03.04.2018

Gewerbe

Spiel mit der Tradition

Das Gebäude scheint zu schweben: In der unteren Hälfte ist die Ziegelfassade transparent. Foto


Neuinterpretierte Tradition

 

In der Pieter Cornelisz Hooftstraat, der Luxus-Shoppingmeile von Amsterdam, reihen sich Marken wie Burberry, Hermes und teure Juweliergeschäfte aneinander. Die Ansammlung typisch niederländischer Backsteinfassaden wird dort allerdings seit neuestem durch eine Häuserfront unterbrochen, die regelrecht zu schweben scheint, denn der untere Teil der Fassade besteht aus durchsichtigen Glasbausteinen, die in einem feinen Verlauf in rötliche Terrakottasteine übergehen. Dort, im sogenannten Crystal House, sitzt Chanels neuer Flagshipstore.

 

MVRDV hat dort eine typische niederländische Backsteinfassade neu interpretiert: Das Gebäude sieht mit seinen Architraven, dem Dach und den großen Fenstern aus wie ein Amsterdamer Haus aus dem 19. Jahrhundert, wären da nicht die Glasbausteine.
Und tatsächlich handelt es sich hier um eine Rekonstruktion: Die traditionellen Dreiecksgiebel, der vorstehende Balken um Waren hochzuziehen, die Klinkerfassade und die großen Fenster – alle für diese Zeit typischen stilistischen Elemente haben die Architekten übernommen. Dabei war es ihnen wichtig, auf den Ort einzugehen und eben keinen austauschbaren Neubau zu planen, der in jeder Einkaufsstraße stehen könnte. Deshalb entschieden sie sich, traditionelle Architektur mit neuen Elementen zu verbinden.


Crystal_House_Amsterdam_Chanel Store
Durchlässig aber fest. Foto, Daria Scagliola & Stijn Brakkee.

MVRDV, Crystal Houses, P.C. Hooftstraat, Amsterdam © 2016
Die Glasbausteine sind härter als Beton. Foto, Daria Scagliola & Stijn Brakkee.

 

Härter als Beton

Die Glasbausteine entstanden durch die Zusammenarbeit des venezianischen Glashersteller Poesia, der TU Delft und MVRDV. Dabei stellte sich vor allem die Frage, ob und wie das Glas tragfähig gestaltet werden kann. Die Forschungsgruppe der TU Delft entwickelte dafür eine spezielle Herstellungsmethode: Das flüssige Glas wird in eine Form gegossen und in einem Ofen kontrolliert herunter gekühlt, damit keine Risse in den Bausteinen entstehen. Die Architrave sind dadurch so widerstandsfähig, dass sie zwei Geländewagen tragen könnten – und damit härter als Beton.

Dabei war vor allem das Verbundmaterial eine Herausforderung für das Team, da Zement aufgrund seiner Opazität nicht in Frage kam. Die Lösung war ein transparenter Kleber, der Temperaturschwankungen widersteht. Die Bauweise stellte sich dabei als besonders nachhaltig dar: Kaputte Glasbausteine oder Terracottaelemente können eingeschmolzen und wieder neu geformt werden.

 

Neue Anwendungsmöglichkeiten

Die TU Delft forscht seitdem weiter, und sucht nach neuen Anwendungsmöglichkeiten für das Baumaterial Glas. Ein Beispiel dafür sind tragfähige Säulen oder Pfeiler, die aus Glas geformt werden können, um bei Restaurationen fehlende Elemente zu ersetzen. Dabei arbeitet die Forschungsgruppe allerdings mit weniger Transparenz – zur Sicherheit der Besucher.

Mehr über die Zukunft des Werkstoffs Glas kann man auf der der internationalen Messe für den Werkstoff Glas glasstec in Düsseldorf erfahren: Dort richtet die TU Delft zusammen mit anderen Hochschulen dieses Jahr die Sonderschau „Glass Technology Live“ aus. In Halle 11 präsentieren die Hochschulen ihre Forschungsergebnisse zu den Themen Fassade, Energie, Konstruktion und neue Technologien. Selbstverständlich auch die Hersteller vor Ort und führen in ihre Produktwelt ein.

Die glasstec 2018 findet vom 23. bis 26. Oktober 2018 auf dem Düsseldorfer Messegelände statt.

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