05.06.2020

Wohnen

Mieter sind die Käufer von morgen

Illustration: Clemens Habicht


Deutsche Mieter finanzieren italienische Eigentümer?

Deutschland hat im internationalen Vergleich besonders wenige Wohnungseigentümer. Der Volkswirt und Wirtschaftsjournalist Daniel Schönwitz beleuchtet, was das für die Kluft zwischen Arm und Reich bedeutet, warum das Thema Wohneigentum jetzt in den Fokus rückt und wie unterschiedliche Eigentümerquoten Immobilienmärkte prägen.

Das Land der Dichter und Denker ist vor allem eines der Mieter: Nur rund 47 Prozent der Deutschen wohnen in den eigenen Wänden. Das ist ein äußerst niedriger Wert für eine Industrienation. So liegt die Eigentümerquote in den USA und Frankreich jenseits der 60-Prozent-, in Italien und Spanien sogar jenseits der 70-Prozent-Marke.

Der hohe Mieteranteil birgt gesellschaftlichen Sprengstoff – insbesondere mit Blick auf die Kluft zwischen Arm und Reich. Ein Beispiel hierfür wäre der Mietendeckel Berlin. Es bestehe ein „enger Zusammenhang zwischen Wohneigentumsquote und Vermögensungleichheit“, heißt es in einer aktuellen Bundesbank-Studie. In Deutschland seien die Vermögen deshalb ungleicher verteilt als in Frankreich, Italien und Spanien.

Besonders deutlich wird das beim Blick auf das „Medianvermögen“ – also den Wert, der die Mitte der Gesellschaft abbildet (eine Hälfte hat mehr, die andere weniger): Er liegt in Deutschland bei umgerechnet rund 35.000 Dollar, in Italien dagegen bei 92.000.

Zugespitzt formuliert: Italien ist arm, aber die Italiener nicht. Und Deutschland ist reich, aber die Deutschen nicht.

Dieser Unterschied ist infolge der Corona-Pandemie in den Fokus gerückt. So kritisieren EU-Skeptiker mit Blick auf den geplanten „Wiederaufbau-Fonds“, dass deutsche Mieter indirekt italienische Eigentümer finanzieren. Die Südländer sollten bitteschön erst ihre vermögenden Bürger zur Kasse bitten, bevor sie Steuerzahler aus Mittel- und Nordeuropa um Hilfe bitten, lautet die Botschaft.

Wer so argumentiert, verkennt jedoch, dass Steuererhöhungen auf breiter Front in dieser Situation verheerend wären. Denn das Geld würde an allen Ecken und Enden fehlen: Unternehmer hätten weniger liquide Mittel zur Stabilisierung ihrer Firmen, Verbraucher könnten weniger konsumieren. Die Folge wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere Rezession in Südeuropa.

Solidarität mit den Ländern, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind, ist deshalb das Gebot der Stunde. Zumal Unterstützung auch im Interesse der Geberländer ist: Solange Italien und Spanien darben, wird der EU-Binnenhandel nicht florieren – mit schwerwiegenden Folgen für die übrigen Mitgliedsstaaten und insbesondere für die exportorientierte deutsche Wirtschaft.

Mittelfristig wird das südeuropäische Modell „reiche Bürger, armer Staat“ jedoch verstärkt unter Druck geraten. So könnte Italien nach dem Ende der Krise die großzügigen Erbschaftsteuerregeln verschärfen, um die Staatskasse wieder zu füllen.

Warum wir Anreize zur Vermögensbildung brauchen

Zugleich bin ich überzeugt, dass auch das deutsche Modell „reicher Staat, arme Bürger“ dauerhaft nicht tragbar ist. Denn gerade im Zeitalter steigender Mieten wächst die Angst vor Altersarmut, was gesellschaftliche Spannungen verschärft und Populisten unterschiedlicher Couleur Auftrieb gibt.

Erfreulicherweise reift derzeit auf breiter Front die Erkenntnis, dass wir zusätzliche Anreize zur Vermögensbildung brauchen, gerade mit Blick auf Wohneigentum. Bereits in wenigen Monaten sinken voraussichtlich die Maklerkosten für Immobilienkäufer; weitere Vorschläge liegen auf dem Tisch – etwa niedrigere Grunderwerbsteuern für Familien.

Im Zusammenspiel mit anhaltend niedrigen Zinsen dürfte das den Anstieg der Eigentümerquote beschleunigen. Deutschland könnte die 50-Prozent-Marke deshalb früher erreichen als am Ende dieses Jahrzehnts (wie es bislang prognostiziert wurde). Und vergessen wir nicht: Nach Corona wünschen sich viele Menschen größere Wohnungen – und die kauft man eher, als zu mieten.

Dieser Effekt wird hierzulande die Wohnungsnachfrage stärken. Das macht es wahrscheinlicher, dass sich der Aufwärtstrend auf dem Wohnimmobilienmarkt nach einer Corona-Pause fortsetzt. In Ländern mit hohen Eigentümerquoten droht dagegen das Gegenteil – insbesondere im Fall einer schweren Rezession: Viele Eigentümer wären gezwungen, Wohnungen zu verkaufen. Und das Angebot würde dadurch vermutlich stärker steigen als die Nachfrage, weil das Reservoir potentieller Käufer kleiner ist.

Wer die langfristige Entwicklung von Immobilienmärkten einschätzen will, sollte der Eigentümerquote deshalb besondere Aufmerksamkeit schenken.

Hier lesen Sie die letzte Kolumne von Daniel Schönwitz: Das neue Antlitz unserer Innenstädte

Daniel Schönwitz ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist und Medientrainer. Der Volkswirt lebt mit seiner Familie in Düsseldorf. Folgen Sie ihm auf Twitter.

Diese Kolumne ist Teil des Homeoffice Spezial, in dem wir aus dem Blickwinkel der Architektur über die wichtigsten Neuigkeiten zur Corona-Pandemie berichten.

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