25.05.2020

Die neue Sehnsucht nach Nähe

Illustration: Clemens Habicht


„Achtsamere Globalisierung“

Die internationalen Lieferketten werden sich nach der Corona-Pandemie tiefgreifend verändern – mit erheblichen Auswirkungen auf Bauwirtschaft und Immobilienmärkte. Der Volkswirt und Wirtschaftsjournalist Daniel Schönwitz beleuchtet, was die De-Globalisierung treibt und welche Folgen sie für Bauprojekte und -kosten hat.

Wo ist es denn am billigsten? Das war bis vor Kurzem die mit großem Abstand wichtigste Frage, wenn es um neue Zulieferer oder Produktionsstandorte ging. Unternehmen eröffneten deshalb reihenweise Fabriken in Billiglohnländern; China avancierte zur verlängerten Werkbank des Westens.

Doch inzwischen stockt der Treck gen Osten, weil Lohnkostenvorteile an Bedeutung verlieren. Das hat mehrere Ursachen. So spielt der Faktor Arbeit in der digitalen Fabrik 4.0 nur noch eine untergeordnete Rolle. Zudem haben unmenschliche Arbeitsbedingungen in Billiglohnländern Proteste und Skandale ausgelöst – und Managern vor Augen geführt, dass hohe Reputationsrisiken bestehen.

Die Corona-Pandemie dürfte das Primat der Kostensenkung nun endgültig beenden. Denn sie hat gezeigt, wie verletzlich die sorgfältig optimierten Just-in-Time-Lieferketten der globalisierten Wirtschaft sind: Vielerorts warteten Unternehmen vergeblich auf Waren oder wichtige Bauteile, weil Zulieferer in China ihre Fabriken schließen oder südeuropäische Spediteure in Quarantäne mussten.

Auch die Bauwirtschaft hat das schmerzhaft zu spüren bekommen. Ob Stahl aus China oder Naturstein aus Italien – vielfach kam und kommt es zu erheblichen Verzögerungen. Wie in fast allen anderen Branchen ist insbesondere die Abhängigkeit von Lieferungen aus China derzeit Anlass für intensive Diskussionen.

Ich bin deshalb überzeugt: Corona wird tiefgreifende Veränderungen der Lieferketten auslösen. Einige Experten sprechen in diesem Zusammenhang bereits von einer De-Globalisierung oder gar von einem Wirtschaftsnationalismus – also einer massiven Rückverlagerung der Produktion in die Heimat. Verschärft werden könnte dies durch Handelskonflikte und Protektionismus à la „America first“.

Das wäre fatal. Denn die internationale Arbeitsteilung und der freie Handel bergen riesige Chancen auf Wohlstandszuwächse – insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern. Bei aller berechtigten Kritik an den Auswüchsen der Globalisierung muss man konstatieren, dass sie Millionen Menschen ermöglicht hat, der Armut zu entkommen, vor allem in Fernost.

Ich hoffe deshalb, dass wir keine Abkehr von der Globalisierung erleben, sondern in eine neue Phase eintreten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht von einer „achtsameren Globalisierung“. Im Fokus sollen demnach nicht mehr minimale Kosten und maximale Handelsvolumina stehen, sondern verstärkt ökologische und soziale Standards.

In der Tat ist der nachlassende Drang zur Kostenoptimierung für Entwicklungsländer eine Chance, Billiglohnstrategien ad acta zu legen, ohne Investoren abzuschrecken. Davon könnten zum Beispiel Reformstaaten in Afrika profitieren – als neue Produktionsstandorte in unmittelbarer Nähe des europäischen Marktes.

Baukosten: Resilienz kostet Effizienz

Denn egal ob „achtsamere“ oder „De“-Globalisierung: Absehbar ist, dass die Lieferketten kürzer werden. Zudem erlebt die verpönte Lagerhaltung, die Betriebswirte in aller Welt wegrationalisiert haben, ein Comeback.

Diese Entwicklung wird in zahlreichen Branchen dazu führen, dass die Kosten steigen – Resilienz geht eben zulasten der Effizienz. Auch Bauunternehmer und -dienstleister sollten sich deshalb auf steigende Materialkosten einstellen. Zudem sind vermehrte kritische Nachfragen von Auftraggebern zu ihren Lieferanten und deren Lieferfähigkeit programmiert.

Wohin die Reise geht, lässt sich in der Automobilbranche beobachten: Dort verlangen Hersteller von ihren Zulieferern schon jetzt die Garantie, dass sie „jedes Bauteil aus zumindest zwei, wenn nicht gar drei unterschiedlichen Regionen der Welt beziehen können“, wie jüngst ein Manager berichtete.

Gewerbliche Bauherren dürften es immer öfter ähnlich halten und zudem auf happige Vertragsstrafen drängen. Für Architekten wird es damit wichtiger, Auftragnehmer mit stabilen Lieferketten zu identifizieren – und Bauherren beizubringen, dass es mehr Sicherheit nicht zum Nulltarif gibt.

Hier lesen Sie die letzte Kolumne von Daniel Schönwitz: Lockruf der Provinz

Daniel Schönwitz ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist und Medientrainer. Der Volkswirt lebt mit seiner Familie in Düsseldorf. Folgen Sie ihm auf Twitter.

Diese Kolumne ist Teil des Homeoffice Spezial, in dem wir täglich aus dem Blickwinkel der Architektur über die wichtigsten Neuigkeiten zur Corona-Pandemie berichten.

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