23.06.2022

Öffentlich

500 Jahre Fuggerei – mit MVRDV

Holz
Blick auf einen länglichen, sich gekurvt schlängelnden Holzpavillon vor einem Gebäude in Augsburg anlässlich des Fests „500 Jahre Fuggerei“. MVRDV, NEXT500 Pavillon, Augsburg, Foto: © Saskia Wehler
Foto: © Saskia Wehler

Das niederländische Architekturbüro MVRDV hatte zum Fest „500 Jahre Fuggerei“ in Augsburg einen Holzpavillon entworfen. Er lockte fünf Wochen lang zahlreiche Besucher an, wird nun recycelt und anschließend nach Groningen umziehen. Bestehen aber bleiben die Ideen des Büros aus der Pavillonsausstellung „Fuggereien der Zukunft“.

Die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt

Fährt man mit dem Zug nach Augsburg, sind die Fugger nicht zu übersehen: Der Regionalzug von München kommend heißt Fugger-Express. Am Augsburger Hauptbahnhof wird man dann in der Fuggerstadt Augsburg begrüßt. Die Fugger, ein altes Kaufmannsgeschlecht, das in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wie keine andere Familie für Handel, Macht und Geld stand, hinterließen in Augsburg bis heute ihre Spuren.

Das wohl bekannteste Erbe dürfte die Fuggerei sein, die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt. Weil er sich um sein Seelenheil sorgte und aus Humanität stiftete Jakob Fugger, auch genannt der Reiche, die Siedlung. Mit ihr setzte Jakob Fugger schließlich Maßstäbe, die bis heute bestehen: „Für eine minimale spirituelle und monetäre Gegenleistung ermächtigt die Stiftung Bedürftige in der Region, ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen“, formulierten es die Fuggerischen Stiftungen anlässlich des 500-jährigen Jubiläums 2021.

Blick aus Vogelperspektive auf einen Platz in Augsburg, auf dem ein hölzerner, gewundener Pavillon für das Fest „500 Jahre Fuggerei“ steht. MVRDV, NEXT500 Pavillon, Augsburg, Foto: © Eckhart Matthäus
Foto: © Eckhart Matthäus
Blick auf einen hölzernen Pavillon auf einem Platz in der Stadt Augsburg anlässlich des Fests „500 Jahre Fuggerei“. MVRDV, NEXT500 Pavillon, Augsburg, Foto: © Saskia Wehler
Foto: © Saskia Wehler

Frühe soziale Einrichtung

Das bedeutet: Bedürftige und katholische Augsburger und Augsburgerinnen finden in der Fuggerei für 88 Cent Kaltjahresmiete und drei Gebete am Tag ein Zuhause mitten in Augsburg. Unvorstellbar in einer Stadt, in der sich die Mietpreise in den letzten zehn Jahren fast verdoppelten. So kostet eine Dreizimmerwohnung im Jahr 2022 inzwischen durchschnittlich um die 13.000 Euro Kaltjahresmiete. Wohnen in Augsburg wird, wie in vielen Städten Deutschlands, teurer. Das merken auch die Fuggerischen Stiftungen, die die Sozialsiedlung verwalten und im Sinne des Stifters fortführen.

Astrid Gabler, eine Mitarbeiterin der Fuggerischen Stiftungen, berichtet bei einer Führung durch das 15.000 Quadratmeter große Quartier, dass die Nachfrage vor allem in den letzten zwei Jahren gestiegen sei. Immer mehr Augsburger und Augsburgerinnen hoffen auf eine der 142 Wohnungen. Den Wunsch kann man durchaus nachvollziehen, wenn man ein paar Stunden innerhalb der Siedlung verbrachte. Denn hier sind nicht nur die Mieten stehen geblieben. Generell scheint sich die Welt in der Fuggerei langsamer zu drehen. Keine Autos verstopfen die Straßen. Wilder Wein rankt die Häuser empor. Nachbarn plaudern auf der Straße. Der Pfarrer grüßt das Kind an der Ecke.

In der Fuggerei sorge man sich um den anderen, erzählt eine Bewohnerin. Sie selbst habe ein Leben lang in der Gastronomie gearbeitet. Doch die Rente reiche nicht für das teure Leben in der Stadt. Die Fuggerei ermögliche ihr ein urbanes Leben in der Gemeinschaft. Und in der Tat ist die Fuggerei wie ein Dorf in der Stadt, ein Zufluchtsort für sehr unterschiedliche, teils gebrochene Biografien.

Blick in den Innenraum eines Gebäudes aus Holz, in der Mitte des Raums ein T-förmiger, blauer Tisch, darüber mehrere herabhängende Glühbirnen und Beschriftungen an der Wand. MVRDV, NEXT500 Pavillon, Augsburg, Foto: © Eckhart Matthäus
Foto: © Eckhart Matthäus

„Europa braucht mehr Fuggerei“

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen könnte Recht haben, als sie anlässlich des 500-jährigen Fuggerei-Jubiläums Anfang Mai 2022 sagte: „Europa braucht mehr Fuggerei.“ Dieser Meinung sind auch die Fuggerischen Stiftungen. Sie entwickelten deswegen in Zusammenarbeit mit einigen Partnern wie MVRDV den sogenannten Fuggerei-Kodex, der das „Geheimnis“ der Fuggerei in zehn Punkten bündelt. Auf dessen Grundlage können „Fuggereien der Zukunft“ in der ganzen Welt entstehen. Letztendlich ist der Kodex ein Appell an die Reichen und Mächtigen wie die Fugger: Gründet Wohnstiftungen im Sinne der Fuggerei!

Der Festpavillon von MVRDV besteht aus vorgefertigten Brettsperrholzplatten, das Holz stammt dabei aus den eigenen Wäldern der Fuggerei. Das lange, schmale, giebelständige Gebäude ist zudem selbst inspiriert von den Reihenhäusern der Siedlung. Es stand nun fünf Wochen lang vor dem Augsburger Rathaus. Darin war eine Ausstellung zu besichtigen, die die MVRDV-Studie über die „Fuggerei der Zukunft“ zeigte. Der Kodex und drei Vorschläge für neue Fuggerei-Komplexe in der ganzen Welt wurden gezeigt.

Zwei Personen innerhalb eines hölzernen Gebäudes, die sich eine Ausstellung ansehen. MVRDV, NEXT500 Pavillon, Augsburg, Foto: © Saskia Wehler
Foto: © Saskia Wehler

Die Fuggereien der Zukunft – gleiche Grundsätze wie beim Original

Der erste der drei Vorschläge ist für die Heimatstadt Augsburg vorgesehen und unterscheidet sich von der ursprünglichen Fuggerei durch seinen Bildungsschwerpunkt, der Selbstbestimmung ermöglichen und das Wohlstandsgefälle in der Stadt durch Bildung verringern soll. Die zweite Fuggerei der Zukunft ist für eine Gemeinde im ländlichen Litauen bestimmt und konzentriert sich auf die Altersarmut und die Krise in der Sozialfürsorge aufgrund einer alternden Bevölkerung. Die dritte Fuggerei konzentriert sich auf Rothumba, ein abgelegenes Fischerdorf in Sierra Leone, mit der Strategie, die Bewohnergemeinschaft zu stärken und ein sicheres Umfeld für Frauen und Kinder zu schaffen. Auf der Grundlage des Fuggerei-Kodex und der in der Studie entwickelten Bausteine hängt das Erscheinungsbild dieser künftigen Fuggereien von ihrem Zweck und ihrem Standort ab, aber die Grundsätze sind die gleichen wie beim 500 Jahre alten Original.

Die Idee, Stiftende für Fuggereien der Zukunft zu begeistern, liegt in einer Welt nahe, in der die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Schließlich müsste es sowohl Geld als auch Bedarf an Wohnungsstiftungen geben. Welche Wirkung der Appell entfalten wird, werden die nächsten 500 Jahre Fuggerei-Geschichte zeigen.

Beteiligte: Architekten (MVRDV), Auszuführende (Züblin) und Licht (Delta Light)

Noch mehr hölzerne Konstruktionen: In einem Ökotourismus-Resort im Südosten Chinas baute Luo Studio eine Holzbrücke.

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