06.05.2014

Öffentlich

Downtown statt Unterwelt: Ein Unternehmer macht Las Vegas zu seinem Projekt

Kaum eine Stadt der Welt ist so wenig Stadt und so viel Bild wie Las Vegas. Wenn wir an die Metropole in Nevadas Wüste denken, sehen wir Spielkasinos, Billboards, Zocker, einen wackelnden Riesencowboy aus Plastik und Stahl. Das war’s. Authentisch lebende Menschen? Gar so etwas wie „Einheimische“? Alles, was nach unserem Verständnis moderne Metropolen auszeichnet? Fehlanzeige.

Und so ist die Stadt ja auch ausgelegt. Rund die Hälfte des inneren Kerns wird dominiert von dem, was wir alles als „den Strip“ kennen, diese irre Reihung an Spaßtempeln unterschiedlicher Jahrzehnte und Ausfärbungen. Dahinter, irgendwo jenseits des Stratosphere Towers, beginnt das, was sich absurd falsch betitelt „Downtown“ nennt. Da ist nichts downtown. Es sei denn, man übersetzt wörtlich: „Unterstadt“. Das würde passen. Die Unterwelt der Glitzermetropole. Hier wird es richtig ranzig. Und das, obwohl die Metropole einst von hier aus wuchs. Die erste Kneipen, Vorläufer der Kasinos, standen hier, auf der Fremont Street. Die Straße wurde nun, ganz Las Vegas-Style, in toto überdacht und zur „Fremont Street Experience“ umdefiniert. Mit architektonisch hanebüchenen Resultaten.

Aber: Jetzt nimmt ein Mann die Idee eines „Downtown Las Vegas“ ernst. Und er tut einfach mal so, als wäre dort wirklich so etwas wie reales Stadtleben initiierbar. Tony Hsieh ist Unternehmer – und momentan eine Art urbaner Mäzen für die gebeutelte Gegend zwischen Sahara Avenue und Memorials Highway. Erst hat er den Sitz seiner Erfolgsfirma Zappos hierher verlegt, in das architektonisch interessante ehemalige City Hall-Gebäude. Interessant ja, praktisch für einen Call Center (und das ist der Kern von Zappos) gerade nicht. Aber Hsieh setzte eine Managementphilosophie darüber und nannte das Ganze „intentionally inconvenient“.

Mit Absicht unpraktisch? Das mag sogar stimmen. Geht man durch die Hallen, in denen seine 1.500 Angestellten jetzt Schuhe als eine Art Online-Anbieter de luxe durchs Land schicken, sieht wenig nach Call Center-Effizienz aus. Doch nicht nur das. Das Ganze sieht überhaupt nicht wie ein Call Center aus. Sondern eher wie eine Hippie-Kommune. Die Arbeitsplätze radikal individuell und bunt, mit viel Handgebasteltem, Spaßigem, inklusive Gimmicks zu Halloween (das hier irgendwie immer zu sein scheint). „Unsere Mitarbeiter sollen zeigen, wie kreativ sie sind“, deklariert mein Tour-Guide. Und die vielen Grinsegesichter zeigen: Die Sales-Agenten fühlen sich wirklich als Teil einer großen crazy Schuhverkaufs-Funcrew.

Nun ja. So viel zum Firmensitz. Aber dabei belässt es Hsieh eben nicht. 350 Millionen seiner eigenen (allerdings noch deutlich zahlreiheren) Dollars steckt er gerade in verschiedene Städtebau-, Infrastruktur- und Kulturprojekte in Las Vegas. “Downtown Project” heißt es. Da gibt es jetzt Kunst auf den Straßen und sogar ein wirklich alternativ wirkendes Café mit angeschlossenen Plattenladen. Hsieh unterstützt Kleinunternehmer, die eine Idee haben, wie man das ungemütliche Viertel ein wenig gemütlicher macht.

Den Kern des Ganzen bildet der so genannte „Container Park“. Wirklich in Containerästhetik haben Hsiehs Leute hier eine Art Kultur-Block zusammengezimmert, in dem sich Kunstgalerien an Buchläden und (ziemlich gute) Taco-Bars reihen. Man sitzt leicht erhöht am Rand des Platzes. In der Mitte – ein Spielplatz. Aus europäischer Sicht ist das alles nicht sonderlich umwerfend. Aber in Las Vegas stellt es eben ein komplettes Novum dar. Eines, das so wenig in die bestehende Sozialstruktur passt, dass dieses Stück angstfreies Stadtleben mit Security Guards geschützt werden muss. In der Stadt, in der alles künstlich ist, wirkt am künstlichsten und abnormsten eben letztlich das scheinbar Normale.

Um sich einen Überblick über die Umgestaltung zu schaffen, kann man übrigens online eine Tour durch das Hsieh-Land buchen. Die Tour beginnt, wenn der Hausherr nicht zuhause ist, in der Wohnung von – Tony Hsieh. Untergebracht ist die in einem der wenigen Neubauten der Gegend, auch von Hsieh gebaut. Einem, sorry Tony, sehr hässlichen Wohnblock. Aber dieses Toursetting hat natürlich was. Und es ist surreal.

Die Wohnung auch. Abgesehen von einem exzentrischen Regenraum mit herabhängenden Pflanzen, sieht es hier aus wie dem Klischee nach in jeder Startup-Gründer-Behausung. Kreativ, leicht unaufgeräumt, überall hängen Ideenskizzen an den Wänden. Aber man fragt sich: Wohnt der Mann wirklich jemals hier? Vielleicht, vielleicht nicht. Aber diese Art „Nur-fast-real-life“ passt komplett ins virtuelle Las Vegas.

Beim Blick aus Hsiehs Fenster übrigens sieht man, was für ein Mammutprojekt es ist, Downtown Las Vegas zu revitalisieren. Der Container Park ist umringt von gesichtslosen Zweckbauten, Raumöden oder Parkplätzen. Auch die Fremdheit der überdachten Fremont Street wird hier sofort klar.

Man kann natürlich nun sagen, dass Hsieh kein Wohltäter ist. Klar: Wenn Downtown Las Vegas an Attraktivität gewinnt, dann lohnen sich seine Investments. Alles auch Strategie also. Beim Gang durch die – ja, das ist leider so – vor beängstigenden Gestalten wimmelnden Straßen freut man sich aber automatisch über jedes bisschen Gentrifizierung. Arglose Konsumkultur ist hier ein Gewinn. Insofern ist jeglicher euro-überhebliche Zynismus komplett deplatziert. Und man kann nur sagen: Go on, Tony!

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