23.08.2018

Produkt

Design from Hell – der Strandkorb

Mit was befassen sich Architekten eigentlich im Urlaub? Als der Zunft zugeneigter Journalist wünscht man deren Vertretern natürlich, dass sie, von gelegentlichen Blicken in die letzten Baumeister-Ausgaben abgesehen, sich an charmant Ephemerem erfreuen, an der schönen Vergänglichkeit von Sonnenuntergängen oder frisch gegrillten Hummern. Aber – schon wär’s. Vor derlei Genüssen steht zumindest in hiesigen Seebädern der Kampf mit einem spezifisch deutschen Raummonster: dem Strandkorb.

Diese unförmigen 70-Kilo-Kolosse machen ihren Mangel an Ästhetik durch ein noch größeres Maß an Dysfunktionalität wett. Sie kombinieren den grimmigen Ernst der Industriemoderne mit übelsten vulgärpostmodernen Verzierungsversuchen. Den Erholung-Suchenden zwingen sie in unangenehme körperliche Exerzitien. Ständig gehören Strandkörbe verstellt, gedreht, umgebaut. Ansatzweise erträglich oder gar bequem wird es natürlich nie. Was aber irgendwann nichts mehr macht, denn der Schmerz des beim Umheben verzogenen Rückens lässt sengende Sonnen oder hereinziehende Sandstürme schnell vergessen. Wobei, ehe man den malträtierten Rücken erholen kann, gilt es noch, die beim Verstellen des Kopfschutzes eingeklemmte Hand wieder zu befreien. Das ist nicht einfach, muss man dabei doch den mittlerweile selbstständig aufgeklappten, funktional komplett nutzlosen Mini-Tisch überklettern. Und all das unter den kritischen Kommentaren des eigentlich ja geliebten Menschen, der sich angesichts des ausbleibenden Labsales zunehmend in einen veritablen Störfaktor verwandelt.

Wer sich dann, nach den Umbaumaßnahmen ermattet und körperlich versehrt, niederlässt in dem mittlerweile versandeten und schweißklebrigen Ungetüm, der kommt nicht umhin, ein paar grundsätzliche Gedanken zur deutschen Geistesverfassung zu spinnen. Denn das ist ja das Schlimme: Der Strandkorb gilt international als deutsches Phänomen. Wo andere heiteres Beach Life praktizieren, haben wir bucklige Strandkorbwüsten, zersiedelte Strandschaften sozusagen. Immerhin – die Künste sind gnädig mit uns. Wikipedia erhellt dahingehend, dass „die geflochtenen Kultobjekte … weder in der Literatur noch in der Malerei ein vordringliches Motiv“ seien. Na sowas. Lediglich in der Welt des Schlagers inspirierte der Strandkorb scheinbar zu Phantasien. „Wenn die Strandkörbe wackeln, mein Kind, ja dann ist es nicht immer der Wind“, fabulierten 1993 die Volksmusiker Andy und Bert. Müßig zu sagen, das der implizierte Sexualakt im Strandkorb nur unter höchsten Anstrengungen irgendwie funktionieren dürfte.

Die unrühmliche Ausnahme des hochkulturellen Strandkorb-Boykotts bildet der Strandlebenversteher Thomas Mann in seinem Buddenbrooks-Roman. Dort heißt es: „Tony stieg behutsam durch das hohe, scharfe Schilfgras, das am Rande des nackten Strandes stand. Die Reihe der hölzernen Strandpavillons mit ihren kegelförmigen Dächern lag vor ihnen und ließ den Durchblick auf die Strandkörbe frei, die näher am Wasser standen.“ Zu ergänzen wäre, dass die klobigen Kästen natürlich jegliche Sicht aufs Wasser versperrten.

Zumindest in der Narration. Die spielt Mitte des 19. Jahrhunderts. In dieser glücklichen Zeit waren die Strandkörbe tatsächlich aber noch gar nicht erfunden (das unselige Urhebertum wird dem Rostocker Hof-Korbmachermeister Wilhelm Bartelmann im Jahr 1882 zugeschrieben). Wobei – vorwerfen mag man dem jungen Autor Thomas M derlei Ungenauigkeit nicht. Denn einerseits bestritt er ja stets, mit den Buddenbrooks wirklich ein Abbild der norddeutschen Gesellschaft geliefert zu haben. Außerdem hatte er schon zuvor seine ersten literarischen Einnahmen genutzt, um schnellstens aus Lübeck nach München zu fliehen. Dort ersetzen Bierbänke den Strandkorb in seiner metaphorischen Funktion. Diese sind zwar auch hässlich. Aber wenigstens haben sie noch niemanden dazu verleitet, um sie herum absurde teutonische „Sandburgen“ zu graben.

Scroll to Top