20.08.2020

Öffentlich

Berg ohne Unschuld

Alexander Gutzmer


Gemähte Transformation

Wie schön darf ein Ort sein, der eine zentrale Rolle in der nationalsozialistischen Machtinszenierung gespielt hat? Um den Bückeberg, auf dem die Nazis ihr völkisches Erntedankfest als Massenspektakel zelebrierten, kreist genau diese Debatte. Eine Ortsbegehung. 

Der beste Weg, die Dimensionen eines großen Ortes zu erfassen, besteht darin, ihn mit einem renitenten Elfjährigen abzuschreiten. Genau das tat ich vor einigen Tagen mit dem Bückeberg in der Nähe von Hameln. Gemeinsam mit meinem Sohn wollte ich das gigantische Freigelände erkunden. Es gab viel Gezeter und Protest (und entsprechend groß wurde mir der Ort). Meine Erklärungen, dass er sich auf historisch belastetem, aber damit auch aufgeladenem und quasi „interessantem“ Boden bewege, beeindruckte ihn wenig. Die Information, dass die Nationalsozialisten hier von 1933 bis 1937 ihre Interpretation des Erntedankfestes als gigantischen völkischen Inszenierung feierten, verfing nicht. Wie gesagt: Gezeter und Protest.

Beides hatte ich, freilich argumentativer, bereits am Vorabend hervorgerufen. Einem Gesprächspartner, dessen Urteil ich eigentlich sehr schätze, berichtete ich von den Plänen der Landschaftsarchitekten Dröge + Kerck für eine behutsame Transformation des Geländes. Bisher sieht man dem Bückeberg seine unheilsame Vergangenheit nämlich nicht an. Das wollen die Architekten gemeinsam mit dem Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln ändern. Ein Netz aus Erinnerungspunkten wollen sie über den Berg legen. An definierten Punkten erhalten die Besucher dann jene Informationen über die Geschichte des Ortes und Albert Speers Symbolspektakel, die heute fehlen.

Das Projekt wirkt maßvoll und überlegt. Doch mein Gesprächspartner, der jeglicher NS-Relativierungen unverdächtig ist, hält davon nichts. Zu teuer, unnötig. Die NS-Vergangenheit sei aufgearbeitet. So ähnlich dürfen sich auch die lokalen Kritiker geäußert haben, die es dem Projekt lange schwer machten. Nun aber wird das Informationsnetz, das neben den Dokumentationsstationen den Berg lediglich durch unterschiedlich hohes Mähen neu markiert, kommen.

Das große Tummeln

Höchste Zeit, wenn Sie mich fragen. Der Bückeberg erzählt viel von der Verführbarkeit von Menschen durch schiere räumliche Dimensionalität. Und er bietet Einblicke in die Umerzählbarkeit, die propagandistische Nutzbarkeit von Landschaft. Berg und Umgebung liefern zunächst ein Bild malerischer, unzerstörter Natur. Diesem Bild stülpten die Nazis ihre Meta-Erzählung einer vital-überlegenen deutschen Bauern- und Volkskultur über. Das ist das Eindrücklichste am Besuch dieses neben Nürnberg und Berlin wichtigsten Ortes nationalsozialistischer Masseninszenierungen: Dass man erspüren kann, wie sich Ideologie räumlich explizieren und akzentuieren lässt. Wie sich Raum und menschliche Masse zu Großakten psychologischer Manipulation zusammenschrauben lassen. „Ornament der Masse“ nannte Siegfried Kracauer das.

Wobei natürlich der Widerspruch bleibt, dass die Massen in Nachtzügen herangekarrter Volksdeutscher eher unornamental gewirkt haben dürften. Übernächtigt und hungrig, dürften sie jegliches Gefühl räumlicher Anmut ziemlich konsequent zertrampelt haben. Und: Auch ein völkisch beseelter Übermensch muss mal aufs Klo.

Wie viele dieser Übermenschen sich übrigens auf dem Bückeberg tummelten, das weiß man nur näherungsweise. Interessant, aber auch beunruhigend, dass schon damals in der öffentlichen Darstellung Argumentationsmuster präsent waren, die heute wieder auftauchen: Möglichst viele Menschen signalisieren Relevanz. Dabei haute und haut man gern auf den Putz. Bis zu 1,2 Millionen Besucher wollen die Nazis auf dem (wie gesagt, wirklich riesigen) Berg gezählt haben. Bis zu 600.000 wären realistisch möglich gewesen, so der Hamelner Verein. Was aber auch schon viel wäre.

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