20.12.2019

Gewerbe

Symbolischer Sprung über die Mauer

Axel-Springer-Neubau bei Tag © Dominik Tryba

In Berlin feierte der „Axel-Springer-Neubau“ von Rem Koolhaas Weihnachten schon am 19.12.2019, denn nun wurde der Schlüssel übergeben.

„Was können wir tun, um Platin zu bekommen?“, fragte Springer-Chef Mathias Döpfner bei der Schlüsselübergabe des Axel-Springer-Neubaus in Berlin die Leute der DGNB, die Friede Springer bei dieser Gelegenheit eine Goldplakette in die Hand drückten. Döpfner war offensichtlich enttäuscht: „Nur“ Gold entspricht nicht seinem Premium-Bewusstsein. Das Projekt sei zu spät angemeldet worden, wurde ihm kleinlaut beschieden.
Die Episode zeigt jedoch, mit welchem Anspruch er an die Bauaufgabe als Bauherr gegangen ist. Wenngleich die Axel Springer SE nur Mieter ist, denn der Bau wurde schon im Projektstadium von einem norwegischen Staatsfonds übernommen.
Mit dem Neubau geht der Traum des Konzerngründers Axel Springer in Erfüllung, der zeitlebens publizistisch für die Wiedervereinigung gekämpft hatte, sie aber nicht mehr erleben durfte. Er hatte sein Verlagshochhaus direkt neben die verhasste Berliner Mauer gestellt, mit Blick nach „drüben“ und ursprünglich am Giebel mit Laufbandnachrichten für die Ost-Berliner. Der Neubau vollzieht nun den Sprung über die Demarkationslinie, steht auf ehemals Ost-Berliner Areal.
Springer hatte für den 300-Millionen-Bau einen Architektenwettbewerb ausgeschrieben, an dem sich die internationale Szene prominent beteiligte. Gewonnen hatte ausgerechnet Rem Koolhaas (OMA), der in den vergangenen Jahren immer über die Kleinmütigkeit der Berliner Baupolitik geklagt hatte.

Axel-Springer-Neubau (Innen) © Nils Koenning
Axel-Springer-Neubau bei Tag © Dominik Tryba
Axel-Springer-Neubau (Innen) © Nils Koenning
Axel-Springer-Neubau bei Nacht © Dominik Tryba

Merkwürdig schroff und abweisend

Nun steht der Bau vor Augen, in den 3.500 Mitarbeiter verschiedener Abteilungen und Unternehmen der Axel Springer SE einziehen werden, unter anderem der WELT-Newsroom für Print und Digital und das WELT TV-Studio, das Preisvergleichsportal idealo sowie der digitale Verlagsbereich.
Verglichen mit dem Berliner Bürobaueinerlei ist der Bau ein einigermaßen spektakulärer Alien. Äußerlich so gut es geht skulptural, versucht er sich in großer Gestik. So gut es geht deshalb, weil auch er wie all seine Nachbarn das einen Hektar große Grundstück mit seiner Kubatur vollständig ausfüllt. Doch der dunkelgraue Kubus ist an der Südwestseite wie ein Haifischmaul aufgerissen. Der Fisch scheint schon ein wenig zugebissen zu haben, denn die Glaswand knittert. Ove Arup Ingenieure haben die technisch enorm aufwändige Knitterfassade gerechnet.
Auch an der Ostseite stemmen dünne Säulchen einen Teil der Baumassen in die Höhe, um ein mehrgeschossiges, gläsernes Joch zu öffnen. Was im Entwurfsstadium offen und kommunikativ aussah, wirkt nun doch merkwürdig schroff und abweisend. Wegen des düsteren, mit einer Art Rauputzdekor bedruckten und undurchschaubaren Fassadenmaterials, aber auch wegen der Maßstabslosigkeit des Baukörpers, der sich der menschlichen Bezugsgröße entzieht.

Das Urteil zum Konzept muss noch warten

Im Inneren wird die angestrengte Tektonik plausibler. Ein 45 Meter hohes Atrium nimmt nicht weniger als ein Drittel des Gebäudevolumens ein. Die Bürogeschosse treppen sich vorspringend nach oben. Beim Blick in die Höhe erlebt man ein Revival der dekonstruktivistischen achtziger Jahre.
Die Grundaussage der räumlichen Konzeption: Wir arbeiten alle gemeinsam in einem kommunikativen Großraum, halten Blickkontakt und pflegen Synergien. Das Haus soll Architektur gewordene Vernetzung und Wissensaustausch sein. Die extravagante Architektur stehe nicht nur für die Zukunft der Arbeitswelt, sie sei auch ein Ausdruck der der digitalen Transformation des Medienkonzerns, heißt es offiziell.
Architektur parlante? Die meisten Ebenen reden freilich nicht, sondern sind verschlossen oder verglast und scheinen sich nach innen zu wenden. Noch kann sich das Kommunikationswunder niemand so richtig vorstellen. Entsprechende Aufenthaltsqualitäten sind nicht zu spüren. Die Materialien und (fehlenden) Farben sind nicht danach. Noch sind die Räume gähnend leer, und von der versprochenen üppigen Bepflanzung ist noch nichts zu sehen. Man wird also abwarten müssen, bis der Bau bezogen ist, um das Konzept beurteilen zu können. Im Frühjahr wird sukzessive bezogen; statt einer Einweihung wird es in der Folgezeit einen Reigen von unterschiedlichen Veranstaltungen geben.

Baumeister-Hinweis: 2015 schrieb Alexander Gutzmer in seinem Fachaufsatz über die Renderings des Baus.

Scroll to Top