24.07.2015

Gewerbe

The Times They Are A-Changin’ (Mipim II)

Eike Becker

Reptilienartige Stelzenwesen mit großen Busen verteilen vor dem Deutschen Stand auf der Mipim jubelnd blaue Schnapsfläschchen und werben für das sozial ambitionierte Projekt einer Genossenschaft an der Spree. Der Stadtplanungsausschuss zuhause hat applaudiert und reichlich Baurecht gegeben. Die GFZ von 6.0 ist ausnehmend hoch. Jetzt muss es nur noch blitz blink gelingen.

EU Generalkommissar Oettinger klopft den Standpartnern bei seinem Besuch  gutgelaunt auf die Schulter. Er spricht den “Wissensträgern deutscher Ingenieurbaukunst” und den “kreativen Architekten” auf ihrem Weg hinaus in die interkontinentale Welt Mut und Selbstbewusstsein zu. Mit mehr politischer Unterstützung möchte er nächstes Jahr wiederkommen.

Bereits auf dem Weg hinaus vermittelt er den nach einer deutschen Partnerstadt suchenden türkischen Bürgermeister von Balikesir noch kurz an den Deutschen Städtetag. “500 Städte über 50.000 Einwohner”. Und wirklich! Die Türken kommen: 48% mehr türkische Besucher registriert die Mipim in diesem Jahr!

Nach der Podiumsdiskussion hadert ein Kollege mit seinem heimischen Berufsstand. Der ist im Gegensatz zu internationalen Spitzenkräften aus den USA zu nachdenklich unterwegs und nicht marketingtechnisch geschult.

Kopf hoch, Architekten! Unter den zehn Städten mit der höchsten Lebensqualität auf der Welt finden sich nach einer Umfrage der Unternehmensberatung Mercer sechs in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Drei deutsche Städte sind vorne mit dabei.

Reicht Reden oder müssen wir liefern?

Dazu nochmal Elisabeth Merck: “Wenn amerikanische Investoren zu mir kommen, fragen sie mich nach dem Gewerbegebiet, in dem sie ihr Hochhaus bauen können. Aber so geht das nicht bei uns. Und so etwas gibt es in München auch gar nicht. München ist bereits eine durchmischte Stadt, in der Arbeiten, Wohnen und Einkaufen eng miteinander verwoben sind.”

Wer danach sucht, findet am Eingang zum Hafen das Mipim Innovation Forum. Orange und Frühlingsgrün versprechen  jugendliche Neugier. Ben van Berkel was here. Yesterday. Ich geniesse ein paar Minuten der Ruhe und der Leere. Für Innovationen steht hier auf der Mipim keiner Schlange.

Frankfurt am Main hat eine Milieuschutzsatzung erlassen. Dadurch ist unser über ein Jahr mit der Behörde abgestimmter und bereits seit Dezember eingereichter Bauantrag zur Niete geworden. Am Frankfurt-Stand hat auch die neue Leiterin der Bauaufsicht bei allem Verständnis kein Ass im Ärmel, mit dem unser Projekt noch gerettet werden könnte.

Auf dem München-Stand geht es zu, wie bei Woolworth in Neukölln zum Räumungsverkauf. Seit Jahren das Erfolgsmodell:  tausende Weisswürste und Brezeln, 30 Standpartner, endlos viele Gäste auf der Sonnenterrasse und maximal ein Architekturmodell. Denn um Architektur geht es hier nicht.

Auch Frankfurt, Berlin, Düsseldorf, Stuttgart und Hamburg sind auf der Messe im Palais des Festivals vertreten. Der Name ist eine kolossale Übertreibung für diesen abgewetzten, labyrinthischen Gelddruckmaschinenbunker zwischen Strand und Yachthafen. Die deutschen Städte sind weit voneinander entfernt verteilt, haben sich aber über die Jahre dem Münchner Vorbild bestmöglich angenährt: grosse, zentrale Bar mit Sonnenterrasse. Irgendwie gastfreundlich. Wo gibts wohl die Maultaschen, Hamburger, Frankfurter Würstchen, die Curry- oder  Weisswürste? Architekturmodelle? Fehlanzeige.

Die Stände sind zu effizienten Partnerbörsen mutiert. Bei diesen Balztänzen ohne Bräute würden fertige Planungen nur stören.

Ach ja, die Frauen!

Durch das Fernbleiben der Russischen Regionen mit ihrer Hostessstrategie (im letzten Jahr noch unter dem Label Krasnodar am Start) ist die Frauenquote gefühlt erneut gesunken. Vor allem Frauen in Führungspositionen sind immer noch die Ausnahme in dieser gockelhaften Branche. Wieviel besser könnte sie mit ausgewogenerem Führungspersonal wohl sein?!

London und Paris sind in Zelten am Strand untergekommen und spielen in ihrer eigenen Liga. Die Stadt an der Themse wirbt mit ihrer Architektur: Riesengrosse Stadt- und Hochhausmodelle zeugen von einem objektbezogenen Städtebau – im Gegensatz zu den über und über feingeschliffenen und am Konsens und Kontext orientierten deutschen Städten, wo die Architektur  nur selten glamourös oder gar spektakulär ist. Aber die Ergebnisse dieser jahrzehntelangen, geduldigen Abstimmungsarbeit sind aufblühende Regionen mit enorm hoher Lebensqualität.

Auch die zumeist hauptstadtfixierten, internationalen Akteure scheinen sich mit den vormals als intransparent beklagten deutschen Regionen angefreundet zu haben. Deutschland ist auf der Mipim 2015 für internationale Investoren und Entwickler gerade durch seine Polyzentralität, wirtschaftliche Stärke und Lebensqualität attraktiv.

Und das, obwohl der Frankfurter Wirtschaftsförderer es vermeidet, den Chinesen die Einwohnerzahl Frankfurts von gerade einmal 700 000 zu nennen. Nach chinesische Massstäbe würde die Mainmetropole gerade noch als Dorf durchgehen.

The Times They Are A-Changin’.
Immer wieder.

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