01.04.2020

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5 Fragen an Reiner Nagel von der Bundesstiftung Baukultur

Reiner Nagel ist Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur (Foto: Bundesstiftung Baukultur / Till Budde)


“Es wäre schön, wenn der jetzige Ausnahmezustand zu mehr Achtsamkeit führt.”

Vergangene Woche meldete das Online-Magazin von t-online, dass in Deutschland mehr und mehr Airbnb-Vermieter ihre Wohnungen zur Zwischenmiete auf Immobilien-Portale wie Immobilienscout24 oder ImmoWelt stellen. Für Reiner Nagel könnte das ein positiver Effekt der Corona-Pandemie sein. Wir haben mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur telefoniert und ihn gefragt, welche weiteren Chancen er sieht und welche Sorgen ihn in diesen Tage begleiten.

Reiner Nagel, wie arbeitet die Bundesstiftung Baukultur diese Tage?

An unserem Stiftungssitz in Potsdam und in den Räumlichkeiten unseres Fördervereins beim Berliner DAZ gibt es eine Notbesetzung, die aufgrund von Fahrradwegdistanzen und Raumgrößen machbar ist. Die meisten Kolleginnen und Kollegen arbeiten aber von zuhause aus. Wir sind alle im ständigen Kontakt. Über digitale Plattformen als Ersatz für den „Flurfunk“, über Videogespräche, per E-Mail, SMS und es wird auch wieder mehr telefoniert. Trotzdem fehlen natürlich der direkte Kontakt und ein Großteil der nonverbalen Kommunikation.

Am schwierigsten finde ich, dass unser Kommunikationsauftrag nach außen leidet oder stärker formalisiert wird. Alle Veranstaltungen, Meetings oder Netzwerktreffen sind abgesagt. Manche schon Monate im Voraus. Jeder kann den Anlass und die Notwendigkeit nachvollziehen, trotzdem ist das nicht gut für die Motivation und es braucht jetzt mehr Disziplin um engagiert weiterzumachen. Wir erarbeiten derzeit verschiedene Formate, die den Verlust kompensieren und einen branchenübergreifenden Austausch und Kontakt der unterschiedlichen Akteure der Baukultur auch in dieser veränderten Situation ermöglichen sollen.

Welche Sorgen beschäftigen Sie derzeit?

Das betrifft natürlich im persönlichen Bereich die Familie, Eltern, Freunde. Und dann denke ich beim jetzigen Stillstand vieler Dynamiken, ob es einfach so weitergeht, wenn der Motor wieder angeschmissen wird, oder ob sich etwas ändert. In unserer Nachbarschaft wird gerade ein Haus aus dem Jahr 1929 abgerissen. Das Dach ist schon weg und jetzt ruhen die Arbeiten. Jeden Tag, den die Ruine da in der Sonne steht, erkennt man stärker die ursprünglichen Qualitäten und selbst Laien sehen, dass der Abriss ein Fehler ist. Es wäre schön, wenn das Innehalten im jetzigen Ausnahmezustand zu mehr Achtsamkeit und Vernunft und einer auch baukulturell reflektierten Verhaltensweise in der Zukunft führt.

“Es bildet sich ein starkes Bewusstsein für unsere bipolare, gebaute Lebenswelt.”

Manch einer stellt sich derzeit die Frage, ob er nach der Krise noch einen Job haben wird …

Ja, und die Gefahr besteht. Es gibt schon jetzt einschneidende Folgen für die Weltwirtschaft und damit für viele Jobs bei uns. Hinzu kommt, dass die tragende Säule der Konsumgüterindustrie weiter leiden wird, weil viele Menschen merken, es geht ja auch so – mit Ausnahme natürlich von Toilettenpapier. Hier rächt sich jetzt, dass wir nicht schon eher in Richtung Reduktion und Werthaltigkeit umgedacht haben. Besorgniserregend ist aber, dass es am stärksten den Kulturbetrieb und die Kreativen trifft.

Die Milliardenförderungen gehen erst einmal in die Wirtschaft und das Ende der Wertschöpfungskette wird die Krise am stärksten spüren. Das betrifft dann auch Bauprojekte, die zurückgestellt oder gestrichen werden.Andererseits unterlag die Bauwirtschaft schon immer Schwankungen. Hier hilft es, dass Architekten und Ingenieure von Haus aus Problemlöser sind und mit neuen Anforderungen in der Regel kreativ umgehen können. Wenn es uns gelingt, uns stärker von globalen Entwicklungen und Logistikketten unabhängig zu machen, können Handwerk, regionales Bauen und die Baukultur eine dauerhafte Beschäftigungsperspektive bieten. 

“Künftig wird sich mehr Klasse durchsetzen.”

Die Bundesstiftung Baukultur setzt sich für die Belange qualitätvollen und reflektierten Planens und Bauens ein. Wenn man sich das alles so anschaut, erwartet Sie nach der Krise eine Menge an Aufräumarbeiten …

Ich glaube, dass es weniger um Aufräumen als um Bilanzieren und Umräumen geht. Wir werden eine Verschiebung der Prioritäten wahrnehmen. Ich glaube, dass die Wohnungsnachfrage und die Flucht in Bodengold nicht mehr so stark anhalten werden. Wenn zum Beispiel die Airbnb-Ferienwohnungen wegen Wegfalls des Geschäftsmodells auf den normalen Wohnungsmarkt kommen, ist das ein positiver Effekt. Auch werden wir feststellen, dass sich künftig mehr Klasse durchsetzt und Massenware Probleme kriegen wird. Das haben wir schon immer gesagt. Die größte Herausforderung wird es sein, jetzt anstehende Investitionen in Infrastruktur und Bestandssanierung zu aktivieren und noch stärker mit baukultureller Qualität zu verbinden. Vielleicht irre ich mich aber auch und die Leute haben – wie das ja nach Krisen so ist – wieder mehr Lust auf Schwarzbrotprojekte.

“Es bildet sich ein starkes Bewusstsein für unsere bipolare, gebaute Lebenswelt.”

Jede Krise ist auch eine Chance. Welche weiteren Chancen sehen Sie für die Zukunft der Baukultur?

Die derzeitig unfreiwillige Entschleunigung vieler Prozesse kann Kapazitäten freisetzen neue Methoden auszuprobieren und festgefahrene Routinen zu hinterfragen. Hier liegt sicherlich eine Chance für die Bauwirtschaft, die digitale Infrastruktur auszubauen. Dafür bleibt im Alltagsgeschäft oft keine Zeit. Für die Baukultur ergeben sich in der Krise aber auch direkte Anknüpfungspunkte. Außer der Erkenntnis, wie sehr wir soziale Wesen sind, bildet sich ein starkes Bewusstsein für unsere bipolare, gebaute Lebenswelt: Um im Homeoffice zu arbeiten, brauchen wir zunächst ein Zuhause, also eine Wohnung, eine passende Einrichtung, einen Rückzugsort in der Welt. Hier werden wir derzeit alle noch stärker Expertinnen und Experten für Wohn- und Arbeitskultur.

Und als einen der stärksten Einschnitte der Krise empfinden die meisten Menschen den zeitweisen Verlust der Nutzbarkeit öffentlicher Räume. Als sichtbare Maßnahme werden diese Abstriche von der Versammlungsfreiheit übrigens auch am stärksten sanktioniert. Ich sehe es deshalb als große Chance, dass die Bedeutung öffentlicher Räume, deren Vorhandensein, Qualität und Nutzbarkeit, stärker wächst – und auch die Bedeutung von Gemeinschaftsorten, die wir jetzt vermissen, wie Theater, Museen oder Kneipen. Und dass Baukultur damit noch mehr als Handlungsebene gesehen wird, sowohl mit Hilfe intensiver angewandter digitaler Medien als auch handwerklich analog.

 

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