20.11.2020

Öffentlich

„Stell dir vor, wir fliegen mit dem Lilium-Jet über den Stau hinweg“

Der Lilium-Jet ist als umweltfreundlichen On-Demand Lösung gedacht


„Der Lilium-Jet soll einmal mit 300 km/h 300 Kilometer weit fliegen können.“

Szenen fliegender Autos kennt man aus Filmen wie Blade Runner, Star Wars oder das Fünfte Element. Den Luftraum haben die Menschen dort schon längst erobert. In der Realität sieht das – zumindest auf der Ebene der individuellen Mobilität – noch etwas anders aus. Spricht man mit jemandem wie Patrick Nathen, Mitbegründer des Urban Air Mobility-Unternehmens Lilium, klingt das allerdings gar nicht mehr so sehr nach Utopie. Mit dem umweltfreundlichen On-Demand Lilium-Jet will das Unternehmen in die dritte Dimension abheben. Wir sprachen mit Patrick Nathen über die Chancen der Mobilität im Luftraum für Stadt- und Landbewohner und darüber, welche Auswirkungen dieser „Mobilitätsshift“ auf die Struktur unserer Städte haben könnte.

Baumeister: Patrick, wie sieht für dich die Stadt der Zukunft aus?
Patrick Nathen: Sehr voll. Wenn man sich überlegt, dass 2050 etwa 70 Prozent der Erdbevölkerung im urbanen Raum lebt, kann man davon ausgehen, dass sich Städte weltweit in sehr kompakte, vollgestopfte Metropolen entwickeln. Daraus folgt natürlich ein Mehr an innerstädtischem Verkehr, aber auch eine Zunahme des Verkehrs zwischen Stadt und Land. Dauerstaus werden die Regel und nicht mehr nur die Ausnahme sein. Von der zunehmenden Luft- und Umweltverschmutzung, die sich durch den Verkehr ergibt, ganz zu schweigen.

B: Das kling sehr negativ. Was müsste denn passieren, dass die Stadt für dich eine positive Zukunft bereithält?
PN: Mobilität muss sich verändern, denn mit ihr steht und fällt wie wohl wir uns in der Stadt, aber auch auf dem Land oder in der Peripherie fühlen. Ich glaube aber, wenn so viele Menschen im urbanen Raum miteinander um Platz aber auch um die Art und Weise der Fortbewegung konkurrieren, dann brauchen wir zusätzlichen Raum, um diesen Menschen wiederum mehr Raum und Bewegungsmöglichkeiten zu geben. Mobilität muss sich meiner Meinung nach deshalb in die dritte Dimension ausweiten. Und damit in den Luftraum. Aber eben nicht irgendwie, sondern nachhaltig in dem Sinne, dass man nicht einfach den stinkenden, lauten Verkehr nach oben zieht, sondern dass im Luftraum umweltfreundliche Fahrzeuge unterwegs sind.

 

B: So wie euer Lilium-Jet… Was ist denn das Besondere an dem Fahrzeug?
PN: Unser Urban Air Taxi Jet hat 36 Motoren, ist elektrisch angetrieben, startet senkrecht und kann autonom betrieben werden. Die Motoren in den Tragflächen sind ausgesprochen leise. Wir haben schon die ersten Testflüge auf einem Flugplatz in München erfolgreich hinter uns gebracht. Irgendwann soll der Lilium-Jet einmal bis zu fünf Personen von A nach B bringen – sowohl innerhalb der Stadt, aber auch in die ländlichen Räume und Peripherien. So kann man die städtische Verkehrsinfrastruktur, den vorhandenen Verkehrsraum entlasten, aber auch Bewohner ländlicher Gebiete an die Stadt anbinden. Diese neue Form der Mobilität würde damit das Leben auf dem Land attraktiver machen und so die Städte entlasten.

B: Wie ist denn die Reichweite des Fahrzeugs?
PN: Der Lilium-Jet soll einmal mit 300 km/h 300 Kilometer weit fliegen können. Diese Reichweite garantiert eben auch, dass über die Stadt hinaus Mobilität möglich ist.

B: Patrick, in einigen Medien werdet ihr gerade dafür kritisiert, dass diese Reichweite gar nicht möglich sei. Davon einmal abgesehen: Gibt es vielleicht einfach zu viele Kritiker, die Angst vor einer Mobilitätsrevolution haben? Der Verkehr wie wir ihn bislang kannten, scheint im Hinblick auf all die Probleme, die er mit sich bringt, nicht mehr zeitgemäß zu sein.
PN: Es gibt sehr viele Kritiker. Aber das ist auch gut so. Wir brauchen eine Diskussion, die alle Gesellschaftsschichten durchdringt, bei der sich jeder angesprochen fühlt und mitreden möchte. Nur so kann die Verkehrswende gelingen, können wir unsere Städte entlasten, die ländlichen Räume an urbane anbinden – das alles aber ohne die Umwelt stärker zu belasten. Es geht ja auch um Akzeptanz. Wir sind im Bereich der individuellen Urban Air Mobility (UAM) tätig. Das ist ein ganz neues Geschäftsfeld. Die Etablierung solcher Fahrzeuge wie dem Lilium-Jet würde die Städte und wie wir uns in ihnen bewegen, komplett verändern. Das schafft auch Ängste. Und die sind auch berechtigt, vor allem solange technische, technologische und politische Rahmenbedingungen noch nicht wirklich gegeben sind. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.

 

 

B: Sprecht ihr mit Vertretern von Kommunen, Städten, mit Planern, Architekten? Es geht ja nicht nur darum, Flugtaxis fliegen zu lassen, es muss ja auch die entsprechende Infrastruktur vorhanden sein.
PN: Wir wollen nicht nur die Flieger stellen, sondern wir wollen auch an der Schaffung der Start- und Landeinfrastruktur, aber auch an der Customer Experience, an den Passagierprozessen beteiligt sein. Dafür brauchen wir Partner, so wie jedes andere Urban Air Mobility Unternehmen auch. Und das sind die Städte, die Politik, Behörden, Architekten, Stadtplaner, Mobilfunkunternehmen. Ohne die geht es nicht. Vor allem Stadtplaner und Architekten könnten das Thema, diese neue Form der Mobilität, auch im Zuge der Stadtentwicklung mitdenken. Hier geht es vor allem um den Bestand. Wie kann man diese Mobilität in vorhandene Strukturen einbetten? Wie kann man vorhandene Strukturen erweitern, statt Neues zu bauen?

B: Wenn ich in diesem Zusammenhang an dicht gebaute Städte wie Tokio, New York oder Mexico City denke… Wo startet und landet man da? Wie steigt man um? Wo parkt man? Habt ihr eine Vision auch für den Lilium-Jet, wie das ganze funktionieren könnte?
PN: Wir könnten direkt im urbanen Raum landen und abheben, da die Jets leise sind und senkrecht starten. Das würde auf Dächern funktionieren, auf Flugplätzen, Parkhäusern, in bestehenden Park&Ride-Systemen. Überall dort könnte man Hubs errichten, in denen die Passagiere schnell und bequem um-, ein- und aussteigen können und in denen man die Jets aufladen kann. Diese Hub-Architekturen würden sich quasi wie eine Art Template vervielfältigen lassen. Und da, wo sie gebraucht werden, kann man sie aufstellen. Im Idealfall an Verkehrsknotenpunkten. Das garantiert uns auch eine gewisse Flexibilität, so dass wir in jeder Stadt, wie auch immer deren vorhandene Baustruktur ist, diese Hubs positionieren können. Das alles sind natürlich bis dato nur Ideen. Aber es gibt ja schon Städte, die mit Urban Air Mobility gute Erfahrungen machen. Darauf können wir aufbauen.

 

Politik muss Rahmenbedingungen schaffen.

 

B: Das heißt, eure Vision geht dahin, dass UAM in das bestehende Verkehrskonzept einer Stadt integriert wird?
PN: Genau, mixed mobility ist die Antwort auf die Frage, wie wir uns in Zukunft fortbewegen. Ich nutze Car-Sharing, nehme mir ein Uber, fahre mit der U-Bahn, ich laufe, vielleicht nutze ich noch einen E-Scooter oder ein Fahrrad und ein Stück des Weges lege ich dann eben mit dem Air Taxi zurück. Besonders gut kann ich mir das vorstellen, wenn ich im ländlichen Raum lebe und in der Stadt arbeite. Dieser Mix aus verschiedenen Mobilitätsarten ist aber auch für Megacities interessant – wenn man heute in Shanghai, Delhi, London oder Tokio mit dem Auto zehn Kilometer zurücklegen will, steht man nicht selten ein paar Stunden im Stau. Oder auch zersiedelte Städte wie Los Angeles… Mixed Mobility könnte die Verkehrswende einläuten.

B: Könnte… 
PN: Ja, könnte, denn das Problem ist, dass es sehr viele Mobilitätsanbieter gibt und diese aber nicht wirklich zusammen funktionieren. Damit ein Mobilitätsfluss entsteht und der Nutzer zwischen Alternativen wählen kann, müsste es eine Plattform geben, die Mobilität auch über Stadtgrenzen hinaus zusammen denkt und organisiert. Bis dato ist alles separat und kann somit kein „Ganzes“ ergeben. Es gibt hier und da schon Pilotprojekte, bei denen man den öffentlichen Nahverkehr und private Mobilitätsanbieter zusammenführt, aber Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, damit jede Form der Mobilität einfach zum Alltag gehört und damit auch ineinandergreifen und so den meisten Benefit für den Nutzer generieren kann.

 

Städte wandeln sich schnell, sind sehr dynamisch und müssen Innovation zulassen.

 

B: Um die UAM aber erst einmal massentauglich für die Städte von morgen zu machen, dafür müssen städtische Infrastrukturen und Verkehrsmanagementsysteme neu definiert werden… 
PN: Ja, und das ist natürlich eine Mammutaufgabe. Zumal man ehrlicherweise sagen muss, dass der Markt für Urban Air Mobility bis dato eigentlich nicht existiert. Wir forschen und arbeiten gerade in einem Bereich, von dem die zukünftigen Nutzer noch nicht einmal wissen, dass sie das Produkt brauchen. Aber so ähnlich war das auch mit Elektrofahrzeugen. Und hier werden wir gerade – natürlich auch im Zuge des Klimawandels – eines Besseren belehrt. Genau dieser Fakt, dass vor allem die bemannte UAM (noch) eine Art Spielwiese ist, macht es umso schwieriger schon Klartext zu reden, wenn es darum geht, urbane Infrastrukturen und Verkehrsmanagementsysteme neu zu denken.

B: Patrick, letzte Frage, du hast es ja schon erwähnt, es gibt Städte, die bereits einen Schritt in die dritte Dimension gemacht haben. In Singapur, Mexico City oder San Francisco fliegen zum Beispiel schon Helikopter-Taxis. Zwar noch sehr teuer im Einsatz und noch nicht wirklich als alltägliches Fortbewegungsmittel anzusehen, aber es ist ein erster Schritt. Was glaubst du, welche Stadt würde besonders von UAM profitieren?
PN: Eigentlich alle. Aber natürlich gibt es zahlreiche Ballungszentren, in denen die Menschen tagein tagaus stundenlang im Stau stehen. Vor allem etwa die schnell wachsenden Metropolen Asiens sind teilweise dem Verkehrskollaps nahe. Diese Städte wandeln sich schnell, sind sehr dynamisch und müssen Innovation zulassen, weil sie beim Verkehr, beim Transport von Millionen von Einwohnern, Pendlern und Touristen an ihre Grenzen stoßen. Oder schauen wir nach Paris. Ich kann mich nicht erinnern, nicht jedes Mal etwa zwei Stunden vom Charles de Gaulle Flughafen in die Innenstadt gebraucht zu haben. Stell dir vor, wir würden mit dem Lilium-Jet einfach über den Stau hinwegfliegen…

 

Das Interview ist zuerst in der topos 110 Ausgabe mobility erschienen. Mehr zum Thema Mobilität lesen Sie bei unseren Kollegen und Kolleginnen von topos.

Scroll to Top