Rotterdam ist unter anderem für seine vielfältige Architektur bekannt. Eines der auffälligsten Bauwerke und ein Wahrzeichen der Stadt ist die Erasmusbrücke von Ben van Berkel, einem der Gründer von UNStudio. Wegen ihrer außergewöhnlichen Form, durch die sich die Brücke anmutig über die Maas schwingt, wird sie von den Einheimischen liebevoll als „Der Schwan“ bezeichnet.
Entstehungsgeschichte
Nach sechs Jahren Planungs- und Bauzeit wurde die Erasmusbrücke am 6. September 1996 offiziell von Königin Beatrix der Niederlande eröffnet. Die Brücke ist die letzte Nord-Süd-Verbindung vor dem Rotterdamer Hafen und der Nordsee, wodurch sie eine Sonderstellung in der städtebaulichen Konstellation der Stadt einnimmt. Die Stadt stellte sich für diese Position nicht nur eine Verbindung zweier Stadtteile vor, sondern wünschte sich eine Ikone, die der Stadt eine neue Identität verleihen sollte.
Van Berkel beschreibt den Entwurfsprozess als schwierig, erkannte aber die große Chance, die in dieser Aufgabe für ihn als Newcomer lag. Er fertigte Skizzen an fast zwölf Orten an, um die verschiedenen Perspektiven der Brücke abzubilden. Für ihn sollte die Brücke die Geschichte von Rotterdam, die Robustheit des Hafens und die unterschiedlichen Qualitäten der Nord- und Südstadt, die durch die Brücke zusammengebracht werden, vereinen. Aus den unterschiedlichen Studien entstand eine Brücke mit Strahlkraft, ein Orientierungspunkt.
139 Meter hoher Pylon
Markant wird die Erasmusbrücke durch den 139 Meter hohen Pylon. Seine asymmetrische Form mit einer Bügelkonstruktion aus himmelblauem StahlStahl: Ein Werkstoff, der aufgrund seiner hohen Belastbarkeit und Stabilität oft bei Gerüstkonstruktionen eingesetzt wird. und den 40 langen Seilen symbolisiert die „mobilen Kräfte“ der Stadt und damit einhergehend die Vielzahl städtebaulicher, konstruktiver und architektonischer Überlegungen, die den Entwurfsprozess begleiteten. Van Berkel verfolgte in allen Studien die Idee eines einzigen Pylons, um die Bewegung von Nord nach Süd zu verstärken. Ursprünglich war dieser deutlich höher entworfen. In Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Gemeentewerken Rotterdam wurde er jedoch verkleinert und um einen Bug erweitert, um die volle Länge von 802 Metern tragen zu können. Trotzdem wurde zur Errichtung des Pylons der damals leistungsstärkste Schwimmkran der Welt, der Thialf, benötigt.
Größte und schwerste Klappbrücke Westeuropas
Doch nicht nur der Pylon macht die Erasmusbrücke zum Bauwerk der Superlative. Die integrierte Klappbrücke mit einer StützweiteStützweite: Der Abstand zwischen zwei Stützbalken einer Treppe oder eines Balkens. von 89 Metern ist die größte und zugleich schwerste ihrer Art in Westeuropa. Sie ist notwendig, damit auch Schiffe in den Hafen einlaufen können, die aufgrund ihrer Höhe nicht unter dem Schwan durchfahren können. Insgesamt wiegt die Erasmusbrücke etwa 6.800 Tonnen.
170 Millionen Euro Baukosten
Im November 1996 wurden starke Schwingungen an den Schrägseilen der Erasmusbrücke festgestellt. Diese traten vor allem dann auf, wenn Regentropfen bei bestimmten Windverhältnissen an den Seilen herunterrannen. Um dieses Problem zu beheben, wurden nachträglich dynamische Schwingungsdämpfer montiert, wodurch die Baukosten auf etwa 170 Millionen Euro stiegen. Die Details der Erasmusbrücke wurden ganzheitlich behandelt. Beginnend bei den fünf unterschiedlich geformten Betonpfeilern, über GeländerGeländer: Eine Konstruktion aus Stäben oder Stäben und einem Handlauf, die auf Treppen oder Balkonen verwendet wird, um Sturzgefahren zu verhindern. und Podeste bis hin zu den FugenFugen: die Lücken oder Spalten zwischen Fliesen oder anderen Elementen. aus Beton und StahlStahl: Ein Werkstoff, der aufgrund seiner hohen Belastbarkeit und Stabilität oft bei Gerüstkonstruktionen eingesetzt wird.. Van Berkel legte großen Wert auf die Materialisierung und das Finish jedes Teils.
Erhellung von innen
Um die multiple Identität des Bauwerks als urbanes Artefakt zu betonen, wurde ein Beleuchtungsplan erstellt, der der Brücke sozusagen den letzten Schliff verleiht. Bei Nacht ist das Erscheinungsbild der Brücke auf eine Silhouette beschränkt. Eine spezielle Beleuchtung erhellt dann die Erasmusbrücke von innen, sodass ihre gebündelten Kabel als entmaterialisiertes Abbild ihres Tages-Ichs scheinbar steil aus dem Wasser ragen.
Der Schwan
Van Berkel schafft es, den Wunsch der Politik nach einer Ikone für Rotterdam zu erfüllen. Er beschreibt die Erkenntnis aus dem Entwurf der Erasmusbrücke dennoch als weit mehr: „Lange Zeit ging es in der Architektur vor allem darum, Bilder zu machen, zu provozieren oder sich politisch zu engagieren. Aber bei der Architektur geht es nicht darum, ikonische Bilder zu schaffen, sondern darum, wie eine Struktur mit ihren Benutzern kommunizieren kann. Oft kann dies auf einer sehr persönlichen Ebene geschehen. In unserer Branche wird viel Wert daraufgelegt, wie ein Projekt sofort von Journalisten, Design-Blogs, Kollegen und der Online-Community aufgenommen wird. Aber nach so vielen Jahren ist die öffentliche Qualität so viel wichtiger.“
Die These, dass es die menschliche Reaktion auf die Architektur ist, die ihre Qualität verändern kann, wird im Fall der Erasmusbrücke durch ihren Kosenamen gestützt: „Der Schwan“. Dieser ist eine Interpretation der Öffentlichkeit und war nie Teil der Idee des Architekten. Tatsächlich ist der Bogen keine rein visuelle Idee, sondern eine Folge der Konstruktion der Brücke. Das Verhältnis von Brückenhöhe zu Brückenlänge ist ungewöhnlich und durch die abgewinkelte Form entsteht eine geschwungene Kraft in einem bogenartigen Gebilde, das die enorme Länge der Brücke trägt.
Erasmusbrücke als Veranstaltungsort
Dass die Erasmusbrücke eine Architektur für die Menschen ist, wird spätestens dann deutlich, wenn das Wahrzeichen zum Veranstaltungsort wird. Sie ist Teil der alljährlichen Rotterdamer Hafentage, die zu Ehren von Europas größtem Seehafen gefeiert werden. Zudem führt der Marathon von Rotterdam über den Schwan, Hollands größte Laufveranstaltung. Darüber hinaus war die Erasmusbrücke bereits in Hollywood-Filmen zu sehen und ist Schauplatz der Red Bull AirAIR: AIR steht für „Architectural Intermediate Representation“ und beschreibt eine digitale Zwischenrepräsentation von Architekturplänen. Es handelt sich dabei um einen Standard, der es verschiedenen Software-Tools ermöglicht, auf eine einheitliche Art auf denselben Datenbestand zuzugreifen und ihn zu bearbeiten. Races und sogar von Etappen der Tour de France.
Bei einem Besuch in Rotterdam gehört die Erasmusbrücke unbedingt zum Programm. Um einen guten Überblick über die beiden verbundenen Stadtteile zu bekommen, bietet sich eine Radtour vom Zentrum der Stadt über die Brücke zum futuristischen Viertel Kop van Zuid und zum historischen Delfshaven an.
Aktuelles Projekt von UNStudio: In Melbourne entsteht ein doppeltes Hochhaus namens STH BNK von UNStudio und Cox Architecture.