Marseille besuchen und in der Unité von Le Corbusier übernachten? Eine gute Idee! Doch bevor ich ins Schwärmen komme – über den „menschlichen Maßstab“, die Original-Farben, -Details, -Ausstattung und den herrlichen Blick aufs Meer beim Frühstück! – gibt es einiges, was man vor der Anreise beachten sollte. Schließlich kann ich hier glaubwürdig berichten, denn ich habe eine Woche lang rotierend jede Nacht ein anderes der sehr unterschiedlichen Zimmer getestet. Le Corbusier hat ja, wie man weiß, das ganze Haus nach dem Modulor entwickelt, und das kann bedeuten, dass der heutige Besucher diesem Proportionssystem entwachsen ist. Anders ausgedrückt, Deckenhöhen und Türdurchgänge können auf große Menschen nach ein, zwei Tagen seelisch belastend wirken, ähnlich wie eine Zwangsjacke – ist es Zufall, dass sich auffallend viele Psychiater in der Unité niedergelassen haben?
Einige der Hotelzimmer sind tatsächlich nur 1,87 Meter breit, wie der Name „Chambre Cabine“ andeutet. Schmerzlich bewusst wird einem Le Corbusiers Maxime der „Minimierung der individuellen Einheiten zugunsten einer Maximierung von kollektiven Einrichtungen“. Das Chambre Cabine kann man zwar zu zweit bewohnen – es kostet nur 70 Euro –, man sollte sich aber sehr gut verstehen. Empfehlenswert ist dagegen ein „Grande Chambre“, egal ob „Vue Mer“ oder „Vue Parc“. Außerdem liegt die Unité heute in einer Art Gewerbegebiet – rundum gibt es mehr Autohäuser als Gaststätten. Hat das hoteleigene Restaurant im August geschlossen, kann die Versorgungslage schnell prekär werden. Die von Le Corbusier geplante, lebendige interne „Ladenstraße“ im dritten Stockbezeichnet den Rahmen, der insbesondere bei Türen und Fenstern um das bewegliche Element herum angebracht wird. Er dient zur stabilen Integration des beweglichen Teils in die Wand und ermöglicht es, die Türen oder Fenster zu öffnen und zu schließen. Ist bis auf einen kleinen Bäcker verwaist. Falls man also mit dem Flugzeug oder TGV anreist und ohne Auto unterwegs ist, bleibt einem nur die Busverbindung in die Stadtmitte. Man sollte sich wappnen: Marseille ist ein raues Pflaster – spätabends im Busbahnhof kann man sich in zweifelhafter Gesellschaft wiederfinden. Beunruhigt blickt der Hotelgast auch auf die notdürftig reparierten Zimmertüren, die wohl allesamt schon einmal aufgebrochen worden sind. Die extrem sparsame Beleuchtung in den Fluren fördert das Vertrauen außerdem nicht. Doch nun noch schnell die gute Nachricht: Das Hotel Le Corbusier liegt an der inneren Straße im dritten Stock. Dort hinauf rumpelt quietschend ein alter Aufzug. Etwas zögerlich bezieht man daher das Chambre A, das sich direkt neben dem Lift befindet. Aber siehe da: Das Haus verfügt über eine ausgezeichnete SchalldämmungSchalldämmung: Die Schalldämmung bezeichnet die Absorptions- und Reflexionseigenschaften eines Materials oder einer Wand gegenüber Schallwellen., Tragwerk und eingeschobene Raumzelle wurden strikt getrennt. Die Konstruktion stammt von keinem geringeren als Jean Prouvé und funktioniert. Damit ist Chambre A eindeutig erste Wahl. Also, lassen Sie sich nicht abhalten – die Unité ist ein einmaliges Erlebnis!
Adresse
Hôtel Le Corbusier
La Cité radieuse
280 Boulevard Michelet
13008 Marseille
www.gerardin-corbusier.com