Es klingt paradox: In ganz Deutschland drehen sich die Baukräne, neue Bürohäuser und Wohngebäude entstehen beinahe wie am Fließband. Trotzdem klagen Makler für Büroimmobilien über Flächenknappheit. Und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) konstatierte kürzlich, dass in den großen Städten nicht nur viel zu wenige Wohnungen gebaut werden, sondern auch noch die falschen.
Das Fazit der IW-Studie klingt in der Tat alarmierend: „Deutschland baut am größten Bedarf vorbei“, sagen die Autoren der Studie, die von dem Wohnungsunternehmen d.i.i. in Auftrag gegeben wurde.
Demnach fehlen in den deutschen Großstädten mehr Wohnungen als bislang angenommen. 88.000 neue Wohnungen jährlich müssten bis zum Jahr 2020 allein in den sieben sogenannten A-Städten Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, München und Stuttgart entstehen und weitere 85.600 Wohnungen in den übrigen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern, so das IW. Bundesweit liegt der Neubaubedarf der Studie zufolge bis zum Jahr 2020 bei jährlich 385.000 Wohnungen. Da es vorwiegend jüngere Menschen in die großen Städte ziehe, sei dort der Bedarf an kleinen Wohnungen besonders hoch.
Immer noch zu wenige Wohnungen
Die Bautätigkeit hat mit dem Bedarf zumindest in den vergangenen Jahren nicht Schritt gehalten. Zwischen 2011 und 2015 sind im Bundesdurchschnitt nur etwas mehr als die Hälfte (53 Prozent) der benötigten Wohnungen gebaut worden. In den Großstädten lag die Quote sogar nur zwischen 25 und 30 Prozent. Die Folge dieses Mangels kennen wir alle: Kaufpreise und Mieten steigen unaufhörlich.
Allerdings wird nicht nur zu wenig gebaut, sondern offenbar auch das Falsche. Ein Ergebnis der Studie ist nämlich, dass es ausreichend große Wohneinheiten gibt. Bundesweit gesehen wurden 97 Prozent der benötigten Wohnungen mit fünf und mehr Räumen zur Verfügung gestellt. Die meisten davon entstanden als Ein- oder Zweifamilienhäuser in ländlichen Gegenden.
Erheblich größer ist der Mangel an kleineren Wohnungen. In den A-Städten ist nur rund ein Viertel der benötigten Zweizimmer-Wohnungen entstanden, und bundesweit betrachtet liegt die Quote auch bloß bei 30 Prozent. Wohnungen mit drei bis vier Zimmern fehlen insbesondere in den Städten ab 100.000 Einwohnern, hier ist der Bedarf nur zu gut 20 Prozent gedeckt. Bei Einzimmer-Wohnungen ist die Lage besser, wenn auch keineswegs rosig: In den Metropolen wurden zwischen 2011 und 2015 immerhin knapp die Hälfte (48 Prozent) der benötigten Mini-Wohnungen gebaut, außerhalb dieser Städte ist der Bedarf schon zu rund 80 Prozent gedeckt.
Die Nachfrage nach Zwei- bis Dreizimmer-Wohnungen ist nach Auffassung der Studienautoren besonders hoch, weil viele junge Paare und ältere nach der Familienphase genau nach solchen Wohnungen suchen. Aber ausgerechnet diese Größe wird offenbar am wenigsten gebaut. Stattdessen beobachten wir einen Trend zu teuren Mikroapartments in den Innenstadtlagen.
Zu wenige Büros
Doch die Menschen zieht es in die Städte, weil hier neue Arbeitsplätze entstehen. Das führt zum nächsten Paradox: Obwohl gefühlt allerorts neue Büropaläste gebaut werden und zugleich viele ältere Bürohäuser leer stehen, klagen Makler über Flächenknappheit.
Tatsächlich aber werden in den größten deutschen Büromärkten Hamburg, Frankfurt, Berlin, Köln, Düsseldorf und München recht wenige Büroflächen fertiggestellt. Nach Erhebungen des Immobiliendienstleisters Savills waren es 2016, wie bereits 2015, nur 900.000 Quadratmeter. Die meisten dieser Flächen kamen gar nicht erst auf den Markt, denn sie waren zu zwei Dritteln schon vorvermietet. Große Unternehmen mit viel Flächenbedarf greifen nämlich immer öfter auf Projektentwicklungen zurück, um die gewünschte Qualität zu vertretbaren Mietpreisen zu bekommen. Die Zurich-Versicherung beispielsweise wird in der geplanten MesseCity, einem neuen Büroviertel im rechtsrheinischen Köln-Deutz, 60.000 Quadratmeter belegen. Erst nachdem der Versicherer den Mietvertrag unterzeichnet hatte, ging die Projektentwicklung in die Realisierungsphase.
Eine Erklärung für das niedrige Fertigstellungsvolumen ist, dass die Banken bei der Kreditvergabe recht restriktiv sind. Sie verlangen derzeit einen Vorvermietungsstand von 30 bis 40 Prozent, bevor sie überhaupt einen Kredit vergeben. Spekulative Entwicklungen, also Bauten, die ohne eine gewisse Quote an Vorvermietung begonnen werden, gibt es kaum noch. Und wenn, dann werden sie von Akteuren umgesetzt, die ohne Fremdkapital von Bankenseite auskommen. Tishman Speyer ist so ein Player. Die US-Gesellschaft hat in Frankfurt viele Büroprojekte realisiert. Das Erfolgsrezept: Man sichere sich ein Grundstück in Bestlage und verpflichte renommierte oder angesagte Architekten. Die Vermarktung der spektakulären Bürohochhäuser ist dann fast ein Selbstläufer. Aktuell baut BIG für Tishman Speyer in Frankfurt ein Hochhaus mit Mischnutzung, und auch Christoph Mäcklers Opernturm wurde von der amerikanischen Firma entwickelt.
Wer baut am Bedarf vorbei?
Die Zahlen belegen es: In Deutschland wird zu wenig gebaut und – zumindest im Fall von Wohnungen – auch noch das Falsche. Die Forderungen der Bau- und Immobilienbranche klingen folgerichtig: Großstädte sollen mehr Bauland bereitstellen. Kommunen sollen Eigentümer und Investoren bei Umbaumaßnahmen und Aufstockungen unterstützen. Das Baurecht und die Regelungen in den Bauverordnungen sollen gelockert werden. Und Banken sollen ihre Kredite bereitwilliger vergeben.
Allerdings, so einfach kann man es sich wohl nicht machen. Ein Bürohaus gilt schon als „unmodern“, wenn es älter als zehn oder zwölf Jahre ist. Aus Maklersicht ist es dann kaum noch zu vermarkten. Gewiss, die Grundrisse passen oft nicht zu den Bedürfnissen der Unternehmen, die derzeit gerne innovative Großraum-Konzepte umsetzen wollen. Ob eine solche „unvermittelbare“ Immobilie deswegen aber einfach abgerissen werden muss, wie es derzeit oft geschieht, kann man durchaus hinterfragen. Immerhin werden leerstehende Büroflächen zunehmend auch umgenutzt. Bevorzugt werden sie zu Mikro-Apartments umgebaut, zu denen die IW-Studie allerdings anmerkt, dass sie gar nicht so stark nachgefragt werden. In Frankfurt, wo besonders viel Büro-Leerstand zu Wohnraum umgenutzt wird, gibt es bereits mehr als benötigt: Laut den Erhebungen ist der Bedarf an Einzimmer-Wohnungen dort zu 144 Prozent gedeckt.
Die Frage, warum die falschen Wohnungen in den Großstädten gebaut werden, können sich Projektentwickler und Investoren also selbst beantworten. Denn der Trend zu den Mikro-Apartments kommt nicht von ungefähr. Die kleinen teil- oder vollmöblierten Wohnungen sind meist im gehobenen oder Luxus-Segment angesiedelt und werden entsprechend teuer vermietet. Das ist natürlich viel lukrativer, als preiswerten Wohnraum für Paare oder Kleinfamilien zu bauen.