13.05.2014

Wohnen

Goodbye „Norcon-Haus“ – Architektur und Erinnerung

Wer schon einmal nach längerer Zeit an Stätten und Städte der eigenen Jugend zurückkehrte, der weiß: Architektur und Erinnerung hängen eng zusammen. Sehr eng. Architektur kann Erinnerungen wecken. Sie kitzelt Gefühle in uns hervor, die wir längst vergessen glaubten. Anders herum haben bauende Architekten – und damit indirekt auch ganze Städte – die Chance, über die gebaute Realität die Erinnerungen der Stadtbewohner zu bestimmen und diese in gewisser Hinsicht „wach“ zu halten.

Für jemanden, der wie ich seine Kindheit in den 80er und 90er Jahren in Hannover verbrachte, gab es so viele architektonische Ankerpunkte nicht. Das Neue Rathaus, errichtet bis 1913 nach Vorlagen des Architekten Hermann Eggert? War präsent, aber fing kein reales Hannoveraner Lebensgefühl auf. Zu groß, zu wilhelminisch. Das brutalistische Ihme-Zentrum? Definitiv wichtig, als Andeutung einer Urbanität, die Untiefen aufweist.

Noch präsenter aber waren – für mich – das so genannte „Norcon-Haus“ und die umliegenden Bürogebäude an der Karl-Wiechert-Allee. Das, was dort im Osten der Stadt gebaut wurde, transportierte eine Atmosphäre des Techno-Futurismus und ein Gefühl spielerischer, ironischer, aber durchaus nicht uneingeschränkt positiver neuer Zeiten. Postmodernismus nannte man das damals. Von einem „High-Tech-Bau“ schrieb damals übrigens der Baumeister (siehe Bild).

Diese Architektur transportierte für mich ein vages Gefühl dafür, dass da draußen, jenseits von Hannover, in größeren, mächtigeren Städten so etwas tobte wie der sich selbst globalisierende Kapitalismus. Dass da Leute wie Ronald Reagan und Maggy Thatcher dabei waren, eine neue Welt zu schaffen. Eine Welt, in der Übermenschen wie Gordon Gekko, der zynische Trader aus dem Film „Wall Street“, das Sagen hatten. Gekko grinste kaum ein Jahr nach Eröffnung des Norcon-Hauses von den Kinoleinwänden herab. Er war für mich immer jemand, der gut hinter den verglasten Wänden des Norcon-Hauses seine Strippen hätte ziehen können.

Dieses Bürohaus, gebaut vom Büro Schuwirth & Erman, hat mich fasziniert. In was für eine Welt wachse ich hinein, in der man so bauen kann? Welche Rolle will ich in dieser Welt einnehmen? Und, ganz praktisch: Wieso hält diese seltsame Konstruktion mit einem offenbar von oben an Trägern hängenden Baukörper eigentlich? Es war ein Gebäude, das mich mit 12 Jahren (so alt war ich, als es 1986 eröffnete) zum Nachdenken brachte. Das ist eine architektonische Stärke.

Nun, nach 28 Jahren, komme ich zurück und muss sehen: Dieses zeichenhafte Anbeten der Zukunft, dieses Architektur gewordene Bindung meiner Jugend an die Postmoderne wird abgerissen (wie das obige Bild unzweideutig dokumentiert). Die Gründe sind klar: Das Gebäude war kaum gedämmt. Eine zweite Sanierung stand offenbar an. Doch Hannover verliert für mich damit einen Anker der Erinnerung. Es wird mir künftig schwerer fallen, mich an meine Hannoveraner Jugend zu erinnern. An die Emotionen, mit denen diese verknüpft waren. Und ich frage mich: Welche baulichen Anker bietet Hannover heutigen Kindern und Jugendlichen an? In welchen Gebäuden spiegelt sich für diese die „Welt da draußen“? An welche Bauten werden sie später ihre Erinnerungen hängen?

Der Abriss gefällt – wenig überraschend – übrigens auch den Architekten Klaus Schuwirth und Erol Erman nicht. Sie haben einen Brief an den Besitzer geschrieben, die Mecklenburger Versicherung. Am Ende dieses Artikels in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ist er als pdf zu lesen.

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