Markt als Kontext
München ist traditionsgemäß skeptisch gegenüber hohen Häusern und urbaner Dichte, gleichzeitig ist die Stadt der teuerste Immobilienstandort Deutschlands. Die Wohntürme Friends von Allmann Sattler Wappner Architekten im Münchner Westen bieten ein Wohnkonzept, das die Bedürfnisse des Marktes und der Bewohner bedienen will.
Weithin sichtbar an der Bahnachse, kurz vor dem Münchener Hauptbahnhof gelegen, geben die Wohntürme „Friends“ neben den anderen Neubauten entlang der Entwicklungsfläche zwischen Hauptbahnhof und dem Stadtteil Pasing Zeugnis davon ab, was in den vergangenen Jahren in München baulich realisiert wurde. Die Gruppe von Baukörpern an der Ostseite des neuen Quartiers am Hirschgarten wirkt auf den ersten Blick homogen in ihrer strengen Kubatur und monochromen Erscheinung. Auf den zweiten Blick offenbart sich ein Spiel mit den im Bebauungsplan vorgegebenen Regeln hinsichtlich Form, Material und Farbgebung.
Aus einem Wettbewerb gemeinsam mit dem angrenzenden Büro- und Einzelhandelskomplex hervorgegangen, sind die Wohntürme Friends, das Hotel und ein weiterer Bürobau heute Hochpunkt und urbanes Zentrum des neuen Stadtquartiers am Hirschgarten. Bei den dort in den letzten Jahren entstandenen Wohnbauten zwischen Hirschgarten und Bahnfläche wurde zwar laut Bebauungsplan alles richtig gemacht, dennoch wirkt das Viertel heute eher suburban als urban. Mit den Wohntürmen will man mehr wagen: eine neue Wohnform, aber auch eine urbane Identität. Friends: das ist die Nachbarschaft, aber auch die Welt.
Ursprünglich als Bürogebäude von Allmann Sattler Wappner Architekten 2008 geplant, sollten die beiden Türme das neue Stadtquartier mit einer urbanen Infrastruktur ergänzen. Nicht zuletzt wegen des lagebedingten Lärm- und Emissionsschutzes war Wohnen im Bebauungsplan dort nicht vorgesehen. Gleichzeitig war die Projektplanung auf einen Münchener Immobilienmarkt ausgerichtet, der zum damaligen Zeitpunkt vor allem Bürobau präferierte.
Mit der Finanzkrise änderten sich die Rahmenbedingungen schlagartig. Während das erste der beiden Grundstücke aus dem Wettbewerb noch planmäßig bebaut wurde, führten die durch die Krise veränderte Büromarkt- und Finanzmarktlage sowie die gleichzeitig zunehmende Wohnungsnachfrage zum Umdenken hinsichtlich der an der Bahn gelegenen Grundstücksfläche. Architekturbüro, Projektentwickler und Planungsbehörden sahen sich in der folgenden Studie mit den Fragen konfrontiert, wie gutes Wohnen an einem dafür zunächst nicht vorgesehenen Ort aussehen könnte, was Wohnen gebäudetypologisch im Vergleich zum Bürobau ausmacht, und wie Wohnqualität auf kleinem Raum geschaffen werden kann.
München hatte sich aufgrund der Finanzkrise inzwischen zum attraktiven Immobilienmarkt für globale Geldanleger entwickelt, zusätzlich war der Wohnungsbedarf gestiegen. Der daraus resultierende starke Anstieg der Immobilienpreise führte zur Notwendigkeit, Grundrisse vermehrt renditeoptimiert zu planen und dafür entsprechende Gestaltungskonzepte zu entwickeln.
Im Fall der Wohntürme entschieden sich die Planer für ein an das Prinzip der Sharing Economy angelehntes Wohnkonzept, mit der Idee, flächeneffiziente, flexible private Wohneinheiten mit gemeinsam genutzten Räumen und Dienstleistungen zu kombinieren. So sind alle Wohnungen in einem offenen Grundriss um einen Versorgungskern, den Küche und Sanitärbereich umfassenden „Cube“, angeordnet. Geteilt werden eine Gemeinschaftsküche, die Dachterrassen und ein „Doorman“. Wie die Bewohner der neuen Gemeinschaft miteinander leben wollen, hatten die Projektentwickler im Vorfeld über Nutzerbefragungen ermittelt. Dieses Narrativ sollte als Blaupause für die architektonische Transformation der Gebäude zu Wohntürmen dienen.
Spiel mit der Ordnung
Ihr Entwurfskonzept im Wettbewerb hatten Allmann Sattler Wappner Architekten als Reaktion auf feste Bauplanvorgaben verstanden: Ein alle Baukörper umfassendes Fassadenraster fungiert zunächst als Ordnungssystem, welches im Spiel mit Varianten gebrochen wird. Wechselnde Parameter an den einzelnen Gebäuden, wie Fassadenöffnungsgrade und Materialität, spielen dabei bewusst mit dem Bruch des Rasters und mit der alle Baukörper verbindenden Ordnung. Die Wohntürme verkörpern mit der maximalen Fassadenöffnung auch die maximale Öffnung des Rasters. Der Bruch der Ordnung ist hier die Extrusion des Rasters in Form von Erkern, die sich über die gesamte FassadeFassade: Die äußere Hülle eines Gebäudes, die als Witterungsschutz dient und das Erscheinungsbild des Gebäudes prägt. verteilen.
Das Entwurfsprinzip von Offenheit bei gleichzeitiger Stabilität lässt sich zurückführen auf die bei Friends offerierten Wohn- und Lebensentwürfe. Versteht man Offenheit als eine die kontingente Zukunft beschreibende Eigenschaft, so scheint die Solidität der Doppeltürme und die Ordnung des Rasters die Basis zu sein, von der aus das Wagnis Zukunft erst eingegangen werden kann. Und so beschreibt das Narrativ der Wohntürme ein Bild der größtmöglichen Flexibilität: Alles ist möglich. Die Bewohner leben gleichzeitig global und lokal, gemeinsam und allein, offen und privat.
Die Zukunft entwerfen
Friends zeigt, wie Wohnen an einem dafür zunächst nicht vorstellbaren Ort über eine glaubwürdige Geschichte vorstellbar und real werden kann. Schon einmal war es Allmann Sattler Wappner Architekten gelungen, über ein Narrativ eine konkrete Architektur zu realisieren. Beim Ideenwettbewerb zum Entwurf für das „Haus der Gegenwart“ 2001 hatten sich die Architekten mit einer fiktiven Geschichte unterschiedlicher Nutzungsszenarien beworben. Die Frage, wie sich die Vielfalt an Lebensentwürfen in Nutzungsoffenheit abbilden kann, wurde bereits dort verhandelt. Privaträume sortierten sich um gemeinsame offene Wohnflächen, wobei die Grenzen zwischen dem Individuellen und dem Gemeinschaftlichen, zwischen innen und außen, flexibel waren: Es gibt nicht den einen Lebensentwurf, sondern viele.
Eine bemerkenswerte Rahmenbedingung des vom SZ Magazin ausgelobten Ideenwettbewerbs war die Kostenvorgabe: Das Haus sollte einer Familie mit mittlerem Einkommen entsprechen. Ging es beim Haus der Gegenwart um die Frage: „Wie lebt eine Familie heute?“, so bieten die Wohntürme Friends mögliche Wohnformen für eine noch offene Zukunft. Diese Flexibilität dient dem Markt, aber auch den Bewohnern. Bleibt zu wünschen, dass derartig innovative Wohnkonzepte weitergedacht werden – für eine soziale Vielfalt in der Stadt.
Anmerkung der Redaktion:
In der März-Ausgabe 2018 ist uns im Beitrag „Haus der Zukunft“ (S. 30-35) ein bedauerlicher Fehler unterlaufen: Der Text stammt von Uta Leconte und nicht wie angegeben von Philipp Sturm.
Mehr über den Wohnungsbau in Deutschland finden Sie im Baumeister 03/2018