Für den Strand von Miami Beach entwarf der US-amerikanische Architekt William Lane neue Strandwächterposten. Von rein funktionalen Konstruktionen, die allein einem möglichst guten Überblick von Strand und Küste dienen, sind Lanes Lifeguard Towers jedoch weit entfernt. Mit knalligen FarbenFarben: Verschiedene Empfindungen, die durch Licht unterschiedlicher Wellenlänge erzeugt werden. und skulpturalen Formen scheint der Übergang zwischen Architektur und Kunstwerk fließend.
Knallig-bunte Strandaufsicht
Am Strand von Miami Beach beaufsichtigen 36 neue Lifeguard Towers die Küste. Entworfen hat diese hölzernen Wachhäuschen, die nicht nur mit knalligen Farbkombinationen auffallen, der US-amerikanische Architekt William Lane. In einer Reihe stehen sie entlang eines sieben Meilen – mehr als elf Kilometer – langen Strandabschnitts. Dieser erstreckt sich von der südlichen Spitze von Miami Beach bis zur 87th Street.
Sechs neue Lifeguard-Tower-Prototypen
Lane begann zunächst Bildhauerei zu studieren, bevor er zur Architektur wechselte. Sein Interesse an einer narrativen Gestalt mit einem Hang zum Skulpturalen, Surrealen ist ihm aber geblieben. Besonders ein kleines Werk machte ihn weltweit bekannt: 1995 wurde er zum ersten Mal beauftragt, fünf Wasserwachtstationen für den Strand von Miami Beach zu entwerfen. Diese sollten die Wachstationen ersetzen, die der Hurrikan Andrew 1992 zerstört hatte. Eine der fünf Wachtstationen – ein rundes Häuschen in Pink und Orange – entstand in Zusammenarbeit mit dem Künstler Kenny Scharf.
Lanes poppig-heitere Wachhäuschen erregten anschließend viel Aufmerksamkeit und wurden zum Markenzeichen für den Strand. 20 Jahre später trat die Stadt Miami Beach erneut an ihn heran: Er sollte sechs neue Prototypen entwerfen.
Markante Silhouetten mit Schwung
Von jedem Prototyp der Lifeguard Towers gibt es sechs Ausführungen in unterschiedlichen Farbpaletten: pudriges Flieder und leuchtendes Lila treffen auf knalliges Orange, Grasgrün wird mit Türkis und Dunkelblau kombiniert. Insgesamt entstanden 36 Strandwächterposten, die heute zum Meer hinausblicken. Jeder dieser Posten steht auf einem Unterbau aus Holzbalken und Stahlstreben, der auf einer Art Schlitten ruht. Statt fest im Sand verankert zu sein, sind die Wachtposten so transportfähig. Dadurch können sie zum Beispiel bei drohenden Hurricanes hinter die Dünen verfrachtet werden. Die Konstruktion des Unterbaus erhebt die Kabine sowie die Aussichtsplattform eines Wachtpostens acht Fuß – etwa 2,4 Meter – hoch über den Sand. Die Holzrahmen-Konstruktionen der Kabinen sind mit Stehfalz-Aluminiumdächern gedeckt.
Während einer der Prototypen sich durch seine runden Formen aus der Reihe der sechs abhebt, sorgt bei den anderen vor allem die jeweilige Form des Kabinendachs für die markanten Silhouetten. Bei vier der sechs Prototypen zieht sich das Dach von der dem Meer zugewandten Seite in einem – unterschiedlich ausgeformten – Schwung bis zur Rückseite des Häuschens. Die seitlichen Wände füllen die Form des Dachs dann sozusagen aus. Sie sind ebenso wie die dem Meer zugewandte FassadeFassade: Die äußere Hülle eines Gebäudes, die als Witterungsschutz dient und das Erscheinungsbild des Gebäudes prägt. lotrecht zur Plattform ausgeführt. Ein weiteres, flaches Dach kragt aus dem Kabinenkörper hervor. Dieses sorgt für den notwendigen SchattenSchatten: Eine dunkle oder abgedunkelte Fläche, die durch Abschattung oder Blockierung des Tageslichts entsteht. auf der Aussichtsplattform.
Schräge Zacken, wellenförmige Schwünge, gekurvte Treppen
Während sich bei einem der Prototypen das Dach wellenförmig zum oberen AbschlussAbschluss: Ein Abschluss bezieht sich auf den Abschluss eines Bauteils oder eines Systems, um den Energieverlust zu minimieren oder den Wärmeschutz zu verbessern. der rückwärtigen FassadeFassade: Die äußere Hülle eines Gebäudes, die als Witterungsschutz dient und das Erscheinungsbild des Gebäudes prägt. hin schwingt, lassen bei einem anderen die radial abstehenden Zacken etwa an das Fragment eines Sterns denken. Zwei weitere Prototypen der Lifeguard Towers weisen unterschiedlich abgerundete Schwünge in der Dachform auf.
Bei dem fünften Prototyp ist nicht nur das Profil variiert. Denn die Zacken dieses Dachs sind leicht schrägt gestellt und ragen über die seitlichen FassadenFassaden sind die Außenwände von Gebäuden, die zur Straße hin sichtbar sind. der Kabine hinaus. Man könnte meinen, die zwei Zacken bilden mit abfallenden Flächen zur Mitte des Dachs hin das Negativ eines Satteldachs.
Ein sechster Prototyp weist im Gegensatz zu den anderen vor allem weiche Formen auf. Das überstehende Dach ist kreisförmig, die Plattform ist rund und die Treppe führt kurvig geschwungen deren Form fort, der Grundriss der Kabine ist eine Kombination aus Kreis- sowie Polygonsegmenten.
Miami Beach Lifeguard Towers: Blick aufs Meer
Die Architektur der Wachhäuschen sei zwar einerseits auf die Funktion ausgerichtet, für die sie errichtet wurden, andererseits hätten sie aber auch eine darüberhinausgehende Funktion. „They are activators of public space – in this case of the beach. They are anthropomorphic and provide the shoreline with a unique formation of characters that are an expression for the identity and culture of the region”, so William Lane. Er sieht in den Wachhäuschen demnach die Möglichkeit, den Strand als öffentlichen Raum und dessen Erfahrung mitzugestalten.
Lane zieht unter anderem auch einen Vergleich zu den Moai der Osterinseln, den monumentalen Steinskulpturen. Während jedoch die meisten dieser steinernen Figuren dem Meer den Rücken zuwenden und in Richtung Landesinnere blicken, sind die Lifeguard Towers auf das Meer ausgerichtet. Mit ihrer erhobenen Position dienen sie jedoch nicht etwa der ÜberwachungÜberwachung: Die Überwachung bezeichnet die systematische Kontrolle eines bestimmten Bereichs oder Objekts mithilfe von technischen Sensoren oder menschlichem Personal, um mögliche Gefahren zu erkennen und rechtzeitig zu reagieren., sondern vielmehr der Auf- oder Übersicht, um in Not geratene Strandbesucher ausfindig zu machen.
Mit ihren ungewöhnlichen Formen erscheinen die Wachhäuschen fast wie Skulpturen. Der Übergang zwischen Kunstwerk und Architektur scheint hier fließend. Lane verbindet in seinen Prototypen für die Miami Beach Lifeguard Tower Anspielungen sowie Bezüge unterschiedlichster Art – biomorphe und techno-fluide Formen, leuchtende FarbenFarben: Verschiedene Empfindungen, die durch Licht unterschiedlicher Wellenlänge erzeugt werden., Anklänge an Retro-Futurismus und Art Deco. In seiner Beschreibung verweist Lanes Büro unter anderem auf den Animismus oder die Biomimikri, die den einzelnen Wachhäuschen eigen sind. Durch die unterschiedlichen Gestaltungen scheinen die einzelnen Wachhäuschen je einen eigenen „Charakter“ zu haben. Die Assoziationen, die die Formen wecken können, sind zudem zahlreich.
Ebenfalls interessant: Bei dem Stichwort Kubismus fallen uns gleich bekannte Maler und Bildhauer ein. Doch auch auf die Architektur hatte der Kubismus einen wichtigen Einfluss. Wie genau das aussah, erfahren Sie hier: Kubismus