21.10.2015

Wohnen

In Dörfern denken

Vor kurzem habe ich in München einen Vortrag gehalten. Jeder Gast erhielt mit der Einladung eine ganz persönliche Frage zugeschickt. Entlang des Vortrags kamen auch einige dieser Fragen an die Reihe und es entwickelte sich schnell eine lebendige Diskussion. Die Frage, die die größten Emotionen weckte war die folgende: Was wird aus den Dörfern?

Das hat alle bewegt. Dabei stehen die Dörfer für eine Art Urvorstellung, Gemeinschaft, Ruhe, Intimität, Nachbarschaft, Natur, eine Welt, die noch in Ordnung ist, Kinderparadies, Generationensolidarität und Einfachheit. Was wäre, wenn all das auch in der Stadt zu haben wäre, ohne endlose Pendelfahrten morgens und abends? Was wäre, wenn wir Hochhäuser oder ganze Quartiere als Dörfer betrachten würden, mit eigenem Marktplatz, Gaststätte und vielem, was sonst ein Dorf bietet?

Was wäre, wenn wir durch die Stadtgesellschaft mutierte Dörfer errichten würden? Urbane Dörfer, die Gemeinschaft bieten ohne provinzielle Enge. Neue Dörfer mitten in der Stadt, bewusst geformte Nachbarschaften, die aus Institutionen, Gruppen und Einzelpersonen zusammengesetzt sind, die den anderen etwas geben und sich integrativ verhalten?

Stadtplaner meinen auch mit schlechter Architektur gute Städte und gute Quartiere bauen zu können. Eine Vorstellung, die mich immer ganz nervös werden lässt. Wir brauchen an dieser Stelle größere Ambitionen und wir brauchen eine soziale Utopie, die Nachbarschaften neu denkt, die sich nicht damit begnügt, Häuser, Straßen und Plätze zu bauen, sondern die Gesellschaft baut, indem sie Menschen zusammenbringt.

Zur Zeit beschäftigen wir uns mit zwei Konversationsprojekten. Ehemalige Bürohochhäuser, die zu Wohnzwecken umgenutzt werden. In den oberen Etagen sind viele möblierte Miniapartments mit 1,5 bis 2 Zimmern vorgesehen. Im großen Sockel dieser Hochhäuser planen wir einen zeitgenössischen Marktplatz, eine Kommunikationszone, in der sich Pritvatheit und Öffentlichkeit treffen. Die Räume sind eine Mischung aus Platz und Wohnzimmer für die Nachbarschaft, offen für das Quartier und für die Teilhabe. In die große marktartige Halle sind einzelne Räume eingestellt wie Concierge, Bibliothek, Kino, Wintergarten, Sonnenterrasse, Kaminzimmer, Küche für gemeinsames Kochen, ein Restaurant, Café, Arbeitsräume und ein Waschsalon.

Eine neue Form von Platz, auf dem ganz unterschiedliche Menschen zusammenkommen, zum miteinander Sprechen und zum Beobachten. Ein zeitgenössischer Raum des Sozialen, eine Bühne, die individuell bespielt und genutzt werden kann, ein Wohnzimmer zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, ein Raum des Übergangs, viel Platz, der der ganzen Nachbarschaft gehört. Eine Mischung aus Hotellobby, Jugendherberge, Schloss, Marktplatz und Favela. Eine Mischung aus Innen und Außen, privat und öffentlich.

Viel zu häufig versuchen wir mit dem Faustkeil als Werkzeug einen Transistor zusammen zu bauen. Dabei sollten wir uns nicht nur mit der Errichtung von Häusern, Straßen und Plätzen zufrieden geben. Die Aufgabe ist es, urbane Dörfer zu denken und zu realisieren. Mit öffentlichen Nutzungen und Orten, an denen Menschen sich einfach so begegnen und wie selbstverständlich zu Nachbarn werden.

Scroll to Top