Wie bringt man eine Gruppe von Immobilienprofis in drei Sekunden auf die Palme? Indem man eine Diskussion über bezahlbares Wohnen vom Zaun bricht. Den Eindruck gewinnt zumindest, wer sich zurzeit ein wenig in der Branche umhört. Der Tenor der empörten Investoren: Wir würden ja gerne billiger bauen, nur leider verhindern das die Kommunen, die Bundespolitik, die Reglementierungen, die widrigen Umstände.
Entnervt haben im November die großen Verbände der Immobilienwirtschaft und der VerbandVerband: Der Verband ist die Art und Weise, in der die Steine im Mauerwerk angeordnet sind. Es gibt verschiedene Arten von Verbandarten, die jeweils ihre eigenen Vorteile und Nachteile haben. Haus & Grund ihre Mitarbeit im „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ bis Ende Januar auf Eis gelegt. Grund seien die Mehrbelastungen für den Gebäudesektor, die das Bauministerium im Klimaschutzplan 2050 kurzfristig hinzugefügt hat. Man sehe vorerst keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, ließen die Verbände ausrichten.
Der altehrwürdige Branchenverband Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) drückt es etwas vornehmer aus: In der deutschen Wohnungspolitik gebe es eine Vielzahl von Zielkonflikten, heißt es da. Ein Dorn im Auge sind dem Verband beispielsweise die Mietpreisbremse, weil sie den Neubau von Wohnungen unattraktiv mache, oder die hohen Standards und Energieeinsparvorschriften, weil sie das Bauen verteuern und verlangsamen würden. „Derzeit sind die vielen Einflussfaktoren, die ein kostengünstiges Bauen und Wohnen verhindern, auf diverse Politikfelder, Ministerien, Bund, Länder und Kommunen verteilt, so dass die von uns geforderte gesamtheitliche Betrachtung der Zielkonflikte kaum möglich ist“, sagt Martin Eberhard, der Vorstandsvorsitzende der RICS Deutschland. „Im Ergebnis kommt das bezahlbare Bauen und Wohnen in Deutschland nicht voran.“ Er forderte Bürger, Medien und Politik auf, die im Konflikt stehenden Ziele zu erkennen und „in einem öffentlichen Diskurs sorgsam gegeneinander abzuwägen“.
Nun, die Branchenverbände haben natürlich nicht unrecht mit ihrer Kritik. Allerdings machen sie es sich auch sehr leicht, indem sie die Verantwortung von sich weisen und alle anderen Gruppierungen in die Pflicht nehmen. Denn Ideen für bezahlbaren Wohnraum gibt es zur Genüge – sie werden nur nicht umgesetzt. Seit vielen Jahren experimentieren Architekten mit Grundrissen und unterschiedlichen Ausbaustandards: Anstelle einer monofunktionalen Aufteilung von Standardwohnungen in Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer sind Grundrisse denkbar, die durch Schiebetürensind Türen, die horizontal oder vertikal auf einer Schiene gleiten, um den Raum zu öffnen oder zu schließen. Sie nehmen weniger Platz ein als herkömmliche Türen, sind daher ideal für Räume mit begrenztem Platzangebot oder für den Zugang zu Terrassen oder Gärten. oder Drehelemente die ZonierungZonierung: Die Zonierung beschreibt die Einteilung eines Gebäudes in unterschiedliche Nutzungszonen. eines großen Raums in mehrere kleine Einheiten erlauben. So könnte eine 70-Quadratmeter-Wohnung gut 20 Quadratmeter größer wirken – das würde teures Bauland sparen. Längst entwickelt sind auch Wohnungs-typologien, die beispielsweise innerhalb eines Lofts einen beweglichen, abgeschlossenen Kubus von 30 bis 40 Quadratmetern vorsehen, der nach höchsten energetischen Standards gebaut wird. Um diese Kernwohnung herum sind Zusatzflächen denkbar, die in einem niedrigen Standard errichtet und für den Selbstausbau durch die Bewohner geeignet wären.
Das sind nur zwei von unzähligen kreativen und praktikablen Beispielen, wie der Spagat zwischen preisgünstigem Bauen und guter Wohnqualität gelingen könnte. Warum es solche Bauten in Deutschland aber immer noch so gut wie nicht gibt?Weil Bauherren, Kommunen und die finanzierenden Banken nicht mitziehen, klagen viele Architekten. Die Kommunen tun sich schwer mit Baubewilligungen für innovative Projekte, und Bauherren und Banken stehen ungewöhnlichen und damit wirtschaftlich riskanten Ideen oft wenig aufgeschlossen gegenüber.
Wer mit Vertretern der Immobilienbranche spricht, macht ähnliche Erfahrungen. Ein Wohnungsgrundriss aus den 1950er-Jahren sei „heute noch so gut wie damals“, hört man dann beispielsweise – und staunt: Zwar sind die Wohnungen aus dieser Zeit im Vergleich zu Büro-Immobilien aus dieser Dekade derzeit tatsächlich gut zu vermarkten. Das liegt aber nicht etwa daran, dass die alten Grundrisse und Wohnungstypen den Nerv der heutigen Bewohner treffen würden. Vielmehr müssen die Mieter nehmen, was sie kriegen – ob der alte Standard-Grundriss zu den heutigen Flächenbedürfnissen von Singles, Alleinerziehenden oder Patchwork-Familien passt oder nicht. Allerdings haben Bauherren, Bestandshalter und Finanzierer derzeit auch gar keinen Anlass, ernsthaft über Innovationen im Wohnungsbau nachzudenken. Denn dank Niedrigzinsen und Anlagenotstand sind sie gegenwärtig in einer überaus komfortablen Situation: Projektentwicklern wird jede noch so lieblos entworfene und überteuerte Eigentumswohnung aus den Händen gerissen.
Bei besonders begehrten Projekten werden die Wohnungen gar per Losverfahren vergeben, um dem Ansturm der Kaufwilligen Herr zu werden. Und die Bestandshalter freuen sich, dass die Mieter für ihre Wohnungen Schlange stehen. Befeuert wird die Situation dadurch, dass institutionelle Investoren wie Versicherer oder Pensionskassen ihr Geld verstärkt in Wohnimmobilien anlegen. Zwar werfen diese weniger Rendite ab als Investments in Bürogebäude, doch gelten Wohngebäude in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten als besonders solide Investition. Die Rechnung ist einfach: Wenn Unternehmen in eine Krise geraten, bauen sie Arbeitsplätze ab und benötigen folglich weniger Bürofläche. Der Büro-Leerstand steigt, und leer stehende Immobilien verlieren an Wert. Wohnen aber ist ein Grundbedürfnis des Menschen, ein Dach über dem Kopf braucht jeder.
Ein gut vermietetes Mehrfamilienhaus in einer zentralen Innenstadtlage liefert stabile, stetige Einnahmen. Genau das, was Investoren wünschen. Wie lange das alles noch so weitergeht? Vermutlich noch ein paar Jahre, sagen Branchenexperten. Dass es irgendwann zu Preiskorrekturen oder gar zum Platzen einer Blase kommen wird, ist unstrittig. Nur in der Frage, wann das passieren wird – ob im kommenden Jahr oder erst in zehn Jahren –, ist man sich nicht einig. Manch einer freut sich sogar schon auf eine Krise, die den Markt bereinigen könnte. Das klingt zwar grausam, doch der Gedanke hat einen gewissen Charme. Das geflügelte Wort von der „Krise als Chance“ kann zwar keiner mehr hören. Aber wenn die Investorengeschäfte irgendwann nicht mehr so gut laufen wie heute, wird hoffentlich darüber nachgedacht, wie guter Wohnbau bezahlbar wird – und kreative Ansätze finden endlich Gehör.