06.11.2017

Wohnen

Können Genossenschaften die Gentrifizierung aufhalten ?

 

Ein blau-orangefarbener Kasten, platziert an einer Straßenkreuzung, befüllt mit Wehrhaftigkeiten, überzogen mit dem Schriftzug „Degentrifikator“. In ihm finden sich Spraydosen, Pflanzensamen und Brettspiele. Diese Utensilien sollen den Münchnern im Kampf gegen das Schreckgespenst Gentrifizierung helfen, das ihre Stadt einzunehmen droht. Die Aktivisten der Degentrifikator-Kästen nutzen den Namen der Unesco, um ihrer Aktion mehr Authentizität zu verleihen. Es sind zahlreiche öffentliche Aktionen, die gegen die Gentrifizierung kämpfen: Die Aktivisten wehren sich gegen steigende Mieten, protestieren gegen die Homogenisierung ganzer Stadtviertel oder demonstrieren gegen soziale Ungleichheit. Ob es immer „Künstler, Kreative und Entwickler“ sind, die ein Viertel in das dunkle Tal der Gentrifizierung ziehen? „Die Aktivisten, welche meist aus Studierenden bestehen, sind oftmals selbst Treiber dieser Entwicklung“, sagt dazu Christiane Thalgott. Die Architektin, Stadtplanerin und ehemalige Stadtbaurätin von Kassel und München steht derartigen Aktionen kritisch gegenüber. „Sie sind auf der einen Seite mit Schuld an der Gentrifizierung, weil sie in günstige Stadtviertel ziehen und auch dort wohnen bleiben möchten, wenn sie nach dem Studium mehr verdienen. Andererseits drehen sie sich bei solchen Aktionen immer um sich selbst.“ Es gehe diesen Menschen eben nicht um Oma Ilse oder Onkel Heinz-Erhardt von nebenan, sondern um den eigenen Bestandsschutz.

Die Protestaktionen der Gruppe B.Ü.F.F.E.L. bestätigen dies. Vor einigen Jahren klebte sie Plakate mit ironischen Slogans gegen die Gentrifizierung in Münchner Viertel. Als Grund gaben die Studierenden in einem Interview an: „Es geht uns nicht primär um Authentizität, sondern vor allem um Freiräume. Um Orte, an denen man auch einmal laut sein kann und das Zusammenleben trotzdem funktioniert.“ Den studentischen Aktivisten ging es also um den Erhalt ihres gewohnten Umfelds, in dem man ohne Einschränkungen laut Party machen kann. Thalgott: „Es ist eine bürgerliche Diskussion. Die eigentlich Betroffenen haben nicht die kommunikativen Möglichkeiten, medienwirksam auf ihre Situation aufmerksam zu machen.“

Was lässt sich ändern? 

Zu denjenigen, die nicht laut trommeln, sondern sich aktiv in die Stadtentwicklung einmischen, gehören seit Beginn des letzten Jahrhunderts die Genossenschaften. Sie haben das Ziel, Wohnungen dem privaten Mietmarkt und damit der Preissteigerung zu entziehen. Gegen die Verdrängung ärmerer Bewohner. Die Münchner Wohnbaugenossenschaft „wagnis eG“ etwa stellt sich unaufgeregt gegen die Gentrifizierung und holt die betroffenen Menschen mit ins Boot. Sie setzt preisgekrönte Wohnprojekte um, der Fokus liegt auf Selbstbestimmung,Nachbarschaftlichkeit, kulturellen Angeboten, sozialer Durchmischung. „Eigentlich kämpfen wir bereits seit Jahrzehnten gegen die Gentrifizierung. Wir thematisieren es nur nicht so“, sagt Rut-Maria Gollan, Vorstandsmitglied der wagnis. „Denn die Verdrängung ist in unserer Stadt bereits seit vielen Jahren ein großes Thema, welches früher begann und schleichender vonstatten- ging als etwa in Berlin oder Dresden.“ Daher blieben in München in der Vergangenheit die lauten Protestwellen aus, die Anwohner traf es meist unvorbereitet. Anstatt sich in Protestgruppen zu engagieren, kümmerten sie sich lieber darum, eine neue Bleibe zu finden.

Ein preisgekröntes Projekt

Vergangenes Jahr erhielt ein Projekt der Wohnbaugenossenschaft den Deutschen Städtepreis. Es nennt sich „wagnisART“ und bietet ein Zuhause für Künstler und Kulturschaffende. Also denjenigen, die als Vorboten der Gentrifizierung gelten. Wollten sie einer solchen Entwicklung vorweggreifen? „Nein, es ist eher dem historischen Ort zu verdanken, dass hier der Fokus auf künstlerisch tätigen Bewohnern liegt“, erzählt Gollan. „Wir wollten den ansässigen Künstlern möglichst günstige Bedingungen bieten, doch kamen wir aus wirtschaftlichen Gründen hier leider an unsere Grenzen.“

Die Besonderheit des Projekts bestand in dem partizipativen Planungsprozess, in dem die künftigen Bewohner erst eigene Ideen erarbeiteten, welche später von den Architekten angepasst wurden. Die beteiligten Architekturbüros waren Bogevischs Buero Architekten & Stadtplan und  SHAG Schindler Hable Architekten. Als Landschaftsarchitekten wurden Auböck + Kárász aus Wien und Bauchplan aus München tätig. Knapp ein Drittel der Wohneinheiten bestehen aus Cluster-Apartments mit Gemeinschaftsflächen. Zusätzlich gibt es Ateliers, Praxisräume, Büros, Café, einen Veranstaltungsraum, Werkstätten, Gäste-Apartments und einen Dorfplatz. Das Projekt begann 2006, die Planung 2012.

Im August 2016 wurden die Gebäude fertiggestellt und bieten nun 138 Wohneinheiten. 30 Prozent der Wohnungen sind frei finanziert, 40 Prozent nach dem „München-Modell“, und weitere
30 Prozent unterliegen der Einkommensorientierten Förderung (EOF) des Freistaats Bayern. Das Passivhaus-­Ensemble erstreckt sich über einen Hektar.

Vorbilder für gemeinschaftliches und energieeffizientes Bauen

Die wagnis-Projekte setzen ein Zeichen gegen die von vielen ungewünschte Veränderung eines Stadtviertels. Insbesondere, weil sich viele von ihnen in Schwabing befinden, einem Stadtteil, der schon lange als gentrifiziert gilt. Das zieht Interessierte an. „Wir spüren deutlich, dass es derzeit einen regelrechten Run auf Genossenschaften gibt“, sagt wagnis-Vorstandsmitglied Gollan. Ihre eigenen Mitgliederzahlen seien allein im vergangenen Jahr um 500 auf rund 1.800 gestiegen.
Zudem gibt es diverse Genossenschafts-Neugründungen in der Stadt. „Uns wird eine sehr hohe Erwartungshaltung entgegengebracht. Das zeigt, dass der Druck größer wird“, sagt Gollan. Natürlich sind die wagnis-Wohneinheiten zahlenmäßig viel zu wenige, um ganze Viertel „zu retten“. Doch die Stadt reserviert immerhin 30 bis 40 Prozent der Grundstücksflächen für Genossenschaften. Für Gollan eine gute Möglichkeit, positiv auf die Veränderungen einzuwirken: „Wir sehen uns als Keimzelle, aus der heraus die Nachbarschaft belebt werden kann. Der Gemeinschaftsgedanke wird gestärkt und auch in Neubauquartieren kann eine Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit im Quartier wachsen.“ Außerdem gehen häufig Vereine aus den Projekten hervor, die sich etwa für Senioren einsetzen und über die Quartiere hinaus wirken. Kürzlich wurde mit „Isarwatt“ sogar ein Energieversorger – mit mehreren Genossenschaften – gegründet. Oder projektübergreifende Mobilitätskonzepte entstehen.

Der Genossenschaftsgedanke geht somit über den bloßen Kampf gegen Gentrifizierung hinaus. Es geht zwar einerseits darum, die Quartiere zu durchmischen und bezahlbare Wohnungen der Spekulation zu entziehen. Andererseits wirken die Aktivitäten gegen Überteuerung und Privatisierung auch von Gewerbeeinheiten, gegen Vereinsamung als Folge der Individualisierung und stehen als Vorbilder für nachhaltiges und energieeffizientes Planen und Bauen. Über die Jahrzehnte seien die ausgefallenen Wünsche der Bewohner, wie ein Kino, den alltäglichen Bedürfnissen gewichen. Gollan: „Mich erschreckt es immer wieder, dass die Bewerber die tägliche Vernetzung als Besonderheit wahrnehmen. Das sollte doch ganz normal sein.“

Sind Genossenschaften also stark genug, der Gentrifizierung den Garaus zu machen? Für die ehemalige Stadtbaurätin Thalgott garantieren Genossenschaften Beständigkeit und günstige Mieten.
„Sie tragen mit ihren Konzepten zu einem verbesserten Sozialklima bei. Somit haben sie zumindest in Neubauquartieren die Chance, diese Veränderung in Zukunft zu bremsen.“ Die Gentrifizierung aber komplett aufzuhalten, das sei für Thalgott nicht möglich. Selbst alle Maßnahmen zusammengenommen würden dazu nicht ausreichen. „Warum auch? Die Stadt verändert sich stetig, das ist nicht aufzuhalten“, sagt Thalgott. Veränderungsprozesse könnten zwar verzögert, jedoch nicht aufgehalten werden.

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