30.07.2021

Öffentlich

An Hölderlins Wiege

Die Stadt Lauffen am Neckar hat das Geburtshaus des Dichters Friedrich Hölderlin aufwendig restauriert und in ein Museum verwandelt. Das Stuttgarter Architekturbüro VON M ergänzte das historische Gebäude dafür um zwei Anbauten, die nicht verheimlichen wollen, dass sie neue Zutaten sind.  

 

Foto: Zooey Braun

 

Erinnerungsorte bestimmen die Erinnerung. Das gilt für Ereignisse wie für Personen. Goethes großbürgerliches Elternhaus im Großen Hirschgraben in der Frankfurter Altstadt (der alten) und sein Palais am Frauenplan prägen unser Bild vom Dichterfürsten und Geheimen Rat. Schillers Ruhm ist schon allein an der schwer zu überschauenden Anzahl der Schillerhäuser ablesbar. Sein Marbacher Geburtshaus ist eine sorgfältig restaurierte Inkunabel. Das Archiv und Museum, das seine Verehrer zur Aufbewahrung seines Nachlasses errichteten, ist ein stolzes Schloss über dem Neckar.

 

Foto: Zooey Braun

Hölderlins Geburtshaus wird zum Museum

 

Die Erinnerung an Friedrich Hölderlin, der stets im Schatten der beiden Weimarer bleib, ist ausgerechnet mit jenem Ort verknüpft, an dem er die letzten 36 Jahre seines Lebens psychisch schwer erkrankt in einem kleinen Zimmer lebte: Der Tübinger Hölderlinturm war bis vor kurzem die einzige museale Gedenkstätte für den Dichter. Sein Elternhaus in Nürtingen ist heute die Volkshochschule der Stadt. Vor einigen Jahren musste es von engagierten Bürgern vor dem Abriss gerettet werden. Der heutige Zustand steht in keinem Verhältnis zum literarischen Rang des Dichters.

 

Um so erfreulicher ist es, dass die Stadt Lauffen am Neckar das Geburtshaus des Dichters, in dem er seine ersten zwei Lebensjahre verbrachte, nun aufwendig restauriert und dort ein Museum eingerichtet hat. Auch dieser Bau, ein Bürgerhaus mit landwirtschaftlicher Nutzung, war lange in einem heruntergekommenen Zustand. Dem Umbau zum Museum ging eine umfangreiche bauwissenschaftliche und denkmalarchälogische Untersuchung voraus, die nicht nur das Haus selbst umfasste, sondern auch die anstoßende Klostermauer aus dem 13. Jahrhundert. Hölderlins Vater war Klosterhofmeister eines Frauenklosters. Das Haus gehörte zum Klosterkomplex.

 

Foto: Zooey Braun

 

Es ist ein enormer Glücksfall, dass der Bau zwar vor der Restaurierung in schlechtem Zustand war, sich aber eine Vielzahl von historischen Bauteilen erhalten haben. Das reicht von der Raumaufteilung, die seit Hölderlins Zeiten praktisch unverändert blieb, bis hin zu den Fenstern, die zum Teil noch aus der Barockzeit stammen. So konnte nun die Geschichte des Hauses, dessen älteste Teile aus dem 13. Jahrhundert stammen, in ihren unterschiedlichen Schichten sichtbar gemacht werden.

 

Foto: Zooey Braun

Beton markiert die neuen Anbauten

 

Ein zeitgemäßer Museumsbetrieb stellt jedoch Anforderungen, die sich mit einem Baudenkmal nur schwer in Einklang bringen lassen. Dieser Herausforderung hatte sich das Stuttgarter Architekturbüro VON M zu stellen. Sie fügten dem historischen Bauwerk seitlich und rückwärtig neue Baukörper an, deren Materialität – Beton und Stahl – sie als klar zeitgenössische Zutaten ausweisen.

 

Zur Westseite entstand in Verlängerung der Straßenfassade ein einstöckiger Bau, der die Haustechnik aufnimmt. Er ersetzt eine neuzeitliche Doppelgarage, die zuvor an dieser Stelle stand. Die barrierefreie Erschließung des Museums übernimmt eine neuerrichteter Treppenturm, der an der Rückseite des historischen Gebäudes angefügt wurde. Er setzt in der Großform einen barocken Scheunenanbau fort, der den rückwärtigen Flügel des Bestandsbaus bildet. Der Treppenturm nimmt neben der Treppe einen Fahrstuhl auf, der den stufenfreien Zugang zu den oberen Etagen des Hölderlinhauses gewährleistet. Elegant überbrücken die Architekten den Luftraum der Scheune mit Stahlstegen, die vom Turm in das eigentliche Wohnhaus führen.

 

Foto: Zooey Braun

 

Der Treppenturm bildet auch das Verbindungsglied zwischen dem historischen Bestand und dem ebenfalls neugebauten Wechselausstellungsraum. Dieser nimmt den vormaligen Standort einer zweiten Scheune ein. Gemeinsam mit der Klostermauer bilden Haupthaus, Scheunenanbau, Treppenturm und Wechselausstellungsraum ein geschlossenes Hofgeviert, das die Architekten als unüberdachten Innenraum begreifen. Dank des nur einstöckigen Wechselausstellungsraums kann der Blick aus dem Hof in die hinter dem Hölderlinhaus gelegenen Weinberge gehen.

 

Foto: Zooey Braun
Foto: Zooey Braun

Zitatenmobile als Lesespiel

 

Über den Hof findet auch der Zutritt zum Museum statt. Der Eingang in das Museum erfolgt durch ein großes Tor, das in das Erdgeschoss des barocken Scheunenanbaus führt. Da die historische Pflasterung des Hofes nicht angetastet werden durfte, musste der Erschließungsweg für gehbehinderte Besucherinnen und Besucher an der westlichen Außenseite des Ensembles vorbeigeführt werden: Eine Betonrampe führt vom Straßenniveau hinauf zum Erschließungsturm, der einen zweiten Zugang zum Hölderlinhaus bietet.

 

Im Erdgeschoß des barocken Scheunenanbaus sind neben dem Foyer die Kasse, der Shop und die Garderobe untergebracht. Den Architekten war es wichtig, dass das eigens für das Museum gestaltete Mobiliar Abstand von den historischen Wänden hält, um das Denkmal nicht zu beeinträchtigen. Auch das Leitsystem im Museum ist aus diesem Grund nicht wandmontiert, sondern nutzt pultartige Aufsteller aus Metall. Über einen Medienraum für Projektionen und das historische Treppenhaus gelangen die Besucherinnen und Besucher in die Hauptausstellungsräume im Obergeschoss. Im Dachgeschoss befindet sich noch ein sogenanntes Lesezimmer, in dem Werke Hölderlins zur Lektüre ausgelegt sind. Außerdem ist hier noch ein Ausstellungssaal untergebracht. Er setzt sich unter der Überschrift „Hölderlin weltweit“ mit der internationalen Rezeption des Dichters auseinander.

 

Foto: Zooey Braun

 

Über die Metallstege wandern die Besucherinnen und Besucher schließlich zum Treppenturm, durch den Sie wieder ins Foyer gelangen. Im Luftraum der Scheune ist das sogenannte Zitatenmobile aufgehängt – Leuchtschriften mit Hölderlin-typischen Wortkombinationen, die man entziffert, während man sich über die Stege bewegt.

 

Foto: Zooey Braun

 

Bei der Restaurierung des Gruuthuse-Museums in einem spätgotischen Stadtpalais in Brügge standen noAarchitecten ebenfalls vor der Herausforderung, ein historisches Gebäude denkmalgerecht zu erweitern. Hier erfahren Sie, wie die belgischen Architekten mit der Aufgabe umgingen.

 

Foto: Zooey Braun
Lageplan, Zeichnung: VON M
EG, Zeichnung: VON M
OG, Zeichnung: VON M
DG, Zeichnung: VON M
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