01.12.2015

Portrait

Die Grand Tour der Universitäten – Athen

Simone Hüttenberend nahm an der Baumeister Academy teil und absolvierte ihr Praktikum bei MVRDV in Rotterdam. Nun schreibt sie weiter für unseren Blog – über Architekturfakultäten weltweit. Ihr erster Besuch führte sie nach Athen.

Ich studiere seit gut sechs Jahren Architektur, wodurch sich meine Sicht auf die Welt mehr verändert hat, als ich es je für möglich gehalten hätte. In den Semesterferien muss ich beispielsweise regelmäßig feststellen, dass es mir gänzlich unmöglich ist, architektonisch unbelastet meinen Urlaub zu genießen. Dabei nimmt die Diskrepanz zwischen dem, was ich für Sehenswert halte, und dem, was allgemein als solches anerkannt ist, kontinuierlich zu. So wuchs mit den Jahren mein Interesse an der Moderne, am Industrie- und schließlich sogar am Massenwohnungsbau. Noch verrückter allerdings ist eine Faszination, die ich diesen Sommer entdeckt habe.

Nachdem ich die sagenumwobene Akropolis von Athen bestiegen hatte, machte ein Kommilitone mit mir noch einen kleinen Abstecher an seine ehemalige Universität. Nicht am Pantheon sondern hier, in den Arbeitsräumen der Architekturstudenten, hatte ich endlich das Gefühl, einen persönlichen Zugang zu der Stadt gefunden zu haben, die ich doch schon seit Tagen versucht hatte kennen zu lernen. Seitdem erwachte mein Interesse an Architekturfakultäten weltweit, und ich begann meine Freunde über ihre Heimatunis auszufragen. Meine eigene Neugierde hat mich schließlich auf die Idee gebracht, mit euch eine Grand Tour der Universitäten zu machen. Und unsere Tour beginnt in Griechenland.

Athen

Universität: Nationale Technische Hochschule Athen
Ort: Athen, Griechenland
Abschluss: Dipl. Ing. Architektur, 5 Jahre Regelstudienzeit
Studierende: ca. 10.000 (Universität), ca. 1.800 (Fakultät)
Interview mit: Andreas Zacharatos, 27

In dem prächtigen ehemaligen Hauptgebäude der Technischen Hochschule von Athen bildet die Architekturfakultät ein letztes Überbleibsel, nachdem der Hauptcampus in den 80ern an den Stadtrand gezogen ist; einen Luxus, den es so nur einmal in Griechenland gibt. Auch die Arbeitsplätze, welche in den umliegenden Industriebauten verteilt sind, sind großzügig bemessen. Die Atmosphäre und die liebevolle Gestaltung der einzelnen Zellen erinnern an eine Hausbesetzung: Eine erfrischende Abwechslung zu den brandsicheren, sterilen Arbeitsräumen, wie ich sie von daheim kenne.

Generell gleicht der Studienverlauf in Griechenland, außer dass es keinen Bachelor und Master gibt, dem deutschen Architekturstudium: In den ersten beiden Jahren werden die Grundlagenfächer abgedeckt, danach wird sich spezialisiert. Das Praktikum ist in Griechenland weder verpflichtend, noch üblich, stattdessen muss aber zum Ende des Studiums eine wissenschaftliche Arbeit abgegeben werden. Anschließend melden sich die Studenten zur Diplomarbeit an, das einzige Projekt, für das ein eigenes Thema gefunden werden muss. Der entscheidende Unterschied zu unserer Masterthesis ist allerdings, dass man so lange an seiner Diplomarbeit schreiben kann, wie es einem beliebt. Auch in der Organisationsstruktur gibt es Unterschiede, was übrigens für alle Universitäten Griechenlands gilt. Die Fakultäten bilden die wichtigste Instanz, von wo aus das gesamte universitäre Leben zentral gesteuert wird. Lehrstühle im deutschen Sinne gibt es nicht. Die Entwürfe werden beispielsweise direkt von der Fakultät gestellt, sodass in einem Jahrgang alle Studenten den gleichen Entwurf bearbeiten und dabei einem der Professoren zugeteilt werden. Die Professoren kommen zweimal die Woche zur offenen Betreuung in die studentischen Arbeitsräume, dabei geht der Professor von Tisch zu Tisch während die Studenten an ihren Projekten arbeiten.

Andreas erzählte mir, dass in seinem Jahrgang von 150 Studierenden vielleicht drei ihren Abschluss innerhalb der Regelstudienzeit geschafft haben, Durchschnitt wären sieben Jahre. Warum sollte man sich denn auch beeilen? Prüfungen können so oft wiederholt werden, wie es eben nötig ist. Studiengebühren gibt es nicht und das Café lädt zum Verweilen ein. Vor allem aber wartet nach dem Studium nur noch die Arbeitslosigkeit. Viele Kommilitonen, so Andreas, machen sich entweder Selbstständig (ohne Hoffnung auf Lebensunterhalt) oder satteln auf das Diplom noch ein Postgraduierten-Studium auf; eine Atempause nur, aber immerhin.

Dieser Beitrag wird unterstützt von Graphisoft und der BAU 2017

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