Als Grundstück wählte die Gemeinde eine bislang als Parkplatz genutzte Liegenschaft an der zentralen Gartenstrasse. Parkplätze aber sind in dörflichen Regionen der Schweiz – und nicht nur dort – sakrosankt, und so gab es nur eine Möglichkeit, das Bauprojekt auch realisieren zu können: Unter der Erde musste für die Parkplätze Ersatz geschaffen werden. Dadurch ergab sich ein hybrides Bauprogramm aus zwei Teilen, die gemeinhin nicht so recht zusammenpassen wollen: Eine Tiefgarage – und ein Kindergarten. Im selektiven Projektwettbewerb von 2014/15 konnte sich das Team der jungen Zürcher Architekten Malte Kloes und Christoph Estrada Reichen (MKCR) gegen eine Konkurrenz von gut 40 Mitbewerbern durchsetzen. Nach der Fertigstellung des Projekts trennten sich die beiden Architekten und gehen inzwischen mit separaten Büros eigene Wege.
Eines der ausschlaggebenden Kriterien für die Kür des Siegerentwurfs war die Positionierung des Baukörpers auf dem relativ tiefen Grundstück. Während manche Teilnehmer die drei Kindergartengruppen über die Parzelle verteilten, fassten sie Kloes und Reichen zu einem orthogonalen VolumenVolumen: Das Volumen beschreibt das Raummaß bzw. die Größe eines Körpers oder Behälters in Kubikmetern oder Litern. zusammen und rückten dieses mit seiner Längsseite an die als Sackgasse ohnehin vom Durchgangsverkehr befreite Gartenstrasse heran.
Der Strassenraum wird dadurch einerseits klarer gefasst; andererseits ist auf der Rückseite, von wo aus die einzelnen Kindergärten erschlossen werden, eine grosszügige Freifläche entstanden, die sich bis zu den der Dorfstrasse zugewandten Nachbarbauten erstreckt. Diese dient als Spielfläche für die Kindergärten und sollte ursprünglich von Zäunen begrenzt werden, wie es vielfach üblich ist. Doch die ruhige dörfliche Hofsituation – der Verbindungsweg zwischen Dorf- und Gartenstrasse nutzen lediglich Fussgänger – führte schliesslich dazu, dass man auf Zäune und Torebezeichnet eine Öffnung in einer Wand oder einem Zaun, die durch ein verschließbares Element begrenzt wird. Im Allgemeinen dienen Tore dem Schutz vor unbefugtem Zugriff und können unterschiedliche Größen, Formen und Bedienungssysteme haben. verzichtete, so dass die Grünanlage ausserhalb der Betriebszeiten des Kindergartens Allen im Dorf zur Verfügung steht.
Kein Rapport
Die eigentliche Herausforderung bestand für die Architekten indes darin, die beiden funktional konträren Programmbestandteile mit ihren je eigenen Logiken baulich und statisch miteinander zu kombinieren sowie möglichst effizient und kostengünstig zu organisieren. Kloes und Reichen reduzierten die Breite der Tiefgarage mit Mitteldurchfahrt und insgesamt 30 Parkfeldern zu beiden Seiten auf das nötige Minimum von 18 Metern – die Erweiterung nach Norden entstand in Absprache mit den Eigentümern des Nachbargrundstücks erst im Rahmen der Ausführungsplanung – und nutzten die Wände, um darauf das Volumen des Kindergartens in Form eines Hallentragwerks zu setzten. Die Lastabtragung des oberirdischen Volumens erfolgt also lediglich über die Aussenwände.
Das Dach ruht auf vorgespannten Ortbetonträgern und ist als geknicktes, relativ flaches und mit Titanzinkschindeln gedecktes WalmdachWalmdach: Ein Walmdach ist eine besondere Dachform, bei der das Dach an allen vier Seiten abgeschrägt ist und somit fast quadratisch aussieht. ausgebildet – mit einem umlaufenden flachen Teil, welcher vorkragt und das Gebäude aus der Nahsicht wie einen eingeschossigen Pavillon erscheinen lässt. Erst aus Distanz wird der höhere Dachteil in der Mitte des Gebäudes erkennbar, der aus dem Volumen mit seinen mehreren Eingängen ein gemeinsames Haus entstehen lässt. Dieses wird subtil nobilitiert durch die Kannelurenstruktur der FassadeFassade: Die äußere Hülle eines Gebäudes, die als Witterungsschutz dient und das Erscheinungsbild des Gebäudes prägt., die nicht aus Fertigteilen besteht, sondern mit Elastomermatrizen samt dem Sockel vor Ort gegossen wurde. Erst bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Kanneluren in der Breite leicht variieren, aber so verteilt sind, dass sich kein RapportRapport: Der Rapport ist das wiederkehrende Muster in einem Textil oder Tapetenmuster, das sich wiederholt. ergibt.
Ein gemeinsames Haus
Die Idee des gemeinsamen Hauses wird im Inneren dadurch verstärkt, dass die mit den Garderoben ausgestatteten Vorzonen vor den eigentlichen Gruppenräumen einen gemeinsamen, langgestreckten Raum bilden, der sich bei Bedarf durch Schiebetürensind Türen, die horizontal oder vertikal auf einer Schiene gleiten, um den Raum zu öffnen oder zu schließen. Sie nehmen weniger Platz ein als herkömmliche Türen, sind daher ideal für Räume mit begrenztem Platzangebot oder für den Zugang zu Terrassen oder Gärten. unterteilen lässt. Grosse Scheiben erlauben den Durchblick in die eigentlichen Kindergärten mit ihren ungefähr 100 Quadratmetern Fläche. Jedem Hauptraum ist eine seitliche Raumspange mit einem strassenseitigen Nebenraum, der Teeküche, den Toiletten und einem Abstellraum zugeordnet.
Diese Spangen sind unter den Ortbetonträgern angeordnet und daher niedriger als die Haupträume mit ihrer Überhöhe. Die unverkleideten schrägen Deckenflächen aus SichtbetonSichtbeton: Ein Beton, der von außen sichtbar bleibt und dessen Oberfläche eine ästhetische Wirkung erzielt., im Firstbereich durch einen breiten Lichtschlitz beleuchtet, lassen in den grossen Räumen den bergenden Eindruck von Zelten entstehen, eine Idee, die schon im Wettbewerbstitel «Zelthaus» zum Ausdruck kam. Um den Gedanken des gemeinsamen Hauses zu stärken, sind auch die Wände im niedrigeren Bauteil zur Strasse hin als Schiebetüren ausgebildet; bei Bedarf können also auch auf dieser Seite alle drei Kindergärten zusammengeschaltet werden.
Zusätzliche Spielräume
Eine besondere Attraktion für die Kinder stellen die Spielräume über den Spangen zwischen den Betonträgern im Obergeschoss dar. Grosse runde Durchbrüche erlauben den Blick hinunter in die Haupträume, aber auch zur Nachbargruppe. Nur der östlichste Kindergarten besitzt wegen des sich zur Gebäudestirn hin abwalmenden Dachs keinen Raum im Obergeschoss; Ersatz schufen die Architekten mit einem Spielraum, der in die zugeordnete Spange mit den Nebenräumen eingelassen ist. An der westlichen Stirnseite finden sich die Aufenthaltsräume der Kindergärtnerinnen.
Klare Materialität
Als Wandmaterial für den Innenausbau, der aufgrund der Tragwerkslogik unabhängig von der Betonstruktur ist, wählten die Architekten Platten aus Seekiefer. Diese sind mit einer Mikroperforation versehen, wodurch es gelungen ist, auf schallabsorbierende Massnamen an den Deckenuntersichten zu verzichten. Die Materialität zeigt sich purPUR: Polyurethan, ein synthetisches Dämmmaterial, das eine hohe thermische Leistung bei geringem Gewicht aufweist. und klar: lindgrünes LinoleumLinoleum ist ein natürlicher Bodenbelag, der aus Leinöl, Kork- oder Holzmehl, Harz und Jute hergestellt wird. In der Regel wird Linoleum auf einen festen Untergrund aufgeklebt oder auf einen Estrich gelegt. Linoleum ist langlebig, wasserbeständig und leicht zu reinigen., Sichtbeton, hölzerne Wände. Kugelförmige Pendelleuchten erhellen den Raum unter den Betonzelten, so dass die Integration von Spots oder Lichtbändern in den schrägen Deckenflächen nicht nötig war. Und weil Papier an den Wänden die Schallabsorptionist ein Verfahren, das zur Verringerung des Schalls in einem geschlossenen Raum eingesetzt wird. Hierbei wird der Schall durch poröse Materialien aufgenommen und in Wärme umgewandelt. reduziert hätte, sind Drähte über Kreuz durch die Räume gespannt, an denen die Zeichnungen der jungen Bewohnerinnen und Bewohner des Zelthauses hängen.
Dieser Beitrag erschien im B4/20: Spielräume. Das E-Paper dieser Ausgabe ist gratis verfügbar.