18.07.2014

Öffentlich

Architektur verschleiern?

Um den Wiederaufbau der zwei fehlenden Meisterhäuser hatte sich eine kontroverse 
Debatte entsponnen: Gesucht wurde der „richtige“ Weg im Umgang mit der Geschichte. Haus Gropius und Haus Moholy-Nagy sind nun seit Mitte Mai wieder geöffnet. „Eigenständige, zeitgenössische Kunstwerke“ seien ent­standen, sagt die Landeskonservatorin Ulrike Wendland. Unser Autor sieht das anders.

In hellem Lichtgrau strahlen die kubischen Baukörper, die 69 Jahre nach der Kriegszerstörung von Haus Gropius und Haus Moholy-Nagy hinter der ebenso weißgrau aufgerichteten Gartenmauer als die neuen Meisterhäuser der Dessauer Bauhaus-Künstlerkolonie aufragen. Seit der Einweihung vor wenigen Wochen ist das Weltkulturerbe „Meisterhaussiedlung“ damit wieder ganz hergestellt. Flache, weiße Häuser auf grünem Rasen zwischen dunkel aufragenden Kiefern rufen die historischen Bilder in Erinnerung. Aber mit jedem Schritt der Annäherung schält sich aus der vertrauten Silhouette eine sehr fremde Erscheinung heraus.

Es wird rasch deutlich, dass die zwei „neuen“ Häuser ihre Vorbilder auf die Grundformen verknappen und aller Details entkleiden. Die Balkone sind brüstungslose Vorsprünge und die Fenster glatte Glasflächen ohne Stahlsprossen, dafür dunkelgrau mattiert. Die Gläser liegen bündig in der Fassade, so dass das ganze Gebäude wie aus einem Guss erscheint. Innen betritt man kahle Räume. Man erkennt nur Reste einer Raumaufteilung und blickt durch Deckenausschnitte in offene Geschosse, wo die blinden Fenster als leuchtende Gebilde funktionslos an den Wänden verteilt sind.

Der Eindruck von Kahlheit und Fremdheit lässt erstaunen. Dass man gezwungen ist, den Sinn dieser Bauten zu ergründen, ist gewollt. Man muss sich vertraut machen mit dem, was die Architekten die „Interpretation des ursprünglichen Hauses“ nennen. Mit ihrem Berliner Büro Bruno Fioretti Marquez entwickelten sie das Konzept für die Fehlstellen der Siedlung im Auftrag der Stadt Dessau und mit der Stiftung Bauhaus Dessau als nunmehr neuem Eigentümer. Das Ergebnis dieses Prozesses und seiner langen Vorgeschichte ist nicht Neubau, Nachbau oder Wiederaufbau, auch nicht „Bauen im Bestand“, sondern etwas ganz anderes, das ohne Semantik nicht zu verstehen ist.

Es brauchte zwei Wettbewerbe, bis ein Architekt „mit Haltung“ gefunden war, wie es der Juryvorsitzende David Chipperfield ausdrückte, der mit seiner Neuschöpfung des Berliner Neuen Museums Maßstäbe einer schöpferischen Denkmalpflege setzte. Das Konzept, das die Jury überzeugte, hieß „unscharfe Rekonstruktion“. Weil Gebäude aber konkret sind, prägten die Architekten den paradoxen Begriff von der „präzisen Unschärfe“. Ihre Bauten seien „Abstraktionen“, zu ergänzen im Kopf des Betrachters, und ihre „Unschärfe“ äußere sich in verfremdeter Erscheinung. Etliche Materialexperimente unterstützten diese Effekte.

So zum Beispiel ein subtiles Kunstwerk, das in den Innenräumen der beiden neuen Meisterhäuser zu entdecken ist: Der Berliner Künstler Olaf Nicolai schuf die mehrteilige, permanente Wandarbeit „Le pigment de lumière“, die sich auf die Lichtexperimente von László Moholy-Nagy bezieht. Seine so genannten Artefakte bestehen aus verschiedenen Segmenten, so dass ein abstraktes Bild aus Rechtecken und Quadraten entsteht. Jedes Segment erhält eine eigene Oberfläche, die dank des einfallenden Lichts und der Raumtiefe ein differenziertes Spiel monochromer Flächen entstehen lässt. Als Grundlinien bezieht sich Nicolai auf die Gebäude selbst. Die Artefakte erhalten eine Art „Haut“ aus verschiedenartigen Putz- und Spachtelflächen, die am besten vor Ort wirken, aber schwer zu fotografieren sind.

Fotos Meisterhäuser: Christoph Rokitta, 2014, Stiftung Bauhaus Dessau; Foto unten: Olaf Nicolai, Studie für „Le pigment de la lumière“, Weiße Gouache auf gefaltetem Papier, 2014, 63 x 48 cm

 

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