Frank Gehry soll am Berliner Alexanderplatz das höchste Wohnhochhaus Deutschlands bauen. Mit einem verdrehten Entwurf gewann der Kalifornier gegen die Crème Berliner Architektur. Das Internet tobt. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher verteidigt die Entscheidung.
Baumeister: Frau Lüscher, die Aufregung um die Entscheidung für Frank Gehrys gewagt gedrehten Entwurf war beträchtlich. Sind Sie als Schweizerin von solchen Emotionen überrascht?
Regula Lüscher: Irgendwie schon. Aber die Deutschen haben eben kein ganz einfaches Verhältnis zu ihrer Hauptstadt. Interessanterweise kam Gegenwind gegen den Entwurf ja nicht so sehr aus Berlin, sondern eher aus anderen Städten.
B: Auch in Berlin gibt es kritische Stimmen.
R L: Mal abgesehen von den Fachkreisen: Die Berlinerinnen und Berliner äußern sich gern laut und haben oft ein extrovertierteres Bild von sich selbst. Insofern passt der Turm hierher.
B: Aus meiner Sicht spricht für Gehrys Entwurf, dass er der Zugigkeit des Alexanderplatzes ein kompaktes, sehr präsentes Stück Baumasse entgegensetzt. Viele der anderen Entwürfe haben eine gläserne Modernität, die vielleicht zu flüchtig, zu ätherisch daherkommt.
R L: So sehe ich das auch. Seine Maßstäblichkeit ist eigentlich für diesen Ort angenehm. Und der Sockelbereich schafft durchaus einen Dialog zum Platz.
B: Die vielen Bezüge zu anderen Gebäuden, etwa der Friedrichwerderschen Kirche Schinkels, erschließen sich mir aber nicht.
R L: Das ist auch schwierig hinzubekommen. Kollhoffs ursprünglicher Masterplan für den Alexanderplatz sah ja ein Ensemble formal korrespondierender Hochhäuser vor. Das ist eine schwierige Idee. Jeder Stadtentwickler weiß: Eine solche Ensemblewirkung kriegt man heute nicht mehr hin.
B: Warum denn nicht?
R L: Zunächst einmal würde dies nur funktionieren, wenn ein Plan innerhalb von maximal zehn Jahren umgesetzt wird. Und selbst dann haben Sie keine Garantie, siehe den Potsdamer Platz, der ja auch sehr divers wirkt. Außerdem sprechen die Interessen der Investoren dagegen: Wer heute in Hochhäuser investiert, will eine Diva. Ein Hochhaus muss sich absetzen. Investoren wollen gar kein Ensemble. Es muss daher vielmehr gelingen, räumlich-städtebaulich ein Ensemble zu schaffen. Eine einheitliche Architektursprache ist nicht zu erwarten.
B: Obwohl alle drei Siegerentwürfe behaupten, sich auf ihren architektonischen Kontext zu beziehen.
R L: Im engeren Sinne kann das vielleicht am ehesten noch Kleihues für sich beanspruchen. Sein Gebäude findet ja Anklänge an die Peter-Behrens-Gebäude am Alex, und er lässt sich auch von seiner eigenen Umgestaltung des Kaufhofs inspirieren. Barkow Leibinger sehen als Bezugspunkt eher die Ostmoderne insgesamt. Daher die lichte, sehr moderne Anmutung ihres Entwurfs.
B: Und Gehry?
R L: Bezieht sich vor allem auf die Karl-Marx-Allee. Gehry ist fasziniert von der Pompallee, alle Renderings nehmen diese in den Blick. Sein Gebäude will die spezifische Monumentalität der Karl-Marx-Allee weitertreiben.
B: In diesem Sinne ist der Gehry sogar der „östlichste“ aller Entwürfe?
R L: Das kann man so sagen. Er greift die Idee des monumentalen Innenstadtwohnens auf. Die DDR hatte ja viel übrig für die Idee der „Wohnpaläste“, der Prunkbauten fürs Volk.
B: „Monumental Wohnen“ am Alex also. Und zwar in Form eines Wohnturms. Eigentlich passt dieser Bautypus ja nicht unbedingt nach Berlin. Einfach weil es nicht das immense Platzproblem gibt, das Manhattan oder Hongkong hat. Werden wir dennoch weitere Wohntürme in Berlin sehen?
R L: Da bin ich skeptisch. Zwar sind die Berlinerinnen und Berliner in der Tat gewohnt, außerordentlich zu wohnen, aber dieser Bautypus ist kein Massenprodukt. Zumindest so lange nicht, wie Berlin nicht in ganz anderen Dimensionen die Reichen aus aller Welt anzieht. Und das möchte die Stadt letztlich ja gar nicht.
B: Wer soll denn idealerweise in den Gehry-Turm einziehen?
R L: Sicherlich ein internationales und wohlhabendes Klientel. Für den gutbürgerlichen Berliner ist der Turm wohl eher nichts.
B: Mit Sicherheit nicht. Schließlich ist der Alexanderplatz nicht gerade der Inbegriff bourgeoiser Distinguiertheit.
R L: Und genau deshalb erwarte ich in dem Hochhaus auch eher ein junges Publikum. Er steht nun einmal an einem sozial sehr heterogenen Ort. Aber genau das interessiert die Menschen in aller Welt an unserer Stadt.
B: Was sagt denn Hans Kollhoff, der auch einen Wettbewerbsbeitrag eingereicht hat, zum Siegerentwurf?
R L: Explizit darüber gesprochen haben wir noch nicht (schmunzelt). Aber wir werden ja in Zukunft gemeinsam den Masterplan aus dem Jahr 1993 überarbeiten.
B: Glaubt man Ihren letzten Interviews, so ist diese Aktualisierung gerade sehr dringend. Es herrsche momentan eine „hohe Aktivität“ auf Seiten der Bauträger am Alex, sagen Sie…
R L: Es stimmt, das Interesse hat enorm angezogen. Auf allen Baufeldern um den Alex herum wird gerade entwickelt, geplant, oder es laufen Wettbewerbe.
B: Und zwar nicht zuletzt von internationalen Entwicklern wie Hines, die den Gehry-Entwurf bauen. Braucht der Alexanderplatz diesen Rückenwind gewissermaßen von außen?
R L: Hines ist ja in Deutschland und speziell in Berlin stark verwurzelt. Die kennen sich hier schon sehr gut aus. Nur deshalb können sie ein solches Projekt überhaupt wagen.
B: Was ist denn daran so gewagt?
R L: Das ist schon ein hohes Risiko. Sie müssen eben genau die Zielgruppe treffen.
B: Spielte das auch in den Jurysitzungen eine Rolle?
R L: Natürlich, es war ja ein Investorenwettbewerb. Das Unternehmen hat sehr offen seine Überlegungen dargelegt. Ein Entwickler wie Hines überlegt sich genau, für wen er ein Gebäude baut. In diesem Fall war schnell klar, dass das Gebäude international attraktiv wirken muss. Zielmieter und -käufer sitzen nicht zuletzt in Asien und den USA. Das implizierte eine gewisse Skulpturalität, die Gehry liefert.
B: Und es ließ auch die Wahl eines Stararchitekten sinnvoll erscheinen…
R L: Ja, das hängt sicher zusammen.
B: Bekommt der Alexanderplatz denn jetzt noch weitere Hochhäuser?
R L: Ich sage mal: wenn überhaupt, dann jetzt. Die Chance ist da.
B: Abgesehen vom Alexanderplatz – was ist Ihre Vision für das Berlin der nächsten zwanzig Jahre?
R L: Ich stelle mir eine Stadt vor, die Diversität lebt und Unterschiede vereint. Eine Stadt, in der ein Gehry-Bau in sozial sehr gemischten Umfeldern entsteht – ohne dass das Hochpreisige komplett die Oberhand gewinnt. Subkultur neben Ikonenbauten – das macht diese Stadt aus und unterscheidet sie von London oder New York.
Mehr dazu im Baumeister 3/2013
Foto oben: Gehry Partners, LLP; Fotos unten: Mitte: Kleihues + Kleihues Gesellschaft von Architekten mbH; Barkow Leibinger