27.08.2019

Öffentlich

Notre-Dame im August 2019

Foto: Benegas Raul/Abaca/picture alliance

Der Brand von Notre-Dame ist für Emmanuel Macron ein willkommener Anlass, sich wie andere Präsidenten vor ihm durch ein „grand projet“ in die Pariser Stadtlandschaft einzuschreiben. „Wir werden Notre-Dame noch schöner als vorher wiederaufbauen“, erklärte er. Die „Rekonstruktion“ des durch das Feuer vernichteten Vierungsturms ist bereits Gegenstand eines Architekturwettbewerbs, und das obwohl die erforderlichen Eckdaten noch gar nicht feststehen. 1.188 Wissenschaftler aus dem In- und Ausland haben sich am 29. April in einem im „Figaro“ veröffentlichen Brief gegen diese Pläne ausgesprochen, die auch die Möglichkeit einer modernen Gestaltung vorsehen. Die Akademie für Architektur veröffentlichte einen einstimmigen Appell, den Vierungsturm originalgetreu wiederherzustellen. Ungeachtet der entbrannten heftigen Debatte und der erkennbaren technischen Schwierigkeiten des Projekts hat die französische Regierung einen Gesetzentwurf mit diversen Ausnahmeregelungen eingebracht, durch den die zeitliche Vorgabe des Präsidenten – Wiederaufbau bis 2024, rechtzeitig zur Eröffnung der Olympischen Spiele – eingehalten werden soll. Kürzer formuliert: Der Katastrophe des Feuers folgt nun die Katastrophe eines überhasteten Wiederaufbaus.

Die Ankündigung eines Gesetzentwurfs, der überstürztes Handeln zum Vorbild erklärt, ist schockierend, weil sie deutlich macht, dass es den höchsten Ebenen der Macht in erster Linie um ein öffentlichkeitswirksames Vorgehen geht. Entsprechend groß ist der Protest unter Denkmalschützern und anderen Bewahrern des kulturellen Erbes. Der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, in der die Partei des Präsidenten über keine Mehrheit verfügt, hat auf die Formulierungen des Entwurfs mit Zurückhaltung reagiert. Im Rahmen des parlamentarischen Vermittlungsverfahrens zwischen Nationalversammlung und Senat konnten so immerhin die Passagen, die die zulässigen Ausnahmen definierten, entschärft werden.

Unterdessen hat der Oberstaatsanwalt seine vorläufige Untersuchung des Brandes abgeschlossen. Sein Bericht enthält keinerlei Hinweise auf eine kriminelle Tat. Als Ursache wird entweder ein elektrischer Kurzschluss oder eine nicht vollständig gelöschte Zigarette vermutet. Andere Quellen verwiesen auf die „anzunehmende“ Verwendung von Schweißgeräten und elektrischen Sägen bei der Entfernung der Skulpturen des Vierungsturmes im Rahmen laufender Sanierungsarbeiten.
Der Brand von Notre-Dame ist keine absolute Ausnahme. Auch im Petit Trianon von Versailles gab es in jüngster Zeit einen Brand, ebenso im Rathaus von Rouen. Derartige Vorkommnisse machen deutlich, vor welchen Herausforderungen Denkmalschützer in Frankreich stehen. Bis heute hat die Regierung keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt. Ausnahme ist ein Lottospiel zugunsten des nationalen Kulturerbes, dass 2018 eingerichtet wurde. Bei der ersten Ziehung im September vergangenen Jahres kamen ganze 19,6 Millionen Euro für 270 dringend renovierungsbedürftige Gebäude zusammen. Das ist etwa ein 50-igstel des Betrages, der für Notre-Dame mittels Spenden zugesagt wurde und von dem bis heute 9 Prozent tatsächlich überwiesen wurden. Jenseits spektakulärer Ankündigungen und medialer Inszenierung verweist so gut wie niemand auf die traurige und deprimierende Sorglosigkeit, mit der die französische Politik auf die alltägliche Misere des Denkmalschutzes reagiert.

Den Artikel lesen Sie in der aktuellen Baumeister-Ausgabe 09/2019.

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