Hedonistic Sustainability
Eine Müllverbrennungsanlage mit Skipiste – geht so etwas? Der von BIG entworfene „Copenhill“ macht es vor und propagiert dabei eine Hedonistic Sustainability. Ist ein Hybrid, der eine Mischnutzung, eine Kombination von Freizeit und Industrie, hier in Form einer Waste-to-Energy-Anlage, zulässt, ein architektonisches Zukunftsmodell?
Wendet man die von Le Corbusier propagierte Funktionstrennung in der „Ville Contemporaine“ auf das Projekt an, wird schnell deutlich, dass das Gebäude eine Art „Ville Mélange“ ist, in der typologisch alles möglich zu sein scheint. Autor und Architekt Alexander Russ wirft einen kritischen Blick auf Amager Bakke in Kopenhagen.
Was ergibt die Kreuzung aus Skipiste und Müllverbrennungsanlage? Ein Projekt von BIG. Genauer gesagt das gerade fertig gestellte Amager Resource Centre (ARC), ein Müllheizkraftwerk in Kopenhagen, das eines der Größten seiner Art ist. Das „Copenhill“ genannte Projekt befindet sich etwa vier Kilometer östlich der Innenstadt an der Grenze zum Stadtteil Christianhavn. Es ersetzt einen 45 Jahre alten Vorgänger, produziert Strom für 30.000 Haushalte, FernwärmeFernwärme: Dieses Fachmagazin behandelt die Technologie der Fernwärme, einer Methode zur Erzeugung von Wärme durch zentralisierte Anlagen und Verteilung durch ein Netzwerk. Es untersucht die verschiedenen Arten von Fernwärmeanlagen und ihre Vor- und Nachteile. für 72.000 Haushalte und wird von einem Beteiligungsunternehmen im Besitz von fünf Kommunen betrieben. So viel zu den Zahlen. Der Copenhill ist aber weit mehr als das: Er soll auch zum Ausflugsziel werden, indem er eine künstliche und ganzjährig nutzbare Skipiste mit Liftanlage inklusive Gastronomie fürs Après-Ski auf seinem Dach anbietet.
Dass es da keine herkömmliche Industriearchitektur tut, versteht sich von selbst. Schließlich stammt das hybride Nutzungskonzept, das auf einen 2010 durchgeführten Wettbewerb zurückgeht, von den Bigstern um Bjarke Ingels. Die entwarfen einen Gebäudekomplex, der sich aus unterschiedlich hohen, aneinandergereihten Quadern zusammensetzt und von einer geschwungenen Aluminiumfassade umhüllt wird. Die volumetrische Höhenstaffelung ergibt sich laut BIG aus den Abläufen innerhalb der Anlage, die teilweise eine Abwicklung von unten nach oben erfordern. Der Weg zur Skipiste war für die Dänen damit vorgezeichnet. Das wollen auch die scheinbar selbsterklärenden Entwurfsdiagramme zeigen, für die das Büro bekannt ist.
Das Projekt ist paradigmatisch für Ingels Ansatz einer „Hedonistic Sustainability“. Dabei geht es darum, bei der NachhaltigkeitNachhaltigkeit: die Fähigkeit, natürliche Ressourcen so zu nutzen, dass sie langfristig erhalten bleiben und keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben. Nachhaltigkeit in der Architektur – Gebäude, die die Umwelt schützen und gleichzeitig Ästhetik und Funktionalität bieten Nachhaltigkeit und Architektur sind zwei Begriffe, die heute mehr denn je miteinander verbunden… auch ein bisschen Spaß zu haben. Anstatt umweltbewusstes Entwerfen als Bremsklotz für herausragende Architektur zu begreifen, fordert der dänische Architekt stattdessen einen kreativen Umgang mit den daraus resultierenden Vorgaben ein: „…sustainability doesn’t have to be some kind of a compromise – it can even be the element that drives the aesthetics. It can create its own language if you find ways of using the forces of the environment to produce shapes or forms.“
Zukunft Müllverbrennung?
Da stellt sich natürlich die Frage, wie es bei einer Müllverbrennungsanlage um die Nachhaltigkeit bestellt ist. Die ersten Anlagen gehen auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück, genau genommen auf das Jahr 1874. Damals nahm die englische Stadt Nottingham eine Abfallverbrennungsanlage mit dem passenden Namen „Destructor“ in Betrieb, die bereits Wärme abgab. In der Folge entwickelte sich die Technik immer weiter, weshalb die Anlagen heutzutage auch Strom erzeugen. Hinzu kommt die Verwendung der bei der Verbrennung anfallenden Schlacke für den Straßenbau und der Flugasche als Füllmaterial für Decken und Wände. Das gilt auch für das Amager Resource Centre, das Strom und Heißwasser für drei verschiedene Fernwärmenetze liefert. Außerdem können 15 bis 20 Prozent der angelieferten Abfälle im Straßenbau wiederverwendet werden. Trotz des teilweise vorhandenen Recyling-Gedankens bleibt die Frage offen, ob es sich hier nicht um eine Technologie handelt, die eher in die Vergangenheit als in die Zukunft weist. Schließlich steht am Ende der Kette immer die Verbrennung statt der Rückführung in einen Kreislauf.
Dabei sind die Dänen im europäischen Vergleich besonders eifrig in der Müllverbrennung, was dazu führt, dass mitunter zu wenig Müll vorhanden ist. Im Fall der neuen Müllverbrennungsanlage wird er deshalb teilweise aus Deutschland, Italien, Großbritannien, Irland und den Niederlanden importiert, um die Anlage auszulasten. Gerade im Hinblick auf die ehrgeizigen Klimaziele Kopenhagens, die vorsehen, bis 2025 zur ersten CO2-neutralen Hauptstadt der Welt zu werden und eine Recyclingquote von 70 Prozent zu erreichen, erscheint das Nachhaltigkeitskonzept des Projekts deshalb wenig visionär. Die Anlage punktet stattdessen durch ihre neue Technologie, die geringere Instandhaltungskosten, eine höhere EnergieeffizienzEnergieeffizienz: Dieses Fachmagazin beschäftigt sich mit der Energieeffizienz von Gebäuden und Infrastrukturen. Es untersucht die verschiedenen Methoden zur Steigerung der Energieeffizienz und ihre Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft. und bessere Gesundheits- und Sicherheitsstandards als ihr Vorgänger bietet.