Es geht sich aus!

Die ersten Worte der dritten Mail aus Berlin sind natürlich etwas neckisch gemeint. Vergleiche nationaler Eigenschaften, Klischees und Ähnlichem sind ja gerade jetzt ein beliebter Sport. Sollte „es geht sich aus“ eine dem Leser unbekannte Phrase sein, so kann ich leider nicht mit einer exakten Erklärung weiterhelfen. Hier in jedem Fall die geläufigsten Umschreibungen: „es passt nicht.“, „es klappt nicht“ oder „es reicht nicht“.

Für das generelle Verständnis ist das ausreichend, jedoch ist der Ausdruck sehr vielseitig anwendbar. Im Übrigen wird er häufig zeitlich oder räumlich angewandt und ist somit in der österreichischen Architekturszene von immenser Bedeutung! Folglich wurde in der Arbeit bei Jürgen Mayer H ein Raumstempel, der sich räumlich nicht ausging, zeitlich interpretiert, was natürlich zu einem kurzem Moment der Verwirrung führte.

Genug erklärt: Also was ging sich aus?

Nicht ganz aktuell, aber für all die Nicht-Berliner, jene, die nicht besonders mit dem Thema vertraut sind: Zum Beispiel ging es sich am 25. Mai mit den Stimmen des Volksentscheids für die Bürgerinitiative 100% Tempelhof aus. Anfangs fiel es mir schwer hier eine Seite zu wählen, aber letztlich freut mich das Ergebnis. In einer Stadt dieser Größe eine solche Leere vorzufinden ist sehr ungewöhnlich und äußerst spannend. Rem Koolhaas hatte doch schon festgestellt: „Where there’s nothing, everything is possible. Where there is architecture, nothing (else) is possible.“

Das sieht man an den vielen Ideen und Vorschlägen zur Füllung des Stadtraums: Wälder, Landwirtschaft, Seen und ein Zoo finden sich unter den unzähligen Ideen für alternative Nutzungen. Oder locker verteilte Kunstpavillions vorgeschlagen von Sergej Tchoban, womöglich bekannt als Architekten des Berliner Aquadom. Oder eine tatsächliche Randbebauung, genau der Grenzlinie folgend mit bis zu 100 Meter hohen, natürlich begrünten Wohntürmen. Der Architekt Stephan Braunfels nutzte für seinen Entwurf den Vergleich mit New Yorks Central Park.

Besonders häufig publiziert wurde der utopischen Vorschlag, das gesamte Areal mit einem einzigen hohen Berg zu füllen. Nicht als tatsächliche Bauaufgabe sondern vielmehr als Kritik sollte dieser Vorschlag von Jakob Tigges verstanden werden. Gerade angesichts dieser Fülle an Gedanken, scheint die vorgeschlagene Blockrandbebauung trotz Wettbewerbs für die Landesbibliothek und mit – zugegeben – ansehnlichen Park doch sehr lau. Umso mehr sollte man sich über den Erhalt der fast absurden Leere in einer Stadt dieser Größe freuen.

In Berlin wird allerdings nicht nur die Leere erhalten – manchmal geschieht dies auch mit Bauwerken. Und zwar nicht unbedingt die von der Unterart sehr alt und sehr schön. Sondern beispielsweise auch Christian Boes und Ludwig Leos „Pinke Röhre“. Berlin ist ja bekannt für seinen runtergekommen und „angeranzten“ Charme und seine Vielzahl an industriell anmutenden Bauten. En masse finden sich Postkarten, Fotodrucke am Flohmarkt und Facebookposts – bei letzterem ist vor allem die Abhörstation am Teufelsberg ein sehr beliebtes Motiv.

Ich hielt es also nicht unbedingt für notwendig von dieser Seite der Stadt zu berichten. Aber nachdem ich nach wochenlangem Vorbeifahren, zufällig Informationen zu dem bis dahin namen- und funktionslosen Gebäude fand, ist eine kurze Erwähnung durchaus angebracht. Es handelt sich um einen Umlauftank. Also eine wassergefüllte Röhre, ausgestattet mit einer Turbine, in der Versuche zur Strömungs- und Schiffstechnik durchgeführt werden. Oder genauer formuliert: wurden. Das Gebäude entstand 1975, steht unter Denkmalschutz und soll im nächsten Jahr saniert werden. Der Umlauftank befindet sich von der S-Bahn gut sichtbar, aber doch etwas versteckt im Tiergarten. Hauptsächlich umgeben von Blätterwerk, Wasser und Hausbooten, fällt er vor allem durch Ludwig Leo’s pink-blaue Farbwahl auf. Und durch die absurde Zusammensetzung aus aufgeständerten, quaderförmigen Versuchsgebäude mitsamt durchgesteckter, gigantischer Röhre. Und das mitten im frisch ergrünten Tiergarten – herrlich!

Es ist doch immer wieder interessant, wie technische Notwendigkeiten zu solch skurillen Ungetüm führen – wer interessiert ist, wird bei der Recherche im Internet auch mit Schnitten beglückt. Solch ein Entwurf würde sich mit Architektur außerhalb von technischen Notwendigkeiten und geträumten Visionen nur schwer ausgehen – passt der Ausdruck auch hier? Ich bin mir nicht sicher.

Eigentlich gab es diesmal noch etwas mehr über die Leere zu berichten. Und zwar nicht nur in Form von Baulücken und Brachflächen. Es gibt sie auch im jüdischen Museum von Daniel Libeskind. Aber mal wieder werde ich mir etwas für eine andere Gelegenheit aufheben müssen. Und das ist nicht das einzige – eine Freundin hatte bemängelt, dass man doch etwas wenig von der Arbeit liest. Leider wird immer noch geduldig auf Wettbewerbsergebnisse gewartet, ich hoffe nächstes Mal lassen sich hier endlich Resultate blicken! Diesmal kann ich also nur mit einem kleinem Häppchen dienen: neben Werken vieler anderer Künstler und Designer – passend zu den Stühlen auf dem Foto, ist unter anderem auch Konstantin Grcic vertreten – kann diese skalierte Version der „Pier Sculpture“ (Lazik, Georgien) in der Kunsthalle Wien bei der Ausstellung „Der Brancusi-Effekt“ besichtigt werden.Und da ich ähnlich wie letztes Mal mit dem Anfang abschließen kann: Geht hin, der Eintritt ist frei. Es geht sich sicher noch aus.

Die Baumeister Academy wird unterstützt von Graphisoft.

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