Um den Wiederaufbau der zwei fehlenden Meisterhäuser hatte sich eine kontroverse Debatte entsponnen: Gesucht wurde der „richtige“ Weg im Umgang mit der Geschichte. Haus Gropius und Haus Moholy-Nagy sind nun seit Mitte Mai wieder geöffnet. „Eigenständige, zeitgenössische Kunstwerke“ seien entstanden, sagt die Landeskonservatorin Ulrike Wendland. Unser Autor sieht das anders.
In hellem Lichtgrau strahlen die kubischen Baukörper, die 69 Jahre nach der Kriegszerstörung von Haus Gropius und Haus Moholy-Nagy hinter der ebenso weißgrau aufgerichteten Gartenmauer als die neuen Meisterhäuser der Dessauer Bauhaus-Künstlerkolonie aufragen. Seit der Einweihung vor wenigen Wochen ist das Weltkulturerbe „Meisterhaussiedlung“ damit wieder ganz hergestellt. Flache, weiße Häuser auf grünem Rasen zwischen dunkel aufragenden Kiefern rufen die historischen Bilder in Erinnerung. Aber mit jedem Schritt der Annäherung schält sich aus der vertrauten Silhouette eine sehr fremde Erscheinung heraus.
Es wird rasch deutlich, dass die zwei „neuen“ Häuser ihre Vorbilder auf die Grundformen verknappen und aller Details entkleiden. Die Balkone sind brüstungslose Vorsprünge und die Fensterist eine Öffnung in der Wand eines Gebäudes, die Licht, Luft und Blick nach draußen ermöglicht. Es gibt verschiedene Arten von Fenstern, die sich in Größe, Form und Material unterscheiden können. Das Fenster ist ein wesentlicher Bestandteil der Gebäudearchitektur und hat sowohl funktionale als auch ästhetische Bedeutung. Es ist eine… glatte Glasflächen ohne Stahlsprossen, dafür dunkelgrau mattiert. Die Gläser liegen bündig in der FassadeFassade: Die äußere Hülle eines Gebäudes, die als Witterungsschutz dient und das Erscheinungsbild des Gebäudes prägt., so dass das ganze Gebäude wie aus einem Guss erscheint. Innen betritt man kahle Räume. Man erkennt nur Reste einer Raumaufteilung und blickt durch Deckenausschnitte in offene Geschosse, wo die blinden Fenster als leuchtende Gebilde funktionslos an den Wänden verteilt sind.
Der Eindruck von Kahlheit und Fremdheit lässt erstaunen. Dass man gezwungen ist, den Sinn dieser Bauten zu ergründen, ist gewollt. Man muss sich vertraut machen mit dem, was die Architekten die „Interpretation des ursprünglichen Hauses“ nennen. Mit ihrem Berliner Büro Bruno Fioretti Marquez entwickelten sie das Konzept für die Fehlstellen der Siedlung im Auftrag der Stadt Dessau und mit der Stiftung Bauhaus Dessau als nunmehr neuem Eigentümer. Das Ergebnis dieses Prozesses und seiner langen Vorgeschichte ist nicht Neubau, Nachbau oder Wiederaufbau, auch nicht „Bauen im Bestand“, sondern etwas ganz anderes, das ohne Semantik nicht zu verstehen ist.