12.12.2019

Wohnen

Den Menschen eine Chance geben

Die schmalen Reihenhäuser haben in ihrer farbigen Tür ein Fenster zum Öffnen. © Morley von Sternberg


Mount Pleasant

Obdachlosenheime sind negativ besetzte Orte. Um dem entgegenzuwirken, hat die London Borough of Camden das Prinzip der psychologisch gestalteten Umgebung für ihre Unterkünfte eingeführt. Zwei Projekte von Peter Barber Architects – Mount Pleasant und Holmes Road – verdeutlichen diesen Ansatz.

Das Projekt Holmes Road in London von Peter Barber Architects stellt Einzelapartments für Obdachlose zur Verfügung. © Morley von Sternberg
Die lange Ansicht die Straße hinauf endet bei einer Art Turm mit einer alt wirkenden, aufgemalten Schießscharte, einem Trompe-l‘oeil. © Morley von Sternberg
Im neuen Innenhof von Mount Pleasant kann man sich spontan zu einem informellen Gespräch treffen. © Morley von Sternberg

Holmes Road

Gegenwärtig gibt es circa 320.000 Wohnungslose in Großbritannien – also ein halbes Prozent der Bevölkerung. So schätzt es zumindest der britische Wohltätigkeitsverband für Wohnungsfragen „Shelter“ ein. Allein in London sind es 170.000 Menschen. Letztes Jahr ist diese Zahl um ganze vier Prozent gestiegen. Als Grund werden die schwindelerregenden Mieten, die Sozialhilfekürzungen und der ausbleibende soziale Wohnungsbau genannt. In London werden die Unterkünfte für Obdachlose teilweise von sozialen Einrichtungen getragen, teilweise von privaten Firmen oder von den Stadtteilverwaltungen, wie sie der London Borough of Camden bereitgestellt. Letztere hat nun zusammen mit dem Londoner Architekten Peter Barber zwei ungewöhnliche Projekte entwickelt: Mount Pleasant und Holmes Road.
Mount Pleasant ist eine kleine Straße in Camden, dem großen Stadtbezirk von London, der sich vom West End bis zum Hampstead Heath erstreckt. Hier versteckt sich ein bestehendes Obdachlosenheim, das von Peter Barber Architects umgebaut und erweitert wurde. Der Eingang befindet sich in einem niedrigen alten Gebäude, das der Biegung der Straße folgt. Die Stadtteilverwaltung für Camden als Bauherr hätte das ganze Ensemble, das eine H-Form hatte und das vor dem Umbau ein Gewirr aus heruntergekommenen Zimmern und Korridoren war, am liebsten abgerissen.

Die Identität erhalten

Peter Barber schlug stattdessen vor, den Bestand weitestgehend zu erhalten, da der Abriss und die Abfuhr von Tonnen an Ziegeln enorme Energien verbraucht und schwere Emissionen verursacht hätte. Außerdem fanden die Architekten heraus, dass das Gebäude als Teil des Stadtviertels stark im Bewusstsein der Anwohner verankert war. Und tatsächlich wurde Mount Pleasant schon auf mittelalterlichen Karten als sich windender Bauernpfad gezeigt, der zum River Fleet führte. Die Häuser des Quartiers standen zu viktorianischen Zeiten noch in der Nähe seines Ufers, bevor der Fluss völlig überbaut wurde. Die Entwurfsidee für das Obdachlosenheim bestand nun darin, den alten Mittelblock abzureißen und die vorhandenen beiden Höfe – den Männer- und den Frauenhof – zusammenzulegen. Dabei handelte es sich wohlgemerkt um Höfe, die eher Schornsteinen glichen, so eng waren sie. Durch die leichte Hanglage liegt das unterste Stockwerk halb unter dem Straßenniveau und der Hof auf Kellerhöhe. Auf das Dach wurde ein weiteres Geschoss gesetzt. Die neuen Wohnungen gleichen dabei Studentenwohnungen – entweder sind sie als Einzelzimmer oder in Gruppen von drei bis vier Zimmern gegliedert. Die alten Korridore wurden entfernt. Dadurch werden jetzt viele der zweiundfünfzig Wohnungen direkt durch den Hof erschlossen. Es ist genau diese einfache Geste, die eine neue Qualität der Begegnungen und Interaktionen ermöglicht.(…)

Hinter den bunten Türen von Holmes Road verstecken sich kleine Häuschen mit nur sechzehn Quadratmeter Wohnfläche. © Morley von Sternberg
Die schmalen Reihenhäuser haben in ihrer farbigen Tür ein Fenster zum Öffnen. © Morley von Sternberg

Holmes Road ist das zweite Obdachlosenheim, dessen Umbau die London Borough of Camden durch den Verkauf eines Hostels in Covent Garden finanzieren konnte, denn sie war wie alle Londoner Stadtteilverwaltungen durch den Sparkurs der Regierung in den letzten Jahren von großen Mittelkürzungen betroffen. Trotzdem ließ sich die Behörde von der Idee Peter Barbers, eine radikale Wohnform zu bauen, überzeugen. Die Skizze, die der Architekt von seiner Idee machte, bringt seine Vorstellung dabei am besten auf den Punkt: Auf ihr sieht man einen üppigen Garten, eine kleine Hütte, Orte für Gespräche, Menschen, die gärtnern oder den Garten genießen.

Ein Garten als Aufgabe

Der Garten selbst ist umgeben von einer Ziegelfassade mit bunten Eingangstüren und mit mehreren Tonnengewölben als Dachabschluss. Peter Barber meint dazu: „Wir hoffen, dass eine Gruppe von Bewohnern mit einem Gärtner zusammenarbeitet, um einen intensiv bepflanzten und schönen Garten anzulegen. Ein Gewächshaus und eine Sonnenbank zum Sitzen und um sich zu erholen wäre schön. Wir meinen, es sollte auch einen kleinen Raum für private Gespräche im Garten geben. Der Garten erzeugt dabei eine heimelige, gemütliche Atmosphäre. Er wird den Leuten die Möglichkeit geben, gärtnerischen Fähigkeiten zu entwickeln und sich mit Fragen der Ernährung zu befassen. Er kann den mitwirkenden Bewohnern ein Hobby sein und ein Weg, sich auszuarbeiten. Er kann ein Gefühl der Zugehörigkeit, der eigenen Wertschätzung und der Bestätigung bringen. Er wird den Menschen eine Chance geben.“ (…)

 

Den kompletten Artikel über  Peter Barber Architects finden Sie in unserer aktuellen Baumeister-Ausgabe 12/2019.

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