27.12.2021

Architektur Event

Die Ressource vor der Haustür

28.05.2018 Bechstedt: Auftakt-Treffen zum kooperativen Werkstattverfahren “Zukunftsfähiges Landschaftsbild Schwarzatal” der Internationalen Bauausstellung Thüringen IBA. Foto: Thomas Müller

Noch spielt Holzbau in Deutschland nur eine Nebenrolle. Das gilt auch für Thüringen. Dabei verfügt das Bundesland über ausgedehnte Wälder. Eine Riesenchance — auch für die lokale Wirtschaft. Denn Holz ist ein Schlüssel zu nachhaltigem Bauen. Darum hat sich die IBA Thüringen die Förderung des Holzbaus auf die Fahnen geschrieben. Dabei erhält sie tatkräftige Unterstützung. 

©IBA Thüringen, Foto: Thomas Müller

Holzbaukultur made in Thüringen

Holz ist zweifellos das nachhaltige Material der Stunde. Darin scheint sich die Architekturwelt trotz zeitweiliger Materialengpässe und damit verbundener Kostensteigerungen einig. Die Vorteile liegen dabei auf der Hand. Es ist nachwachsend, regional verfügbar, vergleichsweise leicht und ermöglicht einen hohen Vorfertigungsgrad, was die Bauzeit deutlich verringert. Hinzu kommen die ökologischen Vorzüge, denn mit jedem Holzelement, das in einem Bauwerk Verwendung findet, wird langfristig CO2 gebunden. Bei einer Bauwirtschaft, die weltweit für einen Großteil der Kohlendioxidausstöße sowie den Raubbau endlicher Rohstoffe verantwortlich ist, kann Holz also ein bedeutsamer Teil einer klimabewussten Strategie sein.

In Thüringen ist der Rohstoff Holz reichlich vorhanden; etwa 34 Prozent der Fläche sind mit Wald bedeckt. Geschätzt sind das rund 330 Millionen Bäume, davon zwei Drittel Nadelbäume, deren Holz sich zur Herstellung von Bauteilen am besten eignet. In erster Linie Fichten, Kiefern, Tannen, Douglasien und Lärchen. Trotz seiner Verfügbarkeit spielt Holz als Baustoff bislang jedoch kaum eine Rolle in Thüringen. Ganz im Gegensatz zur Schweiz und zu Österreich, wo Holzarchitektur bereits seit Jahrzehnten in der Baukultur verhaftet ist. Während an anderen Orten bereits Hochhäuser aus dem natürlichen Rohstoff errichtet werden, scheint in Deutschland das Vertrauen in Holz als zuverlässigen und nachhaltigen Baustoff erst ganz allmählich zu wachsen.

Den Holzanteil beim Bauen zu erhöhen, ist eines der Ziele, das sich die IBA Thüringen gesteckt hat. „Die Frage: ‚Können wir das auch in regionaler Holzbauweise realisieren?‛ ist bei jedem Projekt am Anfang gegeben“, erzählt Tobias Haag, einer der Projektleiter der IBA. „Holz unterstützt bei der konkreten Umsetzung unserer Projekte in vielfacher Hinsicht die Ziele der IBA. Deswegen ist es ein besonderes Querschnittsthema“, sagt Haag, der als Architekt selbst lange für ein renommiertes Schweizer Holzbaubüro tätig war. Durch seine Erfahrung gilt er als Experte auf dem Gebiet.

Dabei geht es jedoch nicht allein um Holz als bloßen Ersatz für energieintensivere Materialien. Auch mit Blick auf Architektur und Gestaltung sollen die Potenziale des Naturstoffs ausgereizt werden, betont Tobias Haag: „Die Modellprojekte sollen auch immer Innovation im Sinne des Auslotens neuer Möglichkeiten sein.“ Damit ist jedes einzelne Projekt auch kein in sich abgeschlossener Fall, sondern es kann als eine Art Forschungsgegenstand die Entwicklung voranbringen.

Ein gutes Beispiel ist das Timber Prototype House, das auf dem Gelände des Eiermannbaus in Apolda errichtet wurde. Der kleine Holzpavillon ist aus Fichtenholz-Rahmen konstruiert, die mittels Digitaltechnik entworfen und gefräst wurden. Auf diese Weise ist ein lebendig geschwungener Baukörper entstanden, wie man ihn von Holz zunächst nicht erwarten würde. Eingefräste Luftkammern ersetzen dabei eine zusätzliche Dämmschicht. Auf Verleimung und Schrauben konnte durch Verwendung von Holzdübeln fast gänzlich verzichtet werden. Technisch und ästhetisch kann der Prototyp damit als Wegweiser und Vorausblick in die Zukunft des Holzbaus gesehen werden.

IBA Projekt Timber Prototype House, ©IBA Thüringen, Foto: Thomas Müller

Ein Wald für die Zukunft

Doch zunächst noch einmal zurück zum Rohstoff. Wer nach den Gründen fragt, warum Thüringen bislang kein starker Standort für Holzbau ist, obwohl es so viel Wald gibt, der muss ebendort mit der Suche nach Antworten beginnen. Die Landesforstanstalt ThüringenForst ist hierfür der zentrale Ansprechpartner, denn sie bewirtschaftet nicht nur den thüringischen Staatswald, sondern besitzt zudem die Hoheit über den Gesamtwald. Der Staatswald macht rund 37 Prozent des gesamten Waldes im Bundesland aus, etwa 41 Prozent liegen in privater Hand. 16 Prozent sind im Besitz von Körperschaften wie Gemeinden und Landkreisen.

„Das ist ein sehr vielfältiger Wald, den wir hier haben“, erklärt Philipp-Emanuel Rehpenning, Mitarbeiter von ThüringenForst im Sachgebiet Holzvermarktung und Logistik. „Vom steilen Hang hin zur flachen ebenen Lage, von der Buche über Fichte und Kiefer sind fast alle Baumarten hier in Thüringen vertreten.“ Dabei ist im südlichen Teil des Thüringer Waldes mit Höhenlagen von bis zu 900 Metern vor allem die Fichte präsent. Im Norden Richtung Kyffhäuserkreis dagegen dominiert die Buche. Rehpenning ist überzeugt, dass man die vorhandenen Ressourcen vor der Haustür nutzen sollte: „Wir haben noch Potenzial in unseren jetzigen Wäldern. Das bedeutet: Der Wald ist produktiver als das, was wir aktuell nutzen.“ Nachhaltigkeit — ein Begriff der im Übrigen zum ersten Mal in einer forstwirtschaftlichen Abhandlung Anfang des 18. Jahrhunderts verwendet wurde — heißt für ihn jedoch nicht allein, weniger zu ernten, als nachwächst: „Wir müssen den Wald weiterentwickeln. Wir brauchen, um den Wald für die Zukunft fit zu machen, einen arten- und strukturreichen Mischwald.“

 


Wald unter Druck

Den Wald fit zu machen, scheint angesichts der klimatischen Veränderungen, die sich weltweit abzeichnen, dringend geboten. Extreme Wetterereignisse wie Sturm und Dürre prägten die letzten Jahre prägten hierzulande. „Und zu diesen extremen Ereignissen kamen dann eben noch günstige Bedingungen für die Vermehrung des Borkenkäfers, der insbesondere die Fichte angreift“, berichtet Rehpenning. Doch der fehlende Niederschlag habe sogar der Buche zugesetzt, die über viele Jahre in der Lehrmeinung als besonders robuste Baumart galt. Die Lösung liegt für den gelernten Förster daher in der Vielfalt: „Wir sollten weg von einer Baumart, die alles richten soll, hin zu einem Wald, der reich an Baumarten ist und auch viele Altersklassen mit sich bringt.“ Doch das entstehe nicht von allein: „Dort, wo wir reine Fichten- oder Buchenbestände haben, müssen wir einen bestimmten Input in Form von Pflanzungen leisten. Zudem können wir durch gezielte Pflege einzelne Baumarten fördern“, so Rehpenning. Naturschutz, Waldnutzung und Erholungsfunktion sind dabei für ihn insgesamt keine getrennten Kategorien, sondern lassen sich als Dreischritt problemlos zusammendenken. ‚Multifunktionale Forstwirtschaft‛ ist hier das Stichwort.

©IBA Thüringen, Foto: Thomas Müller

Vom Baum zum Balken

Verfolgt man den Weg des Holzes auf dem Weg zum Bauwerk weiter, schließt sich nach dem Wald und dem Einschlagen der Bäume das Sägewerk an. Mehrere große und einige mittelgroße Sägewerke gibt es in Thüringen, die aus den rohen Baumstämmen Bretter und Balken fertigen, die dann zu Produkten weiterverarbeitet werden können. Doch an ebenjenen Unternehmen, die solche Verarbeitungs- und Veredelungsstufen leisten können, mangelt es hierzulande bislang. Die Folge ist, dass der Freistaat gleichsam Rohstofflieferant ist und einen Großteil des Holzes in andere Bundesländer oder auch andere Länder exportiert.

Die Firma Rettenmeier mit Hauptsitz im mittelfränkischen Wilburgstetten gehört zu den wenigen holzverarbeitenden Unternehmen, die an ihrem Standort in Hirschberg im südlichen Thüringen auch Produkte für die Bauindustrie, insbesondere Konstruktionsvollholz, herstellen. Dr. Stephan Lang, Geschäftsführer von Rettenmeier, stellt bei der Verbreitung des Holzbaus in Deutschland ein Nord-Süd-Gefälle fest: „Wir haben im Süden einen relativ starken Holzbau, der zum Norden hin abnimmt. Das hat weniger etwas mit dem Holzvorkommen zu tun, sondern eher mit der Prägung der Menschen. Es ist ja nicht allzu lange her, da galten Holzhäuser noch als etwas Minderwertiges.“ Für ihn liegt der Schlüssel daher darin, durch besonders gute Beispiele Vorurteile abzubauen: „Wenn man die Leute an einem tollen neuen Holzbau vorbeilaufen sieht, habe ich selten erlebt, dass jemand davon nicht begeistert war. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir beginnen, den Holzbau in Thüringen auch mit Leuchtturmprojekten zu etablieren.“

 


Bündnisse der Holzakteure

Doch nicht nur gesellschaftlich, auch politisch sieht Lang Nachholbedarf: „Wir haben in ganz Deutschland noch Landesbauordnungen, die den Holzbau benachteiligen. Holz sollte zwar nicht bevorzugt werden, zumindest aber gleichrangig neben Stein und Ziegel stehen.“ Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer ist Lang Vorstandsvorsitzender des Landesbeirats Wald und Holz. Dies ist ein Zusammenschluss verschiedener Akteure aus der Holzwirtschaft, der sich für die Stärkung der regionalen Wertschöpfungskette in Thüringen einsetzt und mit seinen Forderungen an die Politik herantritt.

In dem Landesbeirat Wald und Holz sind nicht nur die Industrie und Waldbesitzer organisiert, sondern auch Vertreter aus Forstwirtschaft und Wissenschaft. So etwa Prof. Erik Findeisen, Dekan der Fakultät Landschaftsarchitektur, Gartenbau und Forst an der FH Erfurt. Findeisen gehört durch die Hochschultätigkeit sowie seinen langjährigen Kontakt zu Waldbesitzern, Unternehmern und holzverarbeitenden Betrieben zu den wichtigsten Vernetzern im Bereich Wald und Holz in Thüringen. „Es ist wichtig, dass man ein gesamtheitliches Betrachten übt. Wenn wir nur an einzelnen Stellschrauben herumlaborieren, können wir am Ende keine Erfolge erzielen“, so Findeisen. Tatsächlich hat er einen Blick auf den Werkstoff Holz, der über Fragen von Ökologie und Wirtschaft hinausgeht: „In diesen strukturschwachen Regionen, wo das Holz wächst — vor allem im Thüringer Wald — haben wir eine massive Abwanderung von jungen Leuten, von Familien. Es fehlen Arbeitsplätze. Damit geht natürlich eine immer uninteressanter werdende Struktur an Dörfern einher. Ich bin überzeugt, dass man das umkehren kann, indem man genau diese Wertschöpfung wieder in den Thüringer Wald zurückholt.“

IBA Projekt Sch(l)afstall in Bedheim, ©IBA Thüringen, Foto: Thomas Müller

Holz als Motor für den Wandel

Es ist demnach auch eine gesellschaftliche Vision, die mit der Stärkung der Holzwirtschaft und des Holzbaus verbunden ist. Damit trifft das Holzbauthema einen Kernpunkt der IBA Bestrebungen — nämlich den ländlichen Raum wieder mit optimistischen Zukunftserzählungen zu erreichen und langfristig zu stärken. Dass dies wirklich gelingen kann, lässt sich an jenen Orten zeigen, die einen ähnlichen Schritt bereits gegangen sind. Insbesondere das österreichische Vorarlberg ist hierbei zu nennen. Dort hat sich die Holzarchitektur in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Markenzeichen entwickelt, angestoßen durch eine Reihe fortschrittlicher Bauwerke, in denen man progressive Formensprache mit Handwerkstradition verband. Vorarlberg gilt mittlerweile weltweit sowohl architektonisch als auch technisch-handwerklich als Avantgarde einer modernen Holzbaukunst. Ein Ruf, der auch auf die Gesamtregion ausstrahlt.

 


Den Weg für Holz ebnen

Bis ein solches Szenario für Thüringen zur Realität werden kann, sind freilich noch einige Hemmnisse zu überwinden. Im vergangenen Jahr hat der Freistaat Thüringen mit der Anpassung seiner Bauordnung immerhin den Weg für den verstärkten Einsatz von Holz weiter geebnet. Auch die Gestaltung mit Holz sollte stärker im Fokus stehen, so IBA Projektleiter Tobias Haag. „Für die Architektur ist Holz nicht nur wegen seiner ökologischen Bilanz relevant, sondern insbesondere wegen seines bildhaften und haptischen Potenzials, das bei einem materialgerechten Umgang spürbar und sichtbar werden kann.“

Doch nicht nur Gleichstellung wird von den Akteuren gefordert, auch konkrete Fördermöglichkeiten für den Holzbau halten viele für notwendig. Für Professor Findeisen muss dabei Raum für Innovation sein: „Es ist wichtig, dass man im Bereich der Forschung nach neuen Möglichkeiten schaut und auch Start-ups hilft, sich zu etablieren, Personal auszubilden und Arbeitsplätze zu schaffen.“ Für ihn brauche es dabei bloß eine Initialzündung: „Es muss ein Klima entstehen, in dem junge Leute auch wagen, solche Ideen überhaupt aufzugreifen und wieder Firmen zu gründen.“ Die Projekte der IBA Thüringen sind als ebensolche Zündfunken zu sehen, so etwa der Sch(l)afstall in Bedheim oder der geplante Um- und Neubau des Seesport- und erlebnispädagogischen Zentrums am Thüringer Meer.

IBA Projekt Seesport- und erlebnispädagogische Zentrum in Saalburg-Ebersdorf, ©IBA Thüringen, Foto: Thomas Müller

Ein Architekturstil für Thüringen

Fest steht: Es gibt zahlreiche Menschen in Thüringen, die enthusiastisch an die Möglichkeiten und Potenziale von Holz glauben. Im Jahr 2021 wurde unter Federführung der Stiftung Baukultur Thüringen beispielsweise eine weitere Holzbau-Allianz gegründet, bei der wesentliche Akteure entlang der Wertschöpfungskette Wald-Holz-Bau ihre Kräfte bündeln. Marta Doehler-Behzadi, Geschäftsführerin der IBA Thüringen, ist überzeugt davon, dass die Zeit für innovativen und zeitgenössischen Holzbau in Thüringen reif ist: „Die Chancen bestehen zum einen in einer engen Wechselwirkung von Wirtschaft und Wissenschaft, zum anderen in überzeugten Bauherrenschaften, die nun verstärkt in Holz bauen. Die IBA Thüringen bietet ein Gelegenheitsfenster, um Holzbau zum Thüringer Markenzeichen zu machen.“ Vielleicht kann Thüringen einst sogar einen ganz eigenen landestypischen Architekturstil entwickeln, getragen von nachhaltiger Waldwirtschaft, hochwertiger Verarbeitung und zeitgemäßen gestalterischen und technischen Formen.

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Unterstützung der IBA Thüringen.

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