25.02.2019

Öffentlich

Zwischen Himmel und Erde


Unruhe in der Kirche

Der BDA Preis Bayern 2019 in der Kategorie besondere Bauten ging an das Kirchenzentrum Seliger Pater Rupert Mayer in Poing von Meck Architekten. Den Architekten ist hier ein anziehender, geradezu mystischer Ort gelungen.

Bei der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland herrscht Unruhe. Demografischer Wandel, Priestermangel und Austritte hinterlassen in den Kirchengemeinden Spuren, ebenso wie der große, vielerorts sanierungsbedürftige Gebäudebestand. Strukturreform heißt oftmals die umstrittene Lösung; seit den 1990er-Jahren wurden in Deutschland mehr als 850 Kirchen beider Konfessionen entweiht, umgenutzt und zum Teil abgerissen. Zwar stellt es für Architekten sicherlich eine reizvolle Aufgabe dar, diesen besonderen Bestand in ein neues Leben zu überführen, aber für die Kirchengemeinden bedeutet dies schmerzhafte Einschnitte.

Dennoch gibt es auch Lichtblicke: Über 50 neue Kirchen sind entstanden, zum Großteil als Ersatzneubauten für Baufälliges oder als Zusammenlegung verschiedener Standorte. Eine große Ausnahme bildet der Neubau der Kirche „Seliger Pater Rupert Mayer“ in Poing. Nach einem Wettbewerb 2011 baute sie das Münchner Büro Meck und Kardinal Reinhard Marx weihte den Sakralbau 2018.

Auch das gibt es: mehr Kirchgänger

Denn das im Münchner Speckgürtel gelegene Poing wächst rasant. Seit 1985 hat sich die Bevölkerungszahl besonders durch junge Familien verdoppelt, Tendenz weiter steigend. Dies birgt Herausforderungen sowohl für den Ort selbst. Poing soll getrennt von der für die Pendler wichtigen S-Bahntrasse eine neue, verbindende Mitte im Ortsteil Bergfeld bekommen. Es birgt aber auch Herausforderungen für die bestehende Kirchengemeinde, deren bisherige Pfarrkirche St. Michael für den wachsenden Bedarf zu klein geworden war. Schon 1965 gab es dazu erste Überlegungen, gebaut wurden 1993 aber lediglich der Kindergarten und 2002 das neue Pfarrheim. Als Standort für die neue Kirche hatte man schon immer die freie Fläche zwischen der inzwischen stark befahrenen Gruber Straße – in unmittelbarer Nähe zum Bürgerhaus und Standort für einen Rathausneubau – und dem Bergfeldsee als Ausläufer eines die Neubaugebiete flankierenden Grünzugs vorgesehen. Man kann diese Lage als Bindeglied zwischen Alt- und Neu-Poing sehen, zwischen Stadt- und Grünraum, aber auch als Vermittler zwischen der heterogenen Umgebungsbebauung und all den Wegeführungen.

Wie kann und muss ein Sakralbau auf dieses städtebauliche Schlussstück angemessen reagieren? Versteht man das Volumen des Kirchenraums als Abschottung beziehungsweise Pufferzone zur Straße und damit zum Weltlichen gegenüber der Mystik des sakralen Orts oder muss in Zeiten der Abkehr vom Glauben eine moderne Kirche die Herausforderung annehmen, sich in der Mitte des Lebens zu öffnen?

Von der Randlage zum neuen Mittelpunkt

Im Norden grenzt die Kirche an einen Grünzug.

Ein Besuch vor Ort überrascht auf vielfältige Weise. In Erwartung einer Fortsetzung der Reihe herausragender, aufs Wesentliche konzentrierter Sakralbauten aus dem Büro Meck erscheint die neue Kirche in Poing geradezu übermütig expressiv. Das liegt zum einen an der besonderen Form und der in der Sonne glänzenden Materialität. Es liegt aber auch an der zurückhaltenden städtebaulichen Positionierung am Rand des Grundstücks. Mit der Topografie des Geländes entsteht ein großzügiger zum Kirchenraum und Altar hin abfallender Kirchenvorplatz auf Straßenniveau, der von Radfahrern wie Fußgängern ganz selbstverständlich als öffentlicher Raum genutzt wird.

Der Baukörper erscheint kompakt trotz seiner Höhe von 34 Metern samt Dachkreuz. „Laut Auslobung war ein bis zu 45 Meter hoher Glockenturm als neues Wahrzeichen gewünscht“, erklärt Axel Frühauf von Meck Architekten die Überlegungen aus dem Wettbewerb. „Doch über die pure Höhe oder Masse der einzelnen Volumen Strahlkraft zu erzeugen, wäre in unmittelbarer Nähe zum Turm der evangelischen Kirche und dem der Feuerwehr die falsche Strategie gewesen.“ Der Ansatz des Büros ist viel subtiler. Untergeordnete Profanbauten – Glockenträger auf der einen Seite und ein bislang noch nicht gebautes Pfarrhaus – spannen mit dem eigentlichen Kirchenbau einen imaginären Raum auf, der die Straße als Lebensader einbindet und zugleich die Gesamtsituation ordnet. Im Sinne der Offenheit und Transparenz wird der Kirchenraum von zwei gleichwertigen Eingängen erschlossen. Große Glasflächen im Erdgeschoss geben schon im Vorbeigehen den Blick frei auf das Innerste. Und trotz dieser offensiven Sichtbarkeit bleibt der Bau geheimnisvoll. Werden die Schritte der Passanten langsamer, wendet sich ihr Blick für einen kurzen Moment zum Innenraum, bevor sie ihren Weg und ihr Gespräch fortsetzen.

15.000 gefaltete Keramikkacheln überziehen Dach und Außenwände.
In der Sakristei schmücken vier Davon die Nagelfluh-Wand

Licht bildet Raum

In Worte fassen können die Passanten das Phänomen nicht, aber es schwingt viel zwischen den Zeilen. Hier zeigt sich das Selbstverständnis, aber auch das Vermögen des Büros, den konkreten und imaginären Raum zu einer untrennbaren Einheit zu fassen, in dem jeder seine eigenen Sinnbilder findet. „Die Vorstellung von Kirche zwischen Himmel und Erde – im Spannungsfeld zwischen dem irdischen und sphärischen Raum – manifestiert sich in diesem Entwurf.“ So beschreibt Frühauf die Grundidee und fährt fort: „Die Basis, der steinerne Boden und Sockel aus Nagelfluh, steht für die Erde. Die Kraft, aber auch die Rohheit des Naturbetons mit seinen Einschlüssen steht im bewusst gewählten Kontrast zur kristallinen, mit den weißen Keramikkacheln bekleideten Stadtkrone, die je nach Lichteinfall und Tagesstimmung das Geheimnisvolle, Transzendentale, das sich im Innenraum widerspiegelt, abbildet.“ Das Kinderspiel Himmel und Hölle stand beim Entwurf Pate. Die Fassadengestaltung ist jedoch mehr als reine Dekoration. Denn die plastische Form der Kacheln ist dem Lichtraumprofil des Innenraums entlehnt. Schon in der einfachen Faltung in vier Quadranten steckt subtil das Kreuz, welches sich im konkreten Raum über Wand- und Deckenflächen von der Fläche zum dreidimensionalen Raumerlebnis im Dachfaltwerk aufspannt.

In Analogie zur Dreifaltigkeit sind drei der vier Quadranten besetzt: Das vertikale Zenitlicht vom höchsten Punkt der Kirche trifft auf Altar und Tabernakel, der im leicht abfallenden Innenraum wie ein Stein in einer Schale den zentralen Ort besetzt. Ein Seitenlicht von oben betont den Ort der Taufe, während das Morgenlicht über der Empore hereinfällt, auf der sich auch die Musik befindet. Der vierte Quadrant bildet den Eingangsraum unter der Empore aus. Dieser bildet eine Pufferzone zwischen profanem und sakralem Raum.

Als „ein zum Himmel strebender Raum aus Licht“ beschreiben die Architekten Andreas Meck und Axel Frühauf den Ort, der durch die besondere Oberflächenbehandlung der Wände und das diffus gestreute Licht je nach Tageszeit eine Atmosphäre der Transzendenz oder handfeste Plastizität erzeugt. Auch hier zeigt sich die Stärke des Entwurfs auf eindrucksvolle Weise. Zudem ist kein den Blick störendes Element ist zu sehen, alle Eventualitäten sind im System gedacht und gelöst: Die Lautsprecher verstecken sich im Gestühl, die Liedanzeige kommt per Beamer. Anstelle von herabpendelnden Leuchten sind in den konstruktiv notwendigen Zwischenräumen der Wandschalen Leuchtmittel integriert, die das Tageslicht verstärken oder am Abend durch künstliches Licht ersetzen. Hat der Kirchenmaler sonst mehr mit opulenten Farbaufträgen zu tun, durfte er sich in Poing in Variationen in Weiß versuchen. Der Kirchenneubau verbindet auf bemerkenswerte Weise den Jahrhunderte alten Kanon der Liturgie mit einem zukunftsgerichteten, offenen Gotteshaus – ganz im Sinne des für die Weihe ausgesuchten Mottos „Menschen verbinden“.

Bilder: Michael Heinrich, Florian Holzherr

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