Insgesamt 12 Fußballstadien in Brasilien wurden zur WM neu gebaut oder aufgemöbelt. An dreien war das Hamburger Büro gmp beteiligt. Wir machten die Brasilienrunde – und bekamen komplett unterschiedliche Perspektiven auf das Thema vermittelt. Eine Stadiongeschichte, erzählt aus sechs Perspektiven – die des Architekten und des Kritikers stellen wir hier vor.
Der Architekt
Ein bisschen nervös ist Sander Troost schon, als wir uns der Arena in Manaus nähern. Das Stadion liegt nicht optimal. Zum einen eben in Manaus – und damit mitten im Amazonas-Dschungel. Zum anderen aber auch direkt an der Hauptausfallstraße der Stadt, die das historische Zentrum um den Hafen mit dem Flughafen verbindet. Die Frage also: Kommen wir überhaupt über diese Straße? Eine Ampel gibt es nicht, auch keine Brücke. Letztlich gelingt uns der Transfer – mit viel Glück. Ein Stadion mitten an der Ausfallstraße – nicht ganz unproblematisch oder? „Das stimmt. Unsere Lösung war das, was wir das ‚Podest’ nennen.“ Die Architekten haben das Stadion mit einem Fassungsvermögen von 44.400 Besuchern auf einen massiven Betonsockel gesetzt. Der soll vermitteln zwischen der unwirtlichen Realität der Bundesstraße 174 und dem leicht und spielerisch daher kommenden Stadion mit seinen Anlehnungen an die Blätterstruktur des Amazonaswaldes. „Das Flechtwerk dieser Blätter, oder auch die Muster auf den Schuppen einer Schlange, haben uns bei der Fassadengestaltung als Vorbild gedient“, erläutert Troost auf einer Bootstour durch das Sumpfgebiet südlich der Stadt. Hier leben die Menschen auf Hausbooten oder in Stelzenhäusern, in die sie je nach Wasserstand einen zusätzlichen Boden einziehen können. „Wer hier lebt, passt sich zwangsläufig dem Rhythmus der Natur an“, sagt Sander Troost. Der Holländer hat zwei Jahre selbst in Manaus gelebt und als Projektverantwortlicher das Stadionprojekt betreut, den vielleicht seltsamsten aller brasilianischen Stadionbauten. Ein Stadion im Dschungel. Inzwischen kümmert Troost sich um Olympiabauten in Rio. Er glaubt an das Manaus-Projekt. Und er wird nicht müde, die in der Tat gelungene Integration von Dach und Außenfassade zu erläutern. „Schau mal, wie schön sich die Blattstruktur im Inneren widerspiegelt“, sagt er. In der Tat: Das tut sie. Die TV-Kameras finden hier auf der Suche nach alternativen Bildeinstellungen gefundenes Bildfutter. Das Potenzial des Stadions aber liegt nicht nur im Fußball. Das wäre, bei einer Stadt ohne Erstligaclub, auch zu wenig. Auf seiner Westseite schließt das Sambadrom an, eigentlich nur eine ovale Reihung etwas mitgenommener, aber dennoch irgendwie morbid schöner Betontribünen. Denkbar, dass die neue Arena also die ganze Gegend zu einer Art Sport-Entertainment-Zentrum weiterentwickelt. Das muss sie, denn vom Fußball allein wird sich der Bau langfristig nicht tragen können. „Ursprünglich wollten wir sogar eine Brücke zwischen Sambadrom und Stadionpodest bauen“, erläutert Troost. Die Brücke haben die Stadtväter dann aber gestrichen. Zu teuer, andere Prioritäten.