Als Weltmetropole der Marktwirtschaft gilt immer noch New York. Dort wird im Januar das neue World Trade Center eröffnet. Was sagt das SOM-Gebäude über den Zustand des Kapitalismus heute aus? Ein dialogischer Essay, auf Basis eines Expertengesprächs mit dem Autor und Architekten Friedrich von Borries
Noch ist er gar nicht fertig, da wurde dem Neubau an der Stelle der eingestürzten Twin Towers schon etwas zuteil, was man eigentlich als seltene Ehre interpretieren könnte: Der SOM-Bau hielt als Namensgeber für einen Roman her. Allerdings ist das Buch „1WTC“ von Friedrich von Borries alles andere als eine Lobeshymne. In seinem dystopischen Roman erzählt der Architekt und Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hamburger Hochschule für bildende Künste von einem Gebäude, das noch während dem Bau seine Unschuld verliert: Der Geheimdienst nutzt es als Verhörzentrale und foltert im Untergeschoss Terrorverdächtige. Offensichtlich sieht von Borries in dem Bau, der ehemals Freedom Tower heißen sollte und nun schlicht 1WTC heißt, etwas Paradigmatisches für den Zustand der amerikanischen, und das heißt immer auch, der kapitalistischen Gesellschaft. Grund genug für ein Gespräch über den Kapitalismus im Bauen. Wie also steht Friedrich von Borries zum neuen World Trade Center? Hier seine Antwort:
„Natürlich verrät dieser Bau viel über die amerikanische Gesellschaft. Zu Beginn der Planung, als noch mehr von den Ursprungsideen Daniel Libeskinds realisiert werden sollte, stand ja der Ansatz im Zentrum, in das Gebäude Gärten zu integrieren. Diese sollten die unterschiedlichen Weltregionen repräsentieren – eine Idee, die je nach Lesart für die Multikulturalität der amerikanischen Gesellschaft stehen kann oder für den globalen Machtanspruch Washingtons. In jedem Fall wurde die Planung leider zurückgenommen. An Symbolik blieb nur die Höhe: 1776 Fuß, bekanntlich eine Anspielung auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1776. Für mich ist dies vor allem ein klarer Anspruch amerikanischer Macht: ‚Es geht um Freiheit – aber wir sagen, was Freiheit bedeutet.’“
Man muss von Borries’ Fundamentalkritik der amerikanischen Politik nicht teilen – und der Autor dieser Zeilen tut das mit Sicherheit nicht. Aber der Blick auf die Art, wie sich gesellschaftlicher Zeitgeist im Bauen spiegelt, ist konsequent und wird heute längst nicht immer praktiziert. Von Borries liefert eine originelle politische Architekturkritik.