02.08.2022

Öffentlich

De Harmonie in Antwerpen von Atelier Kempe Thill

Kempe Thill und RE-ST haben die Konzerthalle "De Harmonie" umgebaut. Foto: © Ulrich Schwarz
Kempe Thill und RE-ST haben die Konzerthalle De Harmonie umgebaut. Foto: © Ulrich Schwarz

1844/46 ließ Stadtbaumeister Pieter Dens die Konzerthalle „De Harmonie“ in Antwerpen als Veranstaltungsort errichten. Kempe Thill und RE-ST bauten diese jetzt zu einem Stadtteilzentrum und Bürgerbüro um.

Stadtteilzentrum und Stadtpark

Mit dem komplexen Stadtumbauprojekt De Harmonie besitzt Antwerpen seit Herbst 2021 einen neuen öffentlichen Raum. In der Südstadt verwandelte das Rotterdamer Atelier Kempe Thill mit dem lokalen Büro RE-ST architecten den ehemaligen Ball- und Konzertsaal der Société Royale d’Harmonie zu einem neuen Stadtteilzentrum, in dem heute unter anderem Büros für die Gemeindeverwaltung, ein großes Bürgerzentrum und ein Veranstaltungsraum für Konzerte untergebracht sind. Die Architekten verbanden dafür die seit 1997 denkmalgeschützte Konzerthalle mit einem bestehenden Stadthaus sowie der ehemaligen Orangerie und erweiterten das Gebäude um ein Begegnungszentrum. Außerdem gestalteten sie den historischen Park um und ließen den von Henry van der Velde entworfenen Brunnen restaurieren. Das Projekt war ursprünglich ein offener Architekturwettbewerb der flämischen Regierung (2010), um die Konzerthalle in einen „Silent Room“ verwandeln. 2013 beschloss man allerdings, das Haus als Stadtteilzentrum zu entwickeln.

Frontansicht der "De Harmonie" vor dem Umbau, beige, Graffities, Fassade an einigen Stellen kaputt
Fotos: © Ulrich Schwarz
Frontalansicht nach em Umbau, weiß, grüner Rasen

Blick in die Historie von De Harmonie in Antwerpen

De Harmonie ist der ehemalige Sommerkonzertsaal der 1814 gegründeten Musikgesellschaft Société Royale d’Harmonie. Der damals 25-jährige Pieter Dens, der spätere Stadtbaumeister von Antwerpen, gewann dafür den Architekturwettbewerb. 1846, nach nur zwei Jahren Planungs- und Bauzeit, folgte dann die Eröffnung des Festsaales und des dazugehörigen privaten Landschaftsgartens. Das neoklassizistische Gebäude zeichnete sich vor allem durch die fließende Beziehung zwischen dem Innen- und Außenraum aus und diente als festlicher Rahmen für die Freiluft-Konzerte. Ein Umbau im Jahr 1890 verdoppelte damals das Volumen des Gebäudes.

Anfang des 20. Jahrhunderts kam es allerdings zu einem schleichenden Niedergang des Konzertbetriebs der Societé, den der Ausbruch des Ersten Weltkriegs noch verstärkte. Die Stadt übernahm deshalb 1922 das Gebäude und den Garten. Den Landschaftsgarten gestaltete man dann zu einem öffentlichen Park um, das Konzerthaus nutzte man als Ausstellungshalle. In den späten 1970er Jahren folgte der Umbau des Gebäudes zu einem Nachtclub. In die zum Teil noch erhaltenen historischen Innenräume zog man dabei Akustik-Zwischendecken ein, die Öffnung zum Garten schloss man. Die Ausschreibung von 2010 sollte dabei helfen, das über 170 Jahre alte Ensemble De Harmonie grundlegend zu überdachen und neu zu interpretieren. Neben der Wiederherstellung der stark sanierungsbedürftigen Konzerthalle wünschte die Stadt Antwerpen außerdem eine neue Verbindung für die verschiedenen Gebäude auf dem Grundstück.

Fotos: © Ulrich Schwarz
Innenraum Cafe, Fenster am Dach, Tresen aus Holz, Regale, Lebensmittel
weißer Innenraum mit Schalter aus Holz und grauen Stühlen

Das Gebäude

Um die verschiedenen Gebäude zu verbinden, erdachte das Atelier Kempe Thiel also eine sinnvolle Gesamtorganisation für den neuen Komplex. An der Nordseite des Konzertsaals errichten sie einen Erschließungsbau, der alle Funktionsbereiche miteinander verbindet und barrierefrei zugänglich macht. Entlang der neue West-Ost-Achse reihten sie die zudem unterschiedlichen Funktionsbereiche auf. Alle notwendigen Nebenräume wie Café, Büros und Besprechungsräume organisierten die Architekten entlang dieses Korridors, um die historischen Räume von neuen funktionalen Zwängen zu befreien. Der Verbindungsbau ist nur teilweise zwischen der Orangerie und dem Konzertsaal als neue überdachte Eingangshalle sichtbar – und an der Ostseite des Komplexes als Konferenzpavillon. Zum historischen Stadthaus hin bildet der Verbindungsbau einen kleinen, begrünten Innenhof.

Glasfenster und -Türen, Außenfassade, Dekoration, weiß
Foto: © Ulrich Schwarz

Sanierung der Fassade

Ziel war es, den klassizistischen Charakter der Konzerthalle soweit wie möglich wieder herzustellen. Daher wurde nach ausgiebigen Recherchen und Rücksprache mit den Denkmalpflegeamt eine Glaspergola vor der Hauptfassade aus dem Jahr 1890 abgerissen, um das ursprüngliche Volumen des Gebäudes freizulegen. Die einst vorhandenen Balustraden im Attikabereich ergänzte man modern in abstrahierter Form. Die Fenster der Fassade interpretierten die Architekten in neoklassizistischer Manier mit vier Meter hohen doppelt verglasten Türen. Zudem rekonstruierten sie verloren gegangene Ornamente. Bei der Farbgestaltung orientierte sich das Atelier Kempe Thill an einem klassizistischen Farbspektrum. Hellgrauer Putz und mittelgraue Fenster wurden mit dem vorhandenen dunkelgrauen Kalksteinsockel aus Belgischem Granit kombiniert.

Bauerbeiter beim bearbeiten von Gestaltungselementen.
Fotos: © Ulrich Schwarz
Holzsäulen, die mit Terazzo-Elementen verkleidet werden.

Die Neugestaltung des Innenraums der Konzerthalle De Harmonie

Auch bei der Gestaltung des Innenraums entwickelten die Architekten den ursprünglichen klassizistischen Entwurf weiter. Sie entfernten dazu die abgehängten Decken und legten die verbliebenen Stuckfragmente frei. Da es allerdings nur wenige Informationen über das historische Interieur gab, wurde es nicht rekonstruiert. Die Architekten arbeiteten hier mit grauem Terrazzo in Form von Wand- und Stützenverkleidung. So ließen sie die vorhandenen Holzsäulen mit handgefertigten Terrazzo-Elementen verkleiden. Die abstrahierten Kapitelle wirken traditionell und zeitgemäß zugleich. Alle technischen Elemente, wie Lüftungsanlage, Rauchabzug, Saalbeleuchtung und Theatertechnik, wurden behutsam in das historische Ensemble integriert.

Innenaufnahme während der Bauarbeiten
Fotos: © Ulrich Schwarz
Innenausnahme nach den Bauarbeitem, weiße Verkleidung von Decke, Boden und Säulen

Ein englischer Landschaftspark für das 21. Jahrhundert

Den bestehenden Park gestalteten Kempe Thill gemeinsam mit LAND landschapsarchitecten und ARA (beide Antwerpen) nach dem Vorbild eines englischen Landschaftsgartens neu. Eine Reihe großer Bäume wurden gefällt, Sträucher und Zäune entfernt, um mehr offene Spiel- und Bewegungsflächen zu schaffen. Zugleich wurden die Ränder des Parks dichter bepflanzt, um mehr Intimität und Sicherheit zu schaffen und die umliegenden, zum Teil stark befahrenen Straßen optisch auszublenden. Das bestehende Wegenetz entfernten Kempe Thill in ihrem Entwurf vollständig, um möglichst viel unversiegelten Raum zu schaffen. Zum einstigen Konzerthaus hin wurde das Gelände leicht abgesenkt, um es besser in den Park zu integrieren. Wesentlich im Entwurf war die Öffnung des Hauses zum Park hin, um die fließende, charakteristische Beziehung zwischen Innen und Außen wiederherzustellen. Die restaurierte Orangerie wurde in ein Café umgewandelt. Damit bildet der neu gestaltete beschauliche Stadtpark nun eine intensiv genutzte grüne Oase in Antwerpen und lädt zu vielfältigen Aktivitäten ein.

Auch der Olympiapark in München überzeugt durch seine Gestaltung und seine Vielseitigkeit. Lesen Sie hier alles, was sie zu dessen 50-jährigem Jubiläum in diesem Jahr wissen müssen.

 

Pläne: © Atelier Kempe Thill
Scroll to Top