07.07.2021

Öffentlich

H. C. Andersen-Museum von Kengo Kuma eröffnet

Im dänischen Odense eröffnete Ende Juni das Hans-Christian-Andersen-Haus. Der japanische Architekt Kengo Kuma entwarf das Museum, in dem Besucherinnen und Besucher in eine traumschöne Märchenwelt abtauchen. Den Märchengarten rundum entwarf das Kopenhagener Landschaftsarchitekturbüro MASU Planning.

Der dänische Schriftsteller H. C. Andersen ist in Odense geboren. (Foto: Nick Karvounis/Unsplash)

Nicht nur der Märchenonkel

Kennen Sie die Geschichte Des Kaisers neue Kleider von Hans Christian Andersen? Grob zusammengefasst geht sie so: Es war einmal ein modisch sehr versierter Kaiser, der die Aufmerksamkeit von zwei Betrügern auf sich zog. Diese gaben sich als Weber und Schneider aus und behaupteten, die luxuriösesten Stoffe herstellen zu können. Außerdem hätten die Stoffe eine wundersame Fähigkeit: Nur intelligente Menschen, die ihres Amtes würdig seien, könnten sie tatsächlich sehen.
Selbst wenn Sie das Märchen nicht kennen, wird Ihnen klar sein, wo die Geschichte hinführt: Die Betrüger steckten die teuren Rohstoffe in ihre Taschen, während sie Luft webten und schneiderten. Niemand traute sich, dem Kaiser das Offensichtliche zu sagen – alles Humbug! – aus Angst, sich als dumm und inkompetent zu outen. Schließlich paradierte der Herrscher nackt durch sein Volk, im Glauben prächtig gekleidet zu sein.

Während dieses Märchen und die Vorstellung des nackten Kaisers inmitten seiner Untergebenen bei Kindern bestimmt zu Belustigung führt, ist die Botschaft für Andersens erwachsene Leserinnen und Leser doch auch deutlich: Denkt kritisch und folgt nicht blind dem Konsensus. Hans Christian Andersen war nie der lustige Geschichtenerzähler, der mit seinen Erzählungen nur Kinder unterhalten wollte. Seine Geschichten enthielten oft scharfe Sozialkritik oder waren bissige Satiren seiner Umwelt.

Die Stadt Odense ist stolz auf H. C. Andersen. Hommagen wie dieses Wandbild sind überall zu finden. (Foto: HC Andersens Hus, Laerke Beck Johansen)

Neuartiges Museum von Kengo Kuma

Obwohl Andersen auch Anderes schrieb, Reiseberichte etwa, waren es die Märchen, die seinen Ruhm begründeten. Die Prinzessin auf der Erbse, Das hässliche Entlein, Die kleine Meerjungfrau und Das Mädchen mit den Schwefelhölzern – ingesamt 156 Märchen verfasste Andersen.

H. C. Andersen kam 1805 im dänischen Odense zur Welt. In Odense ist man natürlich stolz auf den großen Sohn der Stadt: Sein Elternhaus wurde in ein Museum umgewandelt. Mehrere Statuen und ein großes Wandgemälde erinnern ebenso an ihn wie Skulpturen seiner Märchenfiguren, die sich über ganz Odense verteilt finden. Auch der örtliche Flughafen ist nach ihm benannt.

Der japanische Architekt Kengo Kuma hat das neue H. C. Andersen-Museum in Odense entworfen. (Foto: HC Andersens Hus, Laerke Beck Johansen)

Jetzt hat Odense eine neue Andersen-Sehenswürdigkeit: Ende Juni 2021 eröffnete „H. C. Andersens Hus“. Das neue Museum will aber nicht in erster Linie Informationen über Andersen vermitteln. Stattdessen erlaubt es den Gästen, in seine Märchenwelt einzutauchen, seine Sichtweise einzunehmen.

Kengo Kuma hatte den Anspruch, das Museum mit der Natur rundum zu verschmelzen. (Foto: HC Andersens Hus, Laerke Beck Johansen)

Dualität im Museumsgarten

Das Museumgebäude, das der japanische Architekt Kengo Kuma dafür im Zentrum von Odense errichtet hat, stellt eine Hommage an den Schriftsteller dar. Beim seien Entwurf ging es Kuma darum, jene Gegensätzlichkeit der Welt zum Ausdruck zu bringen, die Andersen in seinem Werk stets hervorhob: Realität und Fantasie, Mensch und Tier, hell und dunkel. Kengo Kuma und sein Team hatten zum Ziel, mit dem Gebäude und dem umliegenden Freiraum einen neuartigen Museums-Typus zu schaffen.

Dafür verwob Kengo Kuma die Architektur des Museums eng mit der Landschaft. Zuerst fällt den Besucherinnen und Besuchern nämlich der 7 000 Quadratmeter große Garten rund um das H. C. Andersen-Haus auf, den MASU Planning aus Kopenhagen gestaltete. Kengo Kuma versenkte große Teile seines Museumsbaus – zwei Drittel der Fläche liegen unter der Erde – und erzielt so den Eindruck eines Parks, in dem eine reihe kreisrunder Pavillons aus Holz und Glas stehen, deren Dächer begrünt sind. Damit reagierte Kuma auf den Bauplatz, der auf der Schnittstelle zwischen einem kleinmaßstäblichen mittelalterlichen Stadtgrundriß und einer grobkörnigeren urbanen Struktur des 19. und 20. Jahrhunderts liegt. Mit dem Museumspark fügt er ein neues Strukturelement in den Stadtraum ein, das zwischen den unterschiedlichen Körnungen vermittelt. Gleichzeitig schafft die Durchwegung des Museumsgrundstücks auch ganz praktisch neue Verbindungen zwischen den angrenzenden Quartieren.

Die oberirdischen Teile des Andersen-Hauses nehmen fast ausschließlich die Bereiche auf, die nicht als Ausstellungssäle genutzt werden: Im Nordosten hat der Architekt den Museumseingang mit allen notwendigen Funktionen angeordnet, im Südwesten nehmen zwei Pavillons Gastronomie und Bookshop auf.  Zwischen den beiden Bautengruppen befindet sich ein großer abgesenkter Bereich: der Lichthof, der die Ausstellungsräume im Untergeschoss erhellt. Die übrigen unbebauten Flächen auf Straßenniveau hat MASU als öffentlichen Grünraum gestaltet. Intention der Landschaftplaner war es, Andersens Wahrnehmung von Natur in den Freiraum zu übertragen: Er soll als Inspirationsquelle fungieren, der Fantasie freien Lauf lassen und zugleich unberechenbar und wild sein.

Dualitäten in den Garten überführt

Die Verflechtung zwischen Architektur und Garten bilden die Hecken: Diese zeichnen die unterirdischen Räumlichkeiten des Museums über dem Boden nach. Als klassisches Element in der Gartenplanung fungieren sie als Raumgrenzen, aber in diesem Falle nicht nur. Stattdessen fügen sie sich labyrinthartig zusammen und erlauben den Besucherinnen und Besuchern, sich im Garten zu verlieren.

Auch im Innern des Museums spielen die Grünräume eine prägende Rolle: Der Ausstellungsparcours mäandert zwischen Sälen ohne Tageslichteinfall, dem großen Lichthof und drei kleineren begrünten Lichthöfen, so dass die Besucherinnen und Besucher immer wieder neue Variationen des Themen innen und außen, hell und dunkel erleben. Dieses Spiel mit den Gegensätzen leitet der Architekt aus dem Werk Andersens ab, das er als bestimmt von Gegensätzlichkeiten begreift: wirklich und unwirklich, menschlich und tierisch, dunkel und hell.

Das Museum von Kengo Kuma befindet sich nur zum Teil über dem Boden; zwei Drittel davon sind unterirdisch. (Rendering: Kengo Kuma & Associates, Cornelius Vöge, MASU Planning, mir.no)

Kengo Kuma will mit Museum H. C. Andersens Geist einfangen

Die Planerinnen und Planer von MASU Planning haben die Dualität hell ­– dunkel auch in den Museumsgarten überführt. Es gibt einen dunklen Gartenteil, in dem eng gepflanzte Kiefern das Licht blockieren und die weiter Bepflanzung soll unheimlich und düster wirken. Vom dunklen Garten geht es über in den hellen Garten, wo sich Räume auftun und weiße Blumen und Gräser die die Gäste empfangen. Der grüne Freiraum rund um das Museum wird der Öffentlichkeit zugänglich sein und soll zu einem Teil der Stadt werden.

Der Garten rund um das Museum hat MASU Planning entworfen. (Rendering: Kengo Kuma & Associates, Cornelius Vöge, MASU Planning, mir.no)

Was den neues Museums-Typus ausmacht, ist die Art und Weise mit der Kengo Kuma und sein Team aus Garten, Architektur und Ausstellungsgestaltung ein Ganzes schaffen. Das war Kuma auch besonders wichtig: Diese drei Elemente sollten von Anfang an zusammen gedacht werden. Deshab wurde auch die Ausstellung von Anfang an mitkonzipiert: Künstlerinnen und Künstler gestalteten eigens dafür verschiedene Elemente. Darunter befinden sich etwa Filme, Illustrationen, Puppen und verschiedene Installationen. Dafür haben sie sich von den verschiedenen Märchen H. C. Andersens inspirieren lassen. So gibt es etwa eine Installation basierend auf der Schwalbe in Däumelinchen oder eine, die sich auf das Märchen Das Feuerzeug bezieht. Des Kaisers neue Kleider hingegen ist noch nicht vertreten. Aber davon gibt es in Odense immerhin bereits eine Statue – nur sechs Minuten Fußweg entfernt.

Ein weiteres Projekt von Kengo Kuma, das auf „natürliche“ Weise mit der kulturellen und ökologischen Umgebung verschmilzt ist das Meditationshaus für das Hotel Kranzbach. Erfahren Sie hier mehr dazu.

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