27.10.2017

Wohnen

Ein gemeinsames Haus

 

Mannheim – Arbeiterstadt: Bei der letzten Landtagswahl haben hier gut 23 Prozent der Wähler die AfD gewählt – ein Trend der sich bei der Bundestagswahl bestätigt hat. Einen besonders hohen Zuspruch hatten die Rechtspopulisten in Schönau im Mannheimer Norden, einem Stadtteil, der jahrzehntelang sozialdemokratisch geprägt war. Als Grund sehen viele die Flüchtlingskrise – und tatsächlich war die Stadt am Neckar der Erstaufnahmeort für Flüchtlinge in ganz Baden-Württemberg. Das hat seine Ursache in den vielen leerstehenden Kasernen, die auf die Wehrmacht und die anschließende Stationierung amerikanischer Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgehen – in der Hochphase der Flüchtlingskrise waren hier bis zu 12.000 Menschen untergebracht.

Also der richtige Ort für ein Flüchtlings-Begegnungszentrum. Zurück geht das Projekt auf Stefan Krötsch, Jürgen Graf und Andreas Kretzer. Die drei kennen sich von der TU Kaiserslautern – Krötsch hat dort eine Juniorprofessur im Fachgebiet „Tektonik im Holzbau“ inne, Graf eine Professur im Fachgebiet „Tragwerk und Material“ und Kretzer, der mittlerweile an der Hochschule für Technik in Stuttgart unterrichtet, war Junior-Professor für Digitale Werkzeuge. In Kaiserlautern entwickelten sie mit ihren Studenten die Idee für das Flüchtlings-Begegnungszentrum. Eine andere wichtige Person war Tatjana Dürr, Referentin für Baukultur der Stadt Mannheim: Sie wurde auf das Projekt aufmerksam und schlug die Landeserstaufnahmeeinrichtung in den Spinelli Barracks im Osten von Mannheim als Ort vor. Außerdem manövrierte sie es durch die Instanzen.

Gemeinsam bauen

Zunächst fertigten die Studenten mehrere Entwürfe in Einzelarbeit an – das dafür notwendige Raumprogramm konzipierten sie zusammen mit den Flüchtlingen. Aus den Arbeiten wählten Krötsch, Kretzer und Graf dann fünf Finalisten zur weiteren Ausarbeitung in Gruppen aus. Das Ergebnis präsentierten die Studenten anschließend einer Jury, die sich aus Manfred Beuchert vom Regierungspräsidium Karlsruhe, Tatjana Dürr sowie Jens Weisener von der Stadt Mannheim und den drei Fachgebieten zusammensetzte. Danach ging es an die Ausführung und damit an einen elementaren Bestandteil des Projekts: Ziel war es von Anfang an, die Flüchtlinge in den Bauprozess einzubeziehen, was konkret so aussah, dass 18 Studenten gemeinsam mit 25 Flüchtlingen, drei Professoren und zwei Assistenten ein Haus bauten. Zuvor mussten aber noch die Kosten, die Massen, das Tragwerk und der zeitliche Rahmen geplant werden – eine Aufgabe, die Krötsch, Graf und Kretzer als Arbeitsgemeinschaft zusammen mit ihren Studenten bewältigten. Gerade bei den öffentlichen Auftragsvergaben und der Genehmigungsplanung arbeitete das Team eng mit der Baubehörde der Stadt Mannheim zusammen, was eine Vergabe und Genehmigung innerhalb kürzester Zeit ermöglichte. Aber das Projekt ging noch weiter: Studenten und Lehrende wohnten während des Bauprozesses mit den Flüchtlingen zusammen. Dazu gab es von Seiten des Betreibers der Unterkunft zunächst große Bedenken aus Angst vor Übergriffen durch Flüchtlinge. Dem Team gelang es aber, die Verantwortlichen von ihrem Konzept zu überzeugen, und so zogen die Studenten zusammen mit ihren Lehrern in die Spinelli Barracks. Vorfälle gab es keine.

Offen und geschlossen

Entstanden ist ein offenes und zugleich intimes Gebäude: ein 500 Quadratmeter großer Holz-Pavillon mit zwei Höfen, von denen sich ein Hof zur Haupterschließungsachse des Kasernengeländes öffnet, während der andere Hof von vier Seiten umschlossen ist und als Rückzugsort dient. In seinem Zentrum befindet sich ein kleiner Garten, der von den Flüchtlingen bewirtschaftet wird. Der große Hof dient als Veranstaltungsort, dem ein offener Gemeinschaftsraum eingeschrieben ist, der auch als Bühne genutzt werden kann.

Fotos: Atelier U20

 

Mehr dazu finden Sie im Baumeister 11/2017

 

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