Dazu gehören auch die Architekturen der Schein-Instabilitäten, die seit der Heraufkunft des neoliberalen Zeitalters, insbesondere in den 1990er Jahren, vor allem in Gestalt dekonstruktivistischer Architekturen materialisiert wurden, und zwar erstaunlicherweise vor allem im Kontext von Bankarchitekturen. So stellten die New Yorker Architekten Philip Johnson und John Burgee 1996 die beiden einander schief zugeneigten Puerta-de-Europa-Hochhäuser an der Plaza de Castilla in Madrid fertig. Von der Sparkasse Caja Madrid, der Bankia-Gruppe und dem Immobilienunternehmen Realia genutzt, sind die beiden einst für wirtschaftlichen Aufbruch stehenden Bauten, mit dem Platzen der Immobilienblase im Jahre 2008 zum Symbol
für die Schieflage der spanischen Wirtschaft geworden. Das zweite Beispiel findet sich in Klagenfurt. Dort errichtete der kalifornische Architekt Thom Mayne im Jahr 2000 die Zentrale der Hypo-Alpe-Adria-Bank, mit dynamisch aufsteigenden Schrägen und gekrümmten Trakten, die durch Bruchlinien fragmentiert sind. Auch hier wurde die Architektur, die eigentlich für Offenheit und Wagemut stehen sollte, zur “Architecture parlante” ganz anderer Art, als 2009 die Bank nicht mehr über das zur Bilanzierung nötige Eigenkapital verfügte und Insolvenzgefahr bestand, welche nur durch ein Notverstaatlichungsverfahren abgewendet werden konnte. Als letztes Beispiel sei die Architektur des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main erwähnt, die zwischen 2010 und 2013 vom Wiener Büro Coop Himmelb(l)au erbaut wurde. Ein Gebäudekomplex aus zwei polygonalen Zwillingstürmen ist entstanden, die einmal mehr mit den
Insignien des Dekonstruktivismus hantieren: gekrümmte Oberflächen, schräge Stützen, schiefwinklige Treppen. Nie war Bankarchitektur so stabilitätsvergessen wie heute. Eine Anti-Austeritäts-Ästhetik hat sich Bahn gebrochen, die zur gegenwärtig dominanten Politik des Euroraumes quer steht. Während die Instabilitätsästhetiken der erwähnten Bankgebäude und die Stabilitätsästhetiken der von Harvey untersuchten Architekturen beziehungsweise der Biosphere 2 und des Trump Tower als unbewusste Reaktionen auf den Neoliberalismus betrachtet werden können, gilt der Parametrismus Patrik Schumachers als einzig bewusstes Stilangebot eines prominenten, sich seit geraumer Zeit zum Libertarianismus bekennenden Architekten an (nicht nur) neoliberal verfasste Gesellschaften. Einst auf der Architekturbiennale Venedig 2008 manifestös ausgerufen,26 kann der Parametrismus als ein von gekrümmten und gekurvten Oberflächen geprägter Architekturstil beschreiben werden, der die zunächst emanzipatorisch gemeinten, dann neoliberal gewendeten „models of self-organization, ermergence and complexity“ 27 in Architektur zu übertragen versucht – und dem auf dem Weg, glaubt man Schumacher, nur die Great Financial Crisis 2008/9 in die Quere kam: „Wäre die Finanzkrise nicht gewesen, dann hätte der Parametrismus mittlerweile eine Hegemonialposition innerhalb der Architektur inne, ähnlich wie die Moderne.“ 28 Um seine neuesten politisch-ökonomischen Überzeugungen macht der Principal von Zaha Hadid Architects kein Geheimnis: „Neoliberalismus ist auf jeden Fall besser als Sozialismus oder eine staatliche Regulierung. Die neunziger und frühen nuller Jahre waren meiner Meinung nach nicht liberal genug. Die Wirtschaftskrise hatte ihre Ursache nicht in der Deregulierung, sondern in einer falschen politischen Weichenstellung. Deshalb bezeichne ich mich als libertär und sympathisiere mit dem Anarcho-Kapitalismus, der Staatlichkeit und Zwangssolidarität in Frage stellt. Ich bin auch dafür, dass die EU wieder in kleinere Staaten zerfällt. Das gleiche gilt für Großbritannien und Deutschland – dann funktioniert Politik vielleicht auch wieder besser. Mich stören diese riesigen Staatsbürokratien.” 29
Schumacher, der sich in dieser Weise öffentlich politisch äussert sagt, überträgt andererseits in “The Autopoiesis of Architecture” den Niklas Luhmann’schen Kosmos moderner Funktionssysteme auf den Architekturdiskurs, ruft die Existenz eines „Architektursystems“ aus, welches sich zu den bereits bekannten Luhamnnschen Systemen – nämlich dem Erziehungssystem, der Kunst, den Medien, der Politik, dem Recht, der Religion, der Wirtschaft und der Wissenschaft – dazu gesellen solle. Doch was Schumacher damit aus der Architektur ausschliessen will – die Politik etwa oder die Wirtschaft – kommt wie ein Bumerang zurück. So sprach er sich während des World Architecture Festivals im November 2016 in Berlin für eine Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus, für die Privatisierung von öffentlichen Plätzen und für die Bebauung von 80 Prozent des Hyde Parks aus – und erntete den bis dato wohl grössten Shitstorm der Architekturgeschichte. In der Folge gab es sogar Proteste von linken Aktivisten vor dem Büro von Zaha Hadid Architects. Wenngleich einige der Plakate sicherlich über das Ziel hinaus schossen – auf einem stand etwa in schwarz-rot-goldenen Lettern zu lesen: „Arbeit macht Frei – Patrik Schumacher – Architect of Fascism“ – so sollte spätestens dann auch Schumacher klar geworden sein: Die Architektur bildet sicherlich kein Luhmann’sches funktional geschlossenes Funktionssystem.
Der mit dem Trump Tower begonnene Kreis von Architekturen eines durchdrehenden Neoliberalismus schliesst sich wieder an der Fifth Avenue, und zwar diesmal an der Hausnummer 666. Dort steht das so genannte Tishman Building, ein 40-stöckiges, vor 60 Jahren errichtetes Gebäude nahe des Rockefeller Centers, in dem das Immobilienunternehmen Kushner Companies ihren Hauptsitz hat. Allerdings nicht mehr lange, wenn es nach Jared Kushner geht, dem Ehemann von Ivanka Trump, der bis vor kurzem das Unternehmen mitgeleitet hat und dessen Unternehmensanteile aus politischen Gründen an seinen Vater Charles Kushner verkauft werden mussten – zumindest offiziell. Jared Kushner beauftragte Patrik Schumacher mit dem Entwurf für einen neuen, 427 Meter hohen und 7,5 Milliarden Dollar teuren Supertower, der mit einem Mix aus Geschäften, Büros, Hotelräumen und ultraluxuriösen Apartments punkten soll. Derweil positioniert sich Schumacher immer deutlicher auf Trump-Linie, etwa indem er mit dem ultrakonservativen, rechtslibertären Pro-Trump-Publizisten Thomas E. Woods fraternisiert – und diesem etwa auf Twitter bescheinigt, dass er nur aufgrund von Woods’ Buch “Meltdown” (2009) zum Anhänger der neoliberalen Österreichen Schule bekehrt wurde. Diese berüchtigte
Publikation nahm die Immobilien- und Finanzkrise 2008/9 zum Anlass, nicht etwa für weniger, sondern für mehr Markt zu plädieren. Woods’ Texte erscheinen auf Deutsch eigentlich nur im rechtsextrem-libertären Lichtschlag-Verlag und der dazu gehörenden Monatszeitschrift „eigentümlich frei“. Kushners und Schumachers 666-Fifth-Avenue-Projekt kam kürzlich arg ins Schlingern: zahllose Investoren sprangen ab – mit Konsequenzen, die die gesamte Existenz von Kushner Companies bedrohen könnten. 30 Nun will man die „teuflische Zahl“ 666 loswerden, auch die „Zahl des Antichisten“ genannt: Das neue Gebäude soll die harmlosere, des Okkultismus völlig unverdächtige Adresse „660 Fifth Avenue“ bekommen.
1: Vgl. Heinrich Geiselberger (Hrsg.): Die große Regression. Ein internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit, Berlin: Suhrkamp, 2017.
2: Joseph Vogl: Das Gespenst des Kapitals, Zürich: diaphanes, 2010, S. 52.
3: Hyman Minsky: „Die Hypothese der finanziellen Instabilität: Kapitalistische Prozesse und das Verhalten der Wirtschaft“ (1982), in (ders.): Instabilität und Kapitalismus, Zürich: diaphanes, 2011, S. 21f.
4: Minsky, „Die Hypothese der finanziellen Instabilität“ (1982), .a.a.O., S. 65.
5: Vgl. Minsky, „Die Hypothese der finanziellen Instabilität“ (1982), .a.a.O., S. 65.
6: Vgl. Karl Heinz Roth: Die globale Krise, Hamburg: VSA, 2009, S. 327.
7: Joseph Vogl: „Vorbemerkung“, in: Hyman Minsky: Instabilität und Kapitalismus, Zürich: diaphanes, 2011, S. 16f.
8: Vgl. Bart Lootsma: „Die Paradoxien des modernen Populismus“ (2007), in (ders.): Reality Bytes. Ausgewählte Schriften 1995-2015, Basel: Birkhäuser, 2016.
9: Zitelmann publizierte neben Ernst-Nolte-nahen Analysen zur NS-Zeit auch Bücher à la Reich werden mit Immobilien (2002), Vermögen bilden mit Immobilien (2004) oder Reich werden und bleiben: Ihr Wegweiser zur finanziellen Freiheit (2015); er verkaufte seine Firma im Jahre 2016.
10: Hierfür stehen in Deutschland beispielsweise auch die einst neoliberalen und heute zunehmend rechtsnationalistischen Wirtschafts-Publizisten André F. Lichtschlag (eigentümlich frei) und Roland Tichy (Tichys Einblick). Auch die Kontroversen um die Mitgliedschaft von AfD-PolitikerInnen wie Beatrix von Storch, Alice Weidel und Peter Boehringer in der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen.
11: Zum Thema Spiegelglasturm und Neoliberalismus hat Reinhold Martin einige lesenswerte Gedanken in folgendem Aufsatz beigetragen: „Spiegelglas – Widerspiegelungen“, in: ARCH+ 191/192: Schwellenatlas, März 2009.
12: Vgl. David Harvey: Kleine Geschichte des Neoliberalismus, Zürich: Rotpunktverlag, 2007 (2005), S. 45.13: Vgl. Donald J. Trump: Trump. Die Kunst des Erfolges, München: Heyne, 1988 (1987), S. 71.
14: Vgl. Trump, Trump. Die Kunst des Erfolges, a.a.O., S. 146.
15: Ebd.
16: Vgl. Trump, Trump. Die Kunst des Erfolges, a.a.O., S. 143.
17: Vgl. Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München: Kindler, 1992.
18: Vgl. Ana Jeinić: „Neoliberalism and the Crisis of the Project… In Architecture and Beyond“, in: Ana Jeinić, Anselm Wagner (Hrsg.): Is There (Anti-)Neoliberal Architecture?, Berlin: Jovis, 2013, S. 70.
19: In einer TV-Dokumentation des Senders C-Span wird Bannon 1995 mit folgenden Sätzen zitiert: „A lot of the scientists who are studying global change and studying the effects of greenhouse gases, many of them feel that the Earth‘s atmosphere in 100 years is what Biosphere 2’s atmosphere is today. We have extraordinarily high CO2, we have very high nitrous oxide, we have high methane. And we have lower oxygen content. So the power of this place is allowing those scientists who are really involved in the study of global change, and which, in the outside world or Biosphere 1, really have to work with just computer simulation, this actually allows them to study and monitor the impact of enhanced CO2 and other greenhouse gases on humans, plants, and animals.“ – Zit. nach Samantha Cole: „The Strange History of Steve Bannon and the Biosphere 2 Experiment“, in: Motherboard, 15. November 2016 (https://motherboard.vice.com/en_us/article/the-strange-history-of-steve-bannon-and-the-biosphere-2-experiment ( zuletzt abgerufen am 14. Februar 2017).
20: Auch nach seiner Ablösung als Chefberater Trumps am 18. August 2017 ist von einer weiterhin engen Zusammenarbeit auszugehen, da Trump im wahrscheinlichen Falle einer erneuten Präsidentschafts-Kandidatur stark von Breitbart News abhängig ist, für die Bannon nun wieder arbeitet.
21: Vgl. David Harvey: The Condition of Postmodernity, Cambridge, Mass./Oxford: Blackwell, 1990, S. 63.
22: Ebd.
23: Jeinić, Wagner, „Introduction“, a.a.O., S. 7.
24: Jeinić, Wagner, „Introduction“, a.a.O., S. 9.
25: Ebd.
26: Patrik Schumacher: „Parametricism as Style – Parametricist Manifesto“ (2008; http://www.patrikschumacher.com/Texts/Parametricism%20as%20Style.htm; zuletzt abgerufen am 1. September 2017).
27: Douglas Spencer: The Architecture of Neoliberalism. How Contemporary Architecture Became an Instrument of Control and Compliance, New York: Bloomsbury Academic, 2016, S. 4.
28: Patrik Schumacher, zit. nach „Der Anecker. Patrik Schumacher im Gespräch mit Alexander Russ (2017; https://www.baumeister.de/der-anecker/; zuletzt abgerufen am
1. September 2017).
29: Ebd.
30: David Kocieniewski, Caleb Melby: „Kushners’ China Deal Flop Was Part of Much Bigger Hunt for Cash“ (2017; https://www.bloomberg.com/graphics/2017-kushners-china-deal-flop-was-part-of-much-bigger-hunt-for-cash/; zuletzt abgerufen am 1. September 2017).