11.04.2021

Portrait

Schwabylon: Von Baulöwen, Buntspechten und Bahnbrechern

Wenn man heute den Fuß in ein Münchner Neubauviertel setzt, stellt sich oft der Eindruck einer seelenlosen Allerweltsstadt ein. „Mut zur Lücke!“ will man den glatten, gesichtslosen Fassaden entgegenrufen. Aber war München schon immer so architektonisch vermieft und wenig innovativ? Keineswegs. Anlässlich des einjährigen Todestages von Justus Dahinden (11. April) blicken wir zurück…

Schon fast am Ende von Schwabings bekanntester Flaniermeile, der Leopoldstraße, angekommen, bot sich den Passanten in den 1970er-Jahren ein ganz besonderen Anblick: ein großes, leuchtendes Shoppingcenter mit scharfen Gebäudekanten und einer gewaltigen, aufgehenden Sonne auf der Fassade. „Schwabylon“ stand dort in großen Lettern. Seine kräftigen Farben Gelb, Orange und Rot stechen heraus – der Bau erinnert an eine gigantische Jahrmarktbude. Die knalligen, emaillierten Fassadenplatten bilden einen eigentümlich kantigen, städtebaulichen Akzent neben den grauen Apartmenthäusern im Hintergrund. Wie kam es zu diesem Pop-Bunker?

Pop-Bunker, in den 1970ern in Schwabing gestrandet, Foto: Justus-Dahinden-Archiv: in: Schauberger, Anja: Schwabylon & Citta 2000

Symbol Schwabylon

 

1973 wollten der bekannte Schweizer Architekt Justus Dahinden und der Augsburger Baulöwe Otto Schnitzenbaumer den großen Wurf in Schwabing landen und ein Freizeit-, Vergnügungs- und Shoppingcenter als „atmenden Organismus“ schaffen. Das Schwabylon sorgte zur damaligen Zeit für Furore, und das nicht ohne Grund: Es provozierte das Spießbürgertum und atmete noch den Zeitgeist vom Wirtschaftswunder, verströmte einen Hauch Flower-Power und war Symbol für einen heute kaum mehr vorstellbaren Glauben an Technik, Fortschritt und grenzenloses Wachstum.

Dahinden selbst war ein Vordenker. Er beschäftige sich intensiv mit mobilen Megastrukturen und ähnlichen avantgardistischen Utopien der frühen 1960er-Jahre. Geprägt von dominanter, schriller Farbgestaltung, typografischen Elementen der Pop-Art und symbolhaften Motiven spricht sein Münchner Entwurf die Sprache einer provokanten Pop-Architektur. Doch auch wenn es dem farbenfrohen Bunker nicht an todschicken Boutiquen, einem Biergarten unter Eichen, einer riesigen Wellness-Landschaft oder einer Eislaufhalle mangelte, so fand das Schwabylon nach nur sechs Jahren Betrieb ein jähes Ende: Nicht zuletzt wegen seiner ungünstigen Lage im Schwabinger Norden, seinem schlecht belichteten Innenleben und dem Mangel an betuchten Gästen rollten bereits 1979 die Bagger an und machten das Schwabylon dem Erdboden gleich. Für die Presse erwies sich der Bau schnell als „Buntspecht, der keine goldenen Eier legen wollte“.

Visionär Justus Dahinden

Auch wenn das skandalumwitterte Pop-Gebäude nicht den Spagat zwischen visionärem Avantgardismus und dem Profitstreben seiner Erschaffer leisten konnte – Dahindens Schwabylon ist ein wunderbares Beispiel für experimentelles Zukunftsdenken, das heute oft fehlt. Auch jetzt kann das Bauwerk München als kreatives Vorbild dienen. Denn da wo Undenkbares gedacht wird und mutige Köpfe sich zusammentun, können Zukunftsvisionen einer lebendigen Stadt erschaffen werden. Denn eine Utopie ist nicht von vornherein ein Hirngespinst, das sich ins Nichts auflöst. Es sei denn, um es mit den Worten Bert Brechts auszudrücken: „Von all jenen Traum- und Albtraumstädten wird bleiben: was durch sie hindurchging, der Wind.“

 

Ein weiteres in Schwabing errichtetes Projekt von Justus Dahinden ist das Restaurant Tantris. Anders als das Schwabylon hält die Erfolgsgeschichte jedoch an. Mehr über die 1971 fertiggestellte Architektur und dessen Geschichte lesen Sie in dem Buch TANTRIS.

Mehr zu Architektur in München und Bayern finden Sie übrigens in der B4/18.

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