05.07.2018

Portrait

Frei Ottos visionäres Erbe

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Die drei Produktionspavillons von Frei Otto gaben Anlass zu dem Symposium in Bad Münder. Die gelben Rapsfelder sind heute zugebaut und der Blick


Architekturideale

Ein Symposium in Bad Münder bei Hannover hat sich am 25. Juni 2018 mit dem ideellen Erbe Frei Ottos beschäftigt. Professoren, Architekten und Ingenieure analyiserten in ihren Vorträgen, welche Aspekte von Ottos Werk auch heute noch aktuell sind. Im Anschluss führte der Architekt von Meili Peter Architekten, Markus Peter, durch das Sprengel Museum in Hannover und die Architektin Anca Timofticiuc von dem Berliner Büro Mensing Timofticiuc Architects durch den Hafven Coworking und Maker-Space.

Das Symposium begann mit einer Führung über das Gelände des Möbelherstellers Wilkhahn, die einer Zeitreise durch die letzten 50 Jahre Zeitgeschichte glich. Seit der Gründung des Unternehmens 1907 sammelten sich Gebäude namhafter Architekten auf dem Grundstück an. Der Rundgang startete bei Herbert Hirches Verwaltungsgebäude mit Klinkerfassade von 1959 und führte an den Produktionshallen von Thomas Herzog aus dem Jahr 1992 sowie der begrünten Energiezentrale vorüber. Die architektonischen Highlights sind die Produktionspavillons von Frei Otto – die auch Anlass zu dem Symposium gaben. Die drei geschwungenen Dächer erinnern an das Äußere großer Zelte, im Inneren präsentieren sich großzügige stützenfreie Räume unter einer Holzkonstruktion.

 

Frei Otto – bei dem Namen erscheinen Architekturinteressierten schwingende Dächer und komplexe Dachkonstruktionen vor dem inneren Auge. Spätestens nachdem er am Münchner Olympiastadion für die Spiele 1972 mitgewirkt hatte, gelangte er zu internationalem Ansehen. Doch schon bei der Expo 67 in Montreal vertrat er die Bundesrepublik Deutschland architektonisch. Auf dem Symposium stand jedoch nicht sein gebautes Erbe im Vordergrund, sondern die Ideen, die Frei Otto der Architekturwelt hinterlassen hat. Die Referenten definierten, was dieses ideelle Erbe Frei Ottos ausmacht.

 

Von der Natur zur Architektur

Für Georg Vrachliotis, Professor für Architekturtheorie am KIT, hat Otto der Architekturwelt vor allem Impulse zur Forschung mit Material und Natur vermacht. Ottos Konstruktionen sind Phänomenen aus der Natur nachempfunden, deren Konzeptualisierung Experimente vorangegangen sind. Ein Beispiel sind die Studien von Seifenblasen, deren Formen er später geometrisierte und systematisierte, um sie in die Architektur zu übersetzen: in sogenannte Pneus. Tobias Walliser, Architekt bei LAVA/AKB in Stuttgart, übernimmt in seiner Arbeit diese Inspiration aus der Natur. Ein Beispiel aus Wallisers Arbeiten ist der Entwurf für einen öffentlichen Platz, den Schirme verschatten. Nachts schließen sich die Schirme ähnlich wie Blumen. Die Experimente mit unterschiedlichen Materialen inspirierten auch die Architektin Laura Fogarasi-Ludloff. Dieser Einfluss findet sich in einigen Bauten ihres Büros Ludloff-Ludloff wieder, die beispielsweise Fassaden aus Textil haben: etwa die „Botschaft für Kinder“ für das SOS-Kinderdorf in Berlin, deren Fassade mit Stoff bezogen ist. Der Vorteil des Materials Stoff in der Architektur ist laut der Architektin, dass es im Gegensatz zu anderen Materialien wie Beton oder Glas materialikonografisch noch nicht besetzt ist.

Den interessantesten Aspekt von Frei Ottos ideellem Erbe brachte der Ingenieur Jan Kippers, Professor am KIT, ein. Er sieht vor allem den radikalen Gegensatz, den Otto im Vergleich zu seinen Zeitgenossen bot, als wertvoll: Otto setzte sich von dem Bild des Architekten als genialem Alleingänger ab und schuf das Bild des Architekten als Ideen- und Impulsgeber. So arbeitete Frei Otto meistens im Team, beispielsweise bei der Konstruktion des Dachs des Münchner Olympiastadions, bei dem er Behnisch Architekten mit seinem Wissen zur Seite stand. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere zwischen Bauingenieuren und Architekten, brachte Frei Otto in die Architektur.

Der Altbau von Wilkhahn. Foto: Wilfried Dechau.
Die 1992 eröffnete Produktionshalle von Thomas Herzog. Foto: Wilfried Dechau.
In einer der Produktionshallen von Frei Otto von 1988 sitzen die Näherinnen und Näher des Möbelherstellers. Foto: Wilfried Dechau.
Die Energiezentrale von Thomas Herzog aus dem Jahr 1992 heizt die umliegenden Gebäude. Foto: Isa Fahrenholz

Das Symposium zeichnete ein vielseitiges Bild Frei Ottos und zeigte wie umfassend sein ideelles Werk war: Es reicht von der Inspiration durch die Natur bis hin zur Interdisziplinarität, die er in der Architektur etablierte. Abgerundet wurde das Symposium mit einem Rundgang durch zwei zeitgenössische Bauten: durch das Sprengel Museum und den Hafven Coworking Space. Jedes für sich stellt auf seine Weise einen Kommentar zu Frei Otto dar.

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