlige Leben, hier bieten sich die beruflichen und privaten Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes, kreatives und entwicklungsfähiges Dasein.

Bewahren, Schützen, Einfrieren

Die neugeschaffenen urbanen Gebiete sind ein erster Anfang. Aber bei weitem zu zaghaft. Ich spreche nicht von einer GFZ von 3, sondern von über 5, wenn die ÖPNV-Erschließung angemessen gesichert ist. Mit der entsprechenden Infrastruktur und einem öffentlichen Raumkonzept, das den stark veränderten Bedürfnissen entspricht. Erst dann kann die Art von städtischer Struktur aus kompaktem Bauvolumen und öffentlichen Räumen entstehen, die die kreative, offene Stadtgesellschaft braucht.

Mit einem ausgebauten, enger getakteten ÖPNV lassen sich im Zusammenwirken mit privaten Sharing-Anbietern weite Gebiete über die Stadtgrenzen hinaus attraktiver machen. Die Potenziale sind riesig. Aber die Ausweisung von Baugebieten, die Schaffung von Bebauungsplänen und die Genehmigung von Bauanträgen dauert viel, viel zu lange. Die personell abgebauten Behörden kommen nicht hinterher und gewinnen im Wettbewerb um die Talente keine neuen Kolleginnen.

Und schließlich: Der politische Meinungsbildungsprozess dauert in den mit Laien besetzten Parlamenten unfassbar lange. Hier regiert die Furcht, Fehler zu machen. Und so bleiben Bewahren, Schützen, Deckeln, Einfrieren ganz oben auf der Agenda.

Wie heißt es noch im Zauberlehrling:

„O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
steh doch wieder still!“

vorheriger
artikel

FIFA zocken und Prosecco trinken

nächster
artikel

Sonderführung mit…

Top-Jobs

Es ist schön, bei uns zu arbeiten! Landschaftsarchitekt (m/w/d) LP 5-8 in Essen gesucht! Planergruppe Oberhausen Essen seit 25.1.2021
Architekt/-in (Dipl.-Ing., M.A.), m/w/d Bau-Consult Hermsdorf GmbH Gera seit 25.1.2021
Architekt / Innenarchitekt - Schwerpunkt Ausführungsplanung & Ausschreibung (w/m/d) Ippolito Fleitz Group GmbH Stuttgart seit 18.1.2021

Aktuelle Stellenangebote

Berufseinsteiger mit abgeschlossenem Studium der Architektur th. bub Architekten [ Frankfurt am Main 25.1.2021
Architekt (m/w/d) für PROJEKTLEITUNG in LPH 1- 7 in Berlin Bollinger + Fehlig Architekten Berlin 25.1.2021
Praktikant*in . Werkstudent*in schürmann dettinger architekten München 25.1.2021
Weitere Stellenangebote anzeigen


Baumeister Newsletter - immer auf dem Laufenden

Jetzt abonnieren

Jahresinhalte

Was ihnen
vielleicht
auch
gefällt

mehr davon
anzeigen

  • Lasst uns spielen

  • Heimat

  • Von Ottern und Institutionen


Newsletter jetzt abonnieren
  • facebook
  • twitter
  • Instagram
nach oben

mehr von Baumeister

Follow Us

  • Like
  • follow
  • Instagram

UNSER NEWSLETTER

Bleiben Sie auf dem Laufenden!

Jetzt abonnieren
  • Menu
  • Academy
  • Media
  • Newsletter
  • Kontakt
  • AGB
  • Impressum
  • Datenschutz
  • Themenspezial: Zukunft Bauen
Nichts verpassen!
Abonnieren Sie unseren Newsletter
Freuen Sie sich auf aktuelle Trends, Umfragen, Projekte, kostenlose Leseproben und Sonderangebote!
Abonnieren
Einfach ausprobieren, Sie können den Newsletter jederzeit abbestellen.

Der Versand des Newsletters erfolgt in Übereinstimmung mit unserem Datenschutz.
close-link
Wir verwenden bei Ihrem Besuch auf unserer Webseite Cookies. Indem Sie unsere Webseite benutzen, stimmen Sie unseren Datenschutzrichtlinien zu.Akzeptieren Mehr erfahren
Privacy & Cookies Policy

Privacy Overview

This website uses cookies to improve your experience while you navigate through the website. Out of these, the cookies that are categorized as necessary are stored on your browser as they are essential for the working of basic functionalities of the website. We also use third-party cookies that help us analyze and understand how you use this website. These cookies will be stored in your browser only with your consent. You also have the option to opt-out of these cookies. But opting out of some of these cookies may affect your browsing experience.
Necessary
Always Enabled

Necessary cookies are absolutely essential for the website to function properly. This category only includes cookies that ensures basic functionalities and security features of the website. These cookies do not store any personal information.

Non-necessary

Any cookies that may not be particularly necessary for the website to function and is used specifically to collect user personal data via analytics, ads, other embedded contents are termed as non-necessary cookies. It is mandatory to procure user consent prior to running these cookies on your website.