21.05.2019

Wohnen

Alle happy?

Die Vorderseite der Postkarte

„Ein Treffpunkt im Viertel, bei dem verschiedene Interessengruppen in Berührung kommen und sich austauschen können“ – so etwas bahnt sich gerade im Münchner Stadtteil Untergiesing an. Dort soll ein sogenanntes Kulturcafé in Form eines „windschiefen Hexenhauses mit kleinem Garten, feiner, bezahlbarer Küche, familienfreundlichen Getränkepreisen sowie gemütlichen Terrassen und Balkonen in den Bäumen“ entstehen. Klingt gut oder?

Die Vorderseite der Postkarte, die im Briefkasten unseres Autors lag…
… und die Rückseite. (Karte: Gans Woanders)

Verschiedene Formen der Aneignung

Wenn man sich anschaut, was dort momentan passiert – oder gerade nicht passiert –, könnte man meinen, das Ganze wäre wirklich eine tolle Idee. Der Ort für das zukünftige Kulturcafé befindet sich nämlich unter einer Eisenbahnbrücke in einem kleinen Stück Niemandsland, das momentan größtenteils als Parkplatz genutzt wird. Warum sollte man das Ganze nicht aufwerten und dort einen „bunten Ort der generationenübergreifenden Begegnung und Kommunikation“ schaffen? So zumindest beschreiben es die Initiatoren des Projekts auf einer Werbe-Postkarte, die in der Nachbarschaft verteilt wurde. Das sind Julian und Daniel Hahn, die gemeinsam mit Freunden mehrere Gastro-Projekte wie den Club „Bahnwärter Thiel“ oder das Café „Gans am Wasser“ in München betreiben.

Zu dieser Nachbarschaft zählt allerdings auch ein Obdachlosenheim. Als Konsequenz gibt es unter der Eisenbahnbrücke nicht nur Autos, sondern auch Obdachlose – Menschen also, die sonst kaum im öffentlichen Raum präsent sind, zumindest was die Stadt München betrifft. Und die machen im Sommer genau das, was die Betreiber des zukünftigen Kulturcafés in einer kommerzialisierten Version machen wollen: Sie eignen sich einen Ort an, den bislang keiner haben wollte, und bauen sich dort jedes Jahr ein Outdoor-Wohnzimmer als Treffpunkt.

Damit dürfte es jetzt wohl bald vorbei sein. Die Ansammlung aus Sperrmüllmöbeln wird einem architektonischen Ensemble weichen, das genau diese Form der Aneignung imitiert, um sich dadurch den Anschein einer authentischen sozialen Agenda zu geben. Und wahrscheinlich wird es dort auch sozial zugehen, aber eben in einem Rahmen, zu dem nicht jeder Zugang hat.

Ästhetik architektonischer Glückseligkeit

Am Kulturcafé lassen sich aber nicht nur Verdrängungsprozesse ablesen, sondern auch gestalterische Prinzipien. Diese Prinzipien sind geradezu archetypisch für das Zeitalter der neoliberalen Architektur, in der Gebäude versuchen, so harmlos und fröhlich wie möglich zu sein. Deshalb inszenieren Google und Facebook ihre Arbeitsräume als große Spielwiese für Millennials, in der sich der Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit ganz harmonisch in knallbunte Farben auflöst.

Es sind aber nicht nur Konzernzentralen, die im entsprechenden Gewand daherkommen, sondern auch Räume, die das genaue Gegenteil – nämlich unsere Freizeit – symbolisieren. Dazu zählen Ferienwohnungen, Hotels oder auch Restaurants, die in einer präzise arrangierten Do-It-Yourself-Ästhetik geplant sind, wenn sie hip und zeitgemäß sein wollen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Hotel-Kette 25Hours, deren Gestaltungskonzept irritierenderweise an die Ästhetik alternativer Kulturzentren erinnert – mit dem einzigen Unterschied, dass hier alles der DIN-Norm entspricht.

Kultur und Kommerz

Die neoliberale Ästhetik greift aber nicht nur an den oben beschriebenen Orten, sondern auch im öffentlichen Raum. Das Stichwort dazu lautet Zwischennutzung und manifestiert sich in Form temporärer und kommerzieller Veranstaltungsorte wie Clubs, Cafés oder sonstiger Eventformate. Damit soll ein bestimmter Typus des Stadtbewohners angesprochen werden, dessen Bedürfnis, die Stadt als spannungsreichen Eventraum zu erleben, zusätzlich mit einer pseudo-sozialen Agenda aufgewertet wird. Dabei bedient man sich gestalterischer Codes, die aus der Gegenkultur kommen und heute vor allem dazu dienen, bestimmte Gruppen auszuschließen.

Gentrifizierungsmaschinen

Deshalb sollte man sich die Frage stellen, ob es so etwas wie das Kulturcafé wirklich braucht oder ob es nicht schon genügend durchkommerzialisierte Orte für Menschen mit geregeltem Einkommen gibt. Wäre es stattdessen nicht besser, einen öffentlichen Raum zu bewahren, der obdachlosen Menschen einen Rahmen für sozialen Austausch bietet? Dieser Raum könnte trotzdem von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen genutzt werden, indem man ihn sorgsam umwandelt.

Beispiele dafür findet man immer wieder. Das sind oftmals ganz unscheinbare Orte, die eben keine gestalterischen Codes aufweisen, Nischen für jede Gruppe bieten und die vor allem nicht kommerzialisiert sind. Ein gutes Beispiel befindet sich in den Münchner Frühlingsanlagen, direkt bei der Reichenbachbrücke. Dort gibt es ein Schachfeld, zwei Tischtennisplatten und ein paar Parkbänke. Nebenan ist ein Spielplatz. Wer sich auf eine der Bänke setzt, wird feststellen, dass man dort so ziemlich jeden Teil der Stadtbevölkerung trifft – von ganz oben bis ganz unten.

Dagegen sind Zwischennutzungen wie das Kulturcafé – und das ist die bittere Ironie dieser Entwicklung – nichts anderes als Gentrifizierungsmaschinen, die dafür sorgen, dass sich ihre Nutzer den Ort, an dem sie stattfinden, irgendwann nicht mehr leisten können. Oder anders ausgedrückt: Wer einen Stadtteil aufwertet, macht ihn damit automatisch auch zum Spekulationsobjekt.

 

 

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