15.11.2014

Gewerbe

1WTC: Der unmögliche Turmbau?

1776 Fuß misst das Gebäude symbolträchtig

Gut 13 Jahre und zwei der weltweit erfolgreichsten Architekturbüros hat es gebraucht, um das 9/11-Desaster, die Schicksale und die Lehren, die wir daraus ziehen, zu verarbeiten und der Südspitze Manhattans, und damit symbolisch den New Yorkern, den Amerikanern und den Menschen weltweit, eine neue Verankerung zu geben. Eine fast unmögliche Bauaufgabe. Dennoch – jetzt wird eröffnet. Unsere Autorin sprach mit dem verantwortlichen Architekten von SOM.

1776 Fuß misst das Gebäude symbolträchtig
Der massive Sockel von 60x60x60 Meter wirkt von weitem unauffällig
Die Glasfassade mit innenliegendem Sonnenschutz schafft Reflexionseffekte

Das 1WTC setzt nicht auf Superlative, aber, wie bekannt ist, auf Symbolik: Die Höhe orientiert sich mit 1776 feet (ca. 552 m) am Datum der Unabhängigkeitserklärung der USA. Ansonsten herrscht eine Ausdrucksweise der Massivität. Die Ausmaße des massiven, rund 60 Meter hohen Kubus, in dem der eigentliche Turm verankert ist,  fundieren das Bauwerk und setzen den Betrachter am Fuße des Turms in Relation zu den Dimensionen. Baulich geben  Redundanzen und großzügige Erschließungen Antworten auf das Gewesene. Die achtseitige Fassade des Bauwerks wirkt, als würde die Vergangenheit in “ein” neues Gebäude transformiert, in Korrespondenz mit der Umgebung und im Ensemble mit dem World Trade Center Memorial.

Nach einer recht kurzen Libeskind-Episode übernahm den Bau das amerikanische Büro Skidmore, Owings & Merrill (SOM). Aus den Lehren von 9/11 entwickelten die für das Projekt verantwortlichen Architekten um David Childs die Prinzipien des Hochhausbaus weiter, speziell die Sicherheitsaspekte. Einer von Ihnen ist der deutsche Architekt Christoph Timm, projektverantwortlich für den Sockel des Bauwerks. Anlässlich seiner Key Note auf dem Düsseldorfer glasstech Architektenkongress berichtete er uns vom Bauwerk und seiner Bedeutung – für New York und ihn als Architekt.

Baumeister: Herr Timm, SOM ist für die Realisierung eines sicheren World Trade Centers verantwortlich. Was bedeutet ein solcher Auftrag für ein Architekturbüro?

Christoph Timm: Erst einmal ist es eine einmalige Chance für einen Architekten, in seinem Leben an einem so bedeutenden Projekt beteiligt zu sein. Ich hoffe natürlich, dass ich 9/11 nicht ein zweites Mal erleben werde. Wenn man im Süden New Yorks lebt, wird einem selbst bewusst, dass die Stadt an der Südspitze wieder eine Verankerung der Skyline brauchte. Nach diesem Erlebnis, an einem Gebäude mitzuarbeiten, dessen Bedeutung und Verantwortung weit über das Funktionale eines Bauwerks hinausgeht und das für die New Yorker und die Menschen weltweit für etwas steht, ist etwas Besonderes.

BM: Der Entwurf wurde viel diskutiert, überarbeitet, verworfen und neu entwickelt.

CT: Sichere Türme mit Bedeutung zu bauen ist eine Herausforderung. Investor Larry Silverstein hatte kurz vor dem Desaster die Mietrechte am WTC für 99 Jahre erworben. Er ist gut bekannt mit SOM und hat mit unserem Chef eine hervorragende Beziehung, die auch auf Vertrauen basiert. SOM hat Know-how in der Realisierung von Hochhausbauten und auch von anderen Sicherheitsbauten.

BM: Es gab Differenzen, was den Entwurf von SOM und den von Libeskind anbelangt.

CT: Ich denke, die heute realisierten Materialien sind weitgehend die gleichen: Stahl, Beton, Aluminium und Glas. Was sich sehr unterscheidet, ist sicherlich die Geometrie. Libeskind plante ein unsymmetrisches Gebäude. Das von SOM entworfene Gebäude ist geometrisch-rational. So ein Tower sollte ja eine gewisse Zeitlosigkeit haben. Eine gewisse Zurückhaltung und Klarheit, die angemessen ist. Das Gebäude an sich hat einen unglaublichen Reiz. Ich segle oft im Hafen von New York und erlebe den Blick darauf sehr oft. Das WTC ist sehr gut zu sehen, und die acht Fassaden wirken lebendig. Man sieht immer mindesten zwei oder drei davon. Wolken, Wasser und die umliegende Umgebung spiegeln sich darin, und durch das sehr besondere New Yorker Licht wirkt es jedes Mal anders. Die Reflexivität ist sehr wichtig, und das Gebäude nutzt das. Die Ausarbeitung der Kanten unterstreicht diese Wirkung.

BM: Der New Yorker Süden hat sich nach 9/11 sehr verändert…

CT: …das stimmt. Viele Firmen flüchteten aus der Gegend. Die Gebäude wurden zu Wohnhäusern umgenutzt, so dass die Gegend heute eine sehr lebendige und gute Wohngegend ist. Ich wohne selbst dort. Man hat kurze Wege zur Arbeit und ein interessantes Umfeld. Der Turm ist von fast überall aus sichtbar, auch wenn man zum Beispiel aus dem Subway kommt. Die Bedeutung der Lebendigkeit der Fassade ist also auch sehr wichtig für die New Yorker.

BM: Sie selbst sind für die ersten 60 Meter des Bauwerks zuständig, das im Gesamten mit viel Beton und Sicherheitsglas realisiert ist…

CT: Gerade weil die Türme einstürzten, ist das riesig dimensionierte Fundament von 60x60x60 Metern des mit Glas verkleideten Kubus eine Message, ein Wort. Auf diesem Fundament fängt ja der Turm erst an. Statisch hat es die Funktion, den Impact bei Erschütterungen aufzunehmen. Das ist eine wichtige Basis, die den Menschen ein besonderes Gefühl vermittelt und Stabilität signalisiert. Wenn man davor steht kann das Auge diese Fassade gar nicht auf einmal erfassen, man muss den Kopf drehen. Es steht im Prinzip im Park, direkt neben dem World Trade Center Memorial, und bildete ein Ensemble mit den Memorial-Flächen in deren Wasser es sich spiegelt. Wir wollten, dass die Fassadenstruktur des Sockels als eine Fläche lesbar ist. Tatsächlich sind die ersten rund 18.2 Meter ein reiner Betonsockel, den wir mit den gleichen 1,50 Meter großen, laminierten Verbundsicherheitsglaspanelen verkleidet haben, wie die restlichen rund 38,2 Metern. Exakt ist der Sockel  56 Meter hoch. Eine Besonderheit ist auch die Gestaltung der Lobby, die keine verglaste ist, wie beispielsweise beim Seagram Gebäude, sondern eine eher geschlossene Anmutung einnimmt und im Innenraum zwischen Eingang und Aufzügen beziehungsweise Treppenhäusern “Blast Walls” aufweist. Auch die Treppenhäuser sind aufgrund der Erfahrungen von 9/11 sehr viel breiter gestaltet als bei herkömmlichen Hochhäusern, so dass die Menschenströme hoch und runter können.

BM: Ihr Chef David Childs hat gesagt, dass die Ästhetik nicht auf Kosten der Sicherheit gehen soll. An welchen Stellen mussten Sie Kompromisse machen?

CT: Wir mussten eigentlich keine Kompromisse machen, sondern Auflagen umsetzen, die seitens der Sicherheit an uns herangeführt wurden. Natürlich haben wir das Ziel verfolgt, dass der Sockel nicht wie ein Bunker oder wie eine Festung wirkt. Für diese sich nach 9/11  schnell entwickelnde residential Area in Downtown ist auch das ein wichtiges Signal. Der Financial District in Manhatten hat sich ja durch die vielen Conversions total verändert. Ein solches Gebäude übernimmt in einer sich so entwickelnden Wohngegend ja auch die Aufgabe, attraktiv und ansprechend zu sein, über die Attraktion für Touristen und Reisende hinausgehend. Es laufen dort ja auch Leute vorbei, die gerade vom Einkaufen kommen.

BM: Ist das Bauwerk in Punkto Energieeffizienz und Gebäudetechnik in Korrespondenz mit der Architektur wegweisend?

CT:  Neben der hinterlüfteten Fassade in den ersten 20 Geschossen ist es eine Glasfassade, mit innenliegendem Sonnenschutz und auf den Geschossen individuell ansteuerbarer Haustechnik. Zu öffnende Fenster waren kein Thema, weil wir kein Leck haben wollen. Es wird eine LEED-Zertifizierung erhalten.

BM: Bei so vielen Neuentwürfen und Besonderheiten: wie hoch sind die Baukosten tatsächlich?

CT: Dazu kann ich nichts sagen.

BM: Was unterscheidet die Auffassung eines nachhaltigen Bauwerks der Amerikaner von der der Europäer?

CT: Die Sensibilität dafür entsteht in den USA gerade erst. Dafür gibt es natürlich noch viel zu tun. SOM hat committet, bis 2030 energieeffiziente Gebäude zu realisieren, die jährlich fünf Prozent weniger Energie verbrauchen. Wir haben Inhouse-Experten, die ähnlich arbeiten wie hier in Deutschland Transsolar, die wir in Projekte einbeziehen.

Fotos: James Ewing | Iwan Baan

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