22.10.2014

Wohnen

Flüchtlinge an den Gärtnerplatz!

Es ist ein zweideutiger Häuserkampf, der sich momentan in deutschen Metropolen abspielt. Immer wieder formieren sich soziale Bündnisse, die gegen den Abriss vermeintlich oder real maroder Gebäude zu Zwecken der Grundstücksverwertung angehen. Begründet wird der Protest rational: Die Bausubstanz sei so schlecht nicht. Ein Abriss verschwende Steuergelder. Diese Argumente lassen sich womöglich im konkreten Fall aushebeln. Was aber den Kampf nicht obsolet macht. Denn in Wirklichkeit geht es um etwas anderes. Darum nämlich, ob man vorhandene und noch nicht luxussanierte Bausubstanz nicht nutzen könnte, um mehr soziale Mischung zu schaffen. Dahinter wiederum steht die Frage, welches Maß an Heterogenität wir uns und unseren Innenstädten zutrauen und welches Maß an – auch schmerzhafter – Vielfalt wir entstehen lassen wollen.

Einen Eindruck dieses Kampfes bekamen Flaneure gestern im Münchner Gärtnerplatzviertel. Dort fand eine Kundgebung des Bündnisses „Bellevue de Monaco“ statt. Mit Kurzlesungen und Musik protestierte eine selber interessant heterogene Menge gegen den Abriss und die mutmaßliche Verscherbelung des wertvollen Grundstückes durch die Stadt München. Ihre Idee: Flüchtlingswohnungen könnten in der Immobilie PLatz finden. Unter den Aktivisten waren Sozialarbeiter, Architekten, auch prominente Journalisten wie Axel Hacke (Gast im nächsten Baumeister-Architekturquartett). Nette Musik gab es auch.

Es war viel davon die Rede, was man alles nicht wolle. Zum Beispiel die gentrifizierte Vereinheitlichung unserer Städte. Und diese Innenstadtzonen des geschmackvollen Konsumterrors sind ja auch wirklich öde. Unvermeidlich, wurde auch reichlich stereotypisiert. Dass man heute nur noch den Begriff „Latte Macchiato“ fallenzulassen braucht, um freudiges Gegacker zu ernten, macht den No-Brainer vom seelenlosen Gutverdiener nicht interessanter. Viel klüger ist die positive Vision, um die es konkret ging. Die Forderung nämlich nach einem Stadtteil – und damit auch einer Gesellschaft – die sich viel konsequenter als bisher für Immigranten öffnen und ihnen eine Präsenz in der Stadt verschaffen. Hier sind wir bei einer echten Zukunftsfrage. Und zwar nicht nur, weil wir, wie ein Redner sich wünschte, dringend stundenlange Multikulti-Tanzfeste am Gärtnerplatz bräuchten. Nein, es geht schlicht um die Resilienz europäischer Gesellschaften. Wir wissen ja: Unsere Bevölkerung altert. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir mehr Einwanderung. Die muss ein Sozialwesen auch kulturell verkraften können. Und hierzu kann das Zusammenleben mit Flüchtlingen gerade auch in Nobelvierteln das perfekte Training sein.

In Augsburg bekommt ja seit Monaten das „Grandhotel Cosmopolis“ Zuspruch einer progressiven Öffentlichkeit. Und zwar zurecht. Diese unkonventionelle Hospitality-Initiative, die Flüchtlinge, Hotelgäste und Kreative zusammenführt, macht vor, wie räumliche Heterogenität produktiv werden kann. Ein solches Projekt täte dem Gärtnerplatz und anderen deutschen Wohlstandsmonozonen gut. Es würde einen Toleranz- und Verständnisparcours schaffen. Den Gentrifizierungstreibern würde das Leben ärmerer Schichten vor Augen geführt. Und zugleich würden die Kommerzkritiker aus ihrer Komfortzone geholt – durch die Konfrontation mit den teuflischen Macchiato-Trinkern.

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