24.06.2016

Öffentlich

Brexit-Blues: Heute wurde Europa ärmer

Es fühlt sich absurd an: Vorgestern noch hatte mit David Chipperfield einer der europäischsten aller Architekten aus London uns in der Redaktion besucht. Heute steht die EU englandlos da. Brexit-Blues? Nicht überall. In den sozialen Medien herrscht eine Mischung aus Englandwut und europäischer Selbstgefälligkeit. Schon zuvor hatten einzelne Journalisten großanalytisch verkündet, Großbritannien gehöre ohnehin nicht dazu und solle dahin gehen, wo der Pfeffer wächst.

All das sind kurzsichtige Haltungen. Nicht nur Britannien hat heute viel verloren – sondern auch Europa. Dieses diffuse, aber immer noch spannende und lohnende europäische Projekt hat einen ganz wichtigen Pfeiler verloren. Und zwar nicht nur ökonomisch. Großbritannien stellt nicht nur eine der potentesten Volkswirtschaften Europas dar. Es bildet auch ein kulturelles Kraftfeld, das Strahlkraft nach ganz Europa hat. Und auch darüber hinaus. Großbritannien und vor allem seine Kapitale London bilden einen Knotenpunkt der wichtigen kulturellen und gesellschaftlichen Globalströme und -strömungen unserer Zeit. Auch wenn Berlin-Euphoriker sich immer noch einreden, durch Mitte rucksackende Eurotouristen machten die Spreestadt zur Weltmetropole – diese Bezeichnung dürfte weiterhin eher auf London zutreffen. London ist, könnte man sagen, in vielerlei Hinsicht Europas Tor zur Welt. Oder vielmehr – war. Oder nicht?

Natürlich ändert das Referendum nicht alles. England gehört weiterhin zu Europa. London auch. Das nächste Baumeister-Cover wird dies zeigen. Dennoch hat der EU-Austritt Folgen für viele von uns. Und zwar auch ganz praktisch und auch für heutige und künftige Architekten: Wird es künftig für unsere Studierende teurer und schwieriger werden, an der AA in London zu studieren? Wie steht es mit jungen Architekten aus Europa, die bei Richard Rogers oder Zaha Hadid arbeiten wollen? Wird es für deutschen Architekten künftig (noch) schwieriger, vom Bauboom in London zu profitieren?

Vor allem aber stellt sich die Frage, was der Austritt der Briten für das europäische Projekt bedeutet. Mancher glaubt ja, dass Europa nun erst richtig zu sich finden könnte. Das sehe ich anders. Für mich persönlich gehörte Großbritannien in dieses Europa. Ich hätte mir eine stärkere Position Londons gewünscht. London ist mir näher als viele andere europäische Metropolen. Ich fürchte, ein trotziges „weiter so“ wird als Antwort aus Brüssel, Paris, Rom oder Berlin nicht ausreichen.

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