So richtig rund läuft es noch nicht im olympischen Rio. Von prügelnden Fans, siedenden Favelas und Leichenteilen am Strand ist die Rede. Geht es nur mir so, oder macht sich eine gewisse Mega-Event-Müdigkeit breit? Und zwar nicht nur bezogen Rio, sondern auch auf das Prinzip Großevent?
Zu erklären wäre das. Zwar gibt es nicht unbedingt mehr Riesen-Sportveranstaltungen als früher. Doch die, die es gibt, dauern immer länger (siehe die Debatte über die 32 Teams bei der Fußball-Europameisterschaft) oder werden immer teurer. Über vier Milliarden Euro kosten allein die Spiele in Rio.
Hinzu kommt: Die Ökonomen-Binse, dass sich „Events am Ende rechnen“, lässt sich nur schwer verifizieren. Zwar hat der brasilianische Aktienindex im Vorfeld der Spiele um 50 Prozent zugelegt und auch die Währung Real gegenüber dem Euro ein Fünftel gewonnen. Andererseits – wie langfristig sind derlei Effekte? Letztlich dürfte davon wenig bleiben, glauben etwa Wissenschaftler des Deutschen Bundestages. Strukturelle Wirtschaftseffekte erwarten sie nicht von dem großen Sportlerrun. „In der Regel lässt sich feststellen, dass Sportgroßveranstaltungen (…) nur kurzfristig positive wirtschaftliche Auswirkungen haben”, schreibt der Wissenschaftliche Dienst in einem Papier 2014.
Aus architektonischer Sicht gibt es darüber hinaus noch eine andere Perspektive auf die Effekte von Olympischen Spielen: den städtebaulichen. Haben die alle vier Jahre neu errichteten Großbauten eigentlich einen nachhaltigen Sinn für Städte? Oder anders formuliert: Findet sich zufällig alle 104 Wochen eine Stadt, die gerade ihre Armada an Sportstätten einer kostspieligen Neubauorgie unterziehen will? Nur dann nämlich wären ja die Stadionbauten für Olympia oder eine WM wirklich sinnvoll. Doch die Antwort wird wohl lauten: nein.
Und was das kollektive Gedächtnis der Weltgesellschaft angelangt – auch hier ist die Frage, was wirklich „hängen bleibt“. Welche Olympischen Spiele haben wir heute noch nachhaltig in Erinnerung? Aus deutscher Sicht vielleicht 1972. Die Münchner Spiele waren ein atmosphärisches Novum – erst als die heiteren Spiele, dann überschattet vom Terror. Darüber hinaus würde man vielleicht noch Sidney 2000 erwähnen. Aber sonst?
Hier schließt sich nun die Frage an: Wenn der Wanderzirkus der Spiele und World Cups so wenig an bleibendem Eindruck hinterlässt – ist er dann überhaupt noch sinnvoll? Wenn zwei Wochen Sportevent Orte und ihre Wahrnehmung eben doch nicht grundlegend verändern? Wäre es nicht sinnvoller, etwa die Olympischen Spiele fest an einem Ort zu verankern?
An den Sportstätten könnte dann kontinuierlich gearbeitet werden; die gesamte Infrastruktur könnte sich um den wiederkehrenden Trubel herum optimieren. Nicht mehr genutzte Stadionruinen würden vermieden. Und es könnte eine neue Form der event-räumlichen Identität entstehen, die sowohl den Ort als auch das Ereignis mit mehr atmosphärischer NachhaltigkeitNachhaltigkeit: die Fähigkeit, natürliche Ressourcen so zu nutzen, dass sie langfristig erhalten bleiben und keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben. Nachhaltigkeit in der Architektur – Gebäude, die die Umwelt schützen und gleichzeitig Ästhetik und Funktionalität bieten Nachhaltigkeit und Architektur sind zwei Begriffe, die heute mehr denn je miteinander verbunden… versieht. Sind die Spiele mal vorbei, besucht man als Stadttourist keinen Event-Friedhof, sondern einen Ort, der beseelt ist von der Aura des bald wiederkehrenden Events – ähnlich wie das etwa mit den Kunst- und Architekturbiennalen in Venedig speziell den Giardini geschieht.
Übrigens kursiert diese Idee auch schon, meines Wissens erstmals vorgeschlagen von FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis. Er findet, die Spiel sollten dauerhaft in Athen ihren Sitz nehmen. Chatzimarkakis geht in seiner Argumentation vor allem von der misslichen wirtschaftlichen Lage Griechenlands aus. Für ihn wäre das primär ein hellenisches Konjunkturprogramm. Doch das Ganze hätte auch kulturell einen beträchtlichen Charme. Athen, das Mekka des olympischen Spitzensports. Weiter gedacht, wäre diese Logik auch auf andere Mega-Events anwendbar. Auf Welt- und Europameisterschaften, vielleicht auch auf Weltausstellungen.
Die Idee, ein Eventformat um die Welt zu schicken, ist letztlich eine unzeitgemäße. Sie entstammt aus der Prä-Internet-Zeit. Heute muss man den Menschen nicht mehr „die Welt“ präsentieren. Heute denken wir ohnehin global. Die Welt erfindet sich als globalisierter Kosmos auch nicht mehr beständig neu. Vielmehr bilden sich weltweit Zentren mit unterschiedlichen Kompetenzen aus, zum Beispiel mit der Startup-Szene im Silicon Valley oder auch in Tel Aviv und Berlin. Es finden unterschiedlichste Clusterbildungen statt. Weshalb nicht auch ein athenischer Cluster Olympia?