24.04.2019

Gewerbe

Industriebauten in Leipzig: Die Buntgarnwerke


Das größte Industriedenkmal der Gründerzeit

Sechs Monate Leipzig bei SchulzundSchulz Architekten – darauf lässt sich Baumeister Academy Gewinner Ansgar dieses Jahr ein. Da Leipzig für seine reiche Industriegeschichte bekannt ist, stellt Ansgar jeden Monat ein umgenutztes Industriegebäude vor. Den Anfang machen die Buntgarnwerke im Stadtteil Plagwitz in Leipzig, in denen heute Wohnungen sind.

Industriearchitektur – bei diesem Begriff erwartet man rauchende Schornsteine, eine raue Umgebung oder gesichtslose Solitäre, die sich nach Außen verschließen. Die Buntgarnwerke im Stadtteil Plagwitz in Leipzig zeigen sich jedoch ganz anders: Das Ensemble aus repräsentativen Backsteinbauten, direkt an der weißen Elster gelegen, strahlt Großzügigkeit und industriellen Charme aus. Die Bauten machen neugierig auf die Geschichte, aber auch auf die Gegenwart der Gebäude.

Einheitliche Architektursprache: Ziegelfassaden mit hellen Putzbändern, gegliederte große Fenster und Akzente durch Türme und Kuppeln verbinden die verschiedenen Gebäude zu einem einheitlich wirkenden Ganzen.

Von Industriebau zur Wohnanlage

Der Grundstein für das größte Industriedenkmal der Gründerzeit in Europa legte 1886 die Sächsische Wollgarnfabrik. In den darauffolgenden Jahren wuchs die Wollgarnfabrik zu einem Großbetrieb an und beschäftigte zwischenzeitlich über 2.000 Menschen. Während der beiden Weltkriege produzierten die Werke weiter – erst 1991 stellte das Unternehmen nach dem ökonomischen Zusammenbruch der DDR seine Produktion endgültig ein.

Der Blick von der Industriestraße zeigt die Hochbauten West und Mitte eingebettet in die Natur und umgebende Bebauung.
Eine die weiße Elster überspannende Gebäudebrücke verbindet im zweiten und dritten Obergeschoss den Hochbau West mit dem Hochbau Süd. Im Inneren befinden sich zwei Brückenlofts.

Klein Venedig in Sachsen

Nach dem schlagartigen Funktionsverlust der Fabrikgebäude stand fest, dass die denkmalgeschützten und für das Viertel identitätsstiftenden Industriebauten umgenutzt und weiterentwickelt werden sollten. Die Stadt Leipzig entschied zusammen mit mehreren Investoren, das Ensemble nach und nach zu einer Wohnanlage umzuwandeln. Dabei brachten die großen Volumen eine planerische Herausforderungen mit sich: Das Gebäude hat eine Bruttogeschoßfläche von circa circa 100 000 Quadratmetern.

In den 45 Meter tiefen Hochbau Süd der Buntgarnwerke wurde beispielsweise ein 12 x 50 Meter großer Innenhof in den Skelettbau eingeschnitten. Heute dient der Hof sowohl der Erschließung als auch der beidseitigen Belichtung der neu entstandenen Wohnungen. In den Wohnungen selbst wurden Galerien eingezogen, um die Höhe von über fünf Metern zu nutzen. Diese Zwischengeschosse nehmen über die Hälfte der Wohnungsfläche hin. Die hohen Fenster erstrecken sich dabei über die gesamte Deckenhöhe. Dadurch behält das Gebäude von außen seinen Industriecharakter, innen hingegen wirken die Lofts luftig und großzügig.

Neben Wohnungen haben sich auch andere Nutzungen wie Büros, ein Radiosender, ein Blumenladen sowie Restaurants und Bars etabliert. Da die unterschiedlichen Nutzungen so eng verzahnt sind, hat das Viertel eine hohe Lebensqualität.

Nicht nur eine der Wohngesellschaften beschreibt die Anlage als „Venezia Quartiere“, auch die Anwohner sprechen von ihrem „Klein Venedig“. Und wenn die Abendsonne auf die historischen Bauten fällt und junge Familien mit dem Kanu auf dem Kanal paddeln, fühlt man sich tatsächlich in Venedig erinnert. Ein Venedig mit einem industriellen Touch.

Die nächsten Leipziger Industriebauten werden zeigen, ob es noch andere, weniger kommerziell orientierte und wagemutigere Ansätze für eine Umnutzung gibt.

Alle Bilder: Ansgar Stadler

Die Baumeister Academy ist ein Praktikumsprojekt des Architekturmagazins Baumeister und wird unterstützt von GRAPHISOFT und der BAU 2019.

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