In der nordkorsischen Hafenstadt Bastia hat der österreichisch-französische Architekt Dietmar Feichtinger gemeinsam mit dem französischen Büro Buzzo Spinelli jetzt in Kontrast zu den Felsen am Meer und zur massiven Festung eine sanft geschwungene und technisch anspruchsvolle Promenade direkt am Wasser realisiert.
Mit Brücken, Stegen und Überwegen wurde der in Frankreich lebende österreichische Architekt Dietmar Feichtinger bekannt. Auch sein neuestes Projekt, das Ende Dezember 2020 eröffnet wurde, hat der gebürtige Steierer in gewohnt konstruktiver Schlichtheit und Präzision geplant: eine fünf Meter über dem Meeresspiegel gelegene Promenade unterhalb der historischen Festung von Bastia. „Aldilonda“ heißt der Küstenweg, was auf korsisch so viel wie „Über dem Meer“ bedeutet. „Schwebend zwischen Meer und Himmel“, beschreibt das Architekturbüro Dietmar Feichtinger Architetctes (DFA) selbst das Projekt.
Joggen und Spazieren zwischen Felsen und Brandung
Die aus Beton gefertigte und etwa drei Meter breite Promenade schlängelt vor den Felsen entlang. Das Rostrot des Geländers aus vertikalen Pfosten in massivem CortenstahlCortenstahl: Eine wetterfeste Stahllegierung, die für ihre charakteristische rostige Oberfläche bekannt ist. Cortenstahl wird oft für Fassaden oder Skulpturen verwendet. harmoniert mit der Farbgebung des eisenhaltigen Gesteins. Es sorgt für Sicherheit und bietet gleichzeitig maximale TransparenzTransparenz: Transparenz beschreibt die Durchsichtigkeit von Materialien wie Glas. Eine hohe Transparenz bedeutet, dass das Material für sichtbares Licht durchlässig ist.. Die Exponiertheit des gesamten Weges lasse den Spaziergang zum Erlebnis werden, heißt es in den Beschreibungen des Büros: „Durch den mit einem Gitterrost belegten Bereich wird das Meer erlebbar. Der Balkon ist der Brandung ausgesetzt, bei hohem Wellenschlag durchdringt das Wasser den Edelstahlrost am Felsen und verringert so die massive Kraft des Wassers.“
5 Kilometer Raumerlebnisse
Der Fels bildet das massive natürliche Fundament der mächtigen Umfassungsmauer der Festung von Bastia, die der Stadt ihren Namen gab. Bisher war die Felsküste unterhalb der Festungsmauer nur teilweise zugänglich. Jetzt kann man hier zwischen Brandung und Felsen spazieren oder joggen. Die Intervention realisierten Dietmar Feichtinger und Buzzo Spinelli nach einem Wettbewerbsgewinn im Jahr 2017. Die Kosten dafür betrugen 9,7 Millionen Euro.
Der Bau der 450 Meter langen Promenade im Video
Abwechslungsreich folgt die Promenade, die mit 25 Meter langen Zugstäben im Felsen verankert wurde, der Topografie. Dietmar Feichtinger und Buzzo Spinelli haben den Weg entlang verschiedenster Raumerlebnisse rund um die Befestigungsmauern entworfen. Einmal durchbricht der fünf Kilometer lange Pfad die Bastion. Dann wieder schmiegt sich der weich geschwungene Weg – in Kontrast zur massiven Festung – an den Felsen, lehnt sich an, weitet sich auf, bietet Plätze zum Verweilen und verschafft den Flaneuren direkten Zugang zum Wasser.
Der Küstenweg erschließt den Bereich zwischen Zitadelle und Meer. Und ermöglicht über eine Innentreppe den direkten Zugang zur Festung. „Aldilonda“ hat aber auch eine Fußgängerverbindung entlang des Wassers zwischen dem Hafen und dem Süden der Stadt geschaffen. Touristen können sich so die Wartezeit auf die Fähre verkürzen.
Tunnel mit Tageslicht
Dort, wo die Festungsmauer, am weitesten ins Meer ragt, durchsticht der Weg an der Südspitze den Felsen mit einem Tunnel. TageslichtTageslicht: Natürliches Licht, das während des Tages durch die Fenster oder Oberlichter in ein Gebäude strömt. bringt hier ein vertikaler Lichtschacht hinein. Die Seitenwände und die Decke bestehen aus schalungsreinem SichtbetonSichtbeton: Ein Beton, der von außen sichtbar bleibt und dessen Oberfläche eine ästhetische Wirkung erzielt. mit Holzmaserung. Eine Treppe führt von hier aus auf das erhöhte Aussichts-Plateau der Festung.
Das technisch anspruchsvolle Projekt realisierte Dietmar Feichtinger wieder gemeinsam mit dem Pariser Ingenieurbüro schlaich bergermann partner (sbp France). Hydraulische Versuche in einem Becken in La Seyne sur Mer waren notwendig, um die Kraft des Wellenschlags zu ermitteln – es sind 14 Tonnen pro Quadratmeter. Die Verankerung der Konstruktion im Felsen ließ sich nur mit akrobatischen Einsätzen der Arbeiter, die am Trapez von der Plattform der Festung hingen, bewerkstelligen. Als Partner mit dabei waren außerdem die Lyoner Landschaftsachitekten IN SITU paysage et urbanisme.
Der vielfach ausgezeichnete Architekt, der in Bruck/Mur geboren und in Graz aufgewachsen ist, bezeichnet sich selbst zwar nicht als Spezialist für Brücken, hat aber weit über zehn Brücken in Europa realisiert. Bekannt wurde er unter anderem mit der Passarelle Simone de Beauvoir über die Seine und seinem Serpentinensteg in der Bucht des Mont-Saint-Michel im Wattenmeer der Normandie. Das Zugangsbauwerk ist seit 2014 für Fußgänger und für den Shuttleverkehr geöffnet. Der Berg und seine Bucht haben seit 1979 Weltkulturerbe-Status der UNESCO. Aktuell arbeitet Dietmar Feichtinger an einem Forschungsprojekt zur Reform der Struktur des Ballungsraums Paris am Centre de recherche CEA Paris-Saclay.