Wie „Making Heimat“ entstand, der deutsche Beitrag zur Architekturbiennale

Die Idee für den deutschen Beitrag zur diesjährigen Architekturbiennale in Venedig wurde in den turbulenten Wochen und Monaten im Herbst 2015 entwickelt, als täglich tausende Flüchtlinge an den Bahnhöfen ankamen und die Bundeskanzlerin eisern daran festhielt, dass es keine Obergrenze für ihre Aufnahme geben dürfe. „Wir schaffen das.“ Diese unerwartete Offenheit wurde zum Leitmotiv für den Deutschen Pavillon auf der Biennale, diesmal gestaltet vom Deutschen Architekturmuseum und dem jungen Architekturbüro Something Fantastic. Monate später sind die Grenzen wieder dicht. Der Deutsche Pavillon dagegen ist offen. Vier große neue Öffnungen wurden in die denkmalgeschützte Fassade geschnitten. Es ist der radikalste Eingriff, der je an diesem Gebäude vorgenommen wurde. Hier berichten die Kuratoren, wie sie ihn durchsetzen konnten und warum das offene Haus trotz geschlossener Grenzen immer noch die richtige Geste ist.

Um den Pavillon zu öffnen, wurden 48 Tonnen Ziegelsteine aus den Wänden gebrochen...

Wie gelingt es, vier garagen- bis scheunentorgroße Öffnungen in den Deutschen Pavillon zu schneiden? Antwort: Man gehe in die Sprechstunde des städtischen Denkmalamts von Venedig, das sich natürlich nicht irgendwo, sondern im Dogenpalast am Markusplatz befindet. Man erscheine dort an einem Mittwoch um zehn Uhr, denn da beginnt wie jeden Mittwoch der Publikumsverkehr, ziehe eine Nummer und warte. Warte, warte, warte anderthalb Stunden, um schließlich vor dem für das Biennalegelände zuständigen Sachbearbeiter zu sitzen, Herrn Francesco Trovò. Er empfängt in einem Gruppenbüro, das er sich mit drei anderen Kollegen teilt. Die Fenster weisen hinaus auf die Lagune. In einer deutschen Amtsstube hätte man nach wenigen Minuten eine Abfuhr bekommen, jede Wette. Aber das Gespräch findet am 4. November 2015 statt. Im Herbst der Flüchtlinge. Der Architekt Trovò findet den Gedanken konzeptionell richtig, den Pavillon zu öffnen, so weit zu öffnen wie die Grenzübergänge in Passau, am Brenner, in Griechenland. Zuhause, in Deutschland, wird von der Bundeskanzlerin gerade Geschichte geschrieben. „Die Menschen sollen einmal sagen können, das haben die damals gut gemacht“, wird sie an diesem Tag von der FAZ auf der Titelseite zitiert.

Die Auftraggeber für den deutschen Biennalebeitrag, die im Bundesbauministerium in Berlin sitzen, wissen zu diesem Zeitpunkt nichts davon, dass eine Delegation des DAM gemeinsam mit dem Architekten Clemens Kusch und Julian Schubert, einem Vertreter von Something Fantastic, beim venezianischen Denkmalschutz vorstellig geworden ist, um zu klären, ob der in Deutschland undenkbare, massive Eingriff in die Substanz des Baudenkmals unter gewissen Umständen und in Anbetracht der hochemotionalen Flüchtlingssituation nicht vielleicht doch möglich wäre. Das DAM und Some-thing Fantastic hatten zwar zuvor von einer Jury den Auftrag erhalten, den deutschen Beitrag für die Architekturbiennale zu entwickeln. Doch als die Entscheidung für das Team von „Making Heimat“ von der Jury gefällt wurde, Anfang Oktober 2015, war von einer Öffnung des Pavillons noch nicht die Rede.

Zu gut um wahr zu sein?

Herr Trovò wechselt schnell von der Prinzipien- auf die Machbarkeitsebene und skizziert die Anforderungen an den Eingriff: Temporär und reversibel müsse die Maßnahme sein. Außerdem erdbebensicher, weswegen ein dreiseitiger Stahlrahmen an jeder Öffnung vorzusehen sei. Die Delegation reist wieder ab, enthusiastisch. Die Maschine läuft an. Der Architekt Clemens Kusch, dessen Büro in Venedig bereits seit Jahren alle Bau- und Sanierungsmaßnahmen am Deutschen Pavillon begleitet, beginnt nach den Vorgaben von Something Fantastic zur Lage und Größe der Öffnungen mit der Detailplanung und bereitet die Ausschreibung vor. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit kann überzeugt werden, dem Umbau zuzustimmen. Die Amtswege laufen wie geschmiert. Der Bauantrag wird vom zuständigen Konsulat in Mailand an die deutsche Botschaft in Rom und von dort ans Auswärtige Amt weitergereicht, das im Bauministerium nachfragt, was denn da los sei. Dann dauert es nur wenige Tage, bis zwei Bundesministerien sich abgestimmt haben und gemeinsam eine Unterschrift leisten: Der Deutsche Pavillon soll geöffnet werden. Wenige Monate später aber kommt ein Anruf aus Venedig. Die Idee des offenen Hauses droht zu scheitern. Der Denkmalschutz. Doch der Reihe nach.

Offenheit oder Baustelle?

Was genau ist die Botschaft, die durch den offenen Pavillon formuliert werden soll? Das Bundesbauministerium, zumeist vertreten durch den Staatssekretär Gunther Adler, und das DAM entwickeln in gemeinsamen Sitzungen, bisweilen um 22 Uhr mit Bierflaschen vor einem 1:20-Modell, zwei unterschiedliche Interpretationen: Deutschland ist seit dem Herbst 2015 eine gigantische Baustelle, so deutet das Ministerium die Geste. DAM und Something Fantastic dagegen sehen den Pavillon als Ausdruck einer freundlichen, offenen Haltung gegenüber denen, die nach Deutschland gekommen sind.

Mehr dazu finden Sie im aktuellen Baumeister 6/2016

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